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Laura Linney als Lisa und Antonio Banderas als Ralph in dem Drama "Der Andere" von Richard Eyre.

© ddp

Für Erwachsene: Kino entdeckt die Lebensmitte.

In jüngster Zeit häufen sich europäische und amerikanische Filme über Liebe, Sex und Leidenschaft in der Lebensmitte. Das Kino entdeckt die "Best Ager".

Alex schläft mit der Nachbarsenkelin, Herb mit der Frau seines besten Freundes, Lisa mit einem Hochstapler, Jake mit seiner Ex, Suzanne mit einem Bauarbeiter, Jean mit der Lehrerin seines Sohns, und Mr. Whittaker mit Prostituierten. Was sie alle gemeinsam haben: Sie sind um die 50, seit Jahrzehnten (mehr oder weniger glücklich) verheiratet und haben gute, aber keine spektakulären Gründe für den Seitensprung. Hochdramatische Entwicklungen sind selten in diesen Konstellationen eher verhalten bleibt auch das Glücksversprechen, das ihr Handeln motiviert.

In jüngster Zeit häufen sich europäische und amerikanische Filme über Liebe, Sex und Leidenschaft in der Lebensmitte. Filmproduzenten spekulieren auf die wachsende ältere Generation als entsprechend zunehmende Zuschauerschicht, die Regisseure sind selbst zwischen 45 und 60, die Schauspieler auch. „Tantenfilme“ nannte neulich ein jüngerer Kollege das Phänomen geringschätzig und meinte damit wohl das Zielpublikum. Frauen in den Wechseljahren, so glaubt er, durch Bauchspeck- und Faltenzunahme, Östrogen- und Libidoabnahme traditionell als unattraktiv typisiert, erfahren durch diese Filme eine Art grimmiger Genugtuung. Nicht alle Geschlechtsgenossinnen jenseits der 45 verzichten nämlich auf ein Liebesleben; mitunter gelingt es ihnen sogar – wie Meryl Streep in „Wenn Liebe so einfach wäre“ oder Kristin Scott Thomas in „Die Affäre“ zu Jahresbeginn –, mehrere Männer für sich zu interessieren. Das sei, so der Kollege weiter, absolut unrealistisch und deshalb abzulehnen.

Abgesehen davon, dass Realismus noch nie ein Merkmal des unterhaltsamen, abendfüllenden Spielfilms war, lohnt es sich, die sozialen Phänomene, die diese Filme widerspiegeln, genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Liebes- und Lustspiel der Generation Viagra – Jack Nicholson und Diane Keaton in „Was das Herz begehrt“! – sah man im Kino bislang häufiger als jene, die die Jugend hinter sich, aber das Alter noch vor sich haben. Auch ist es keineswegs sonderlich realitätsfern, was Filme wie „Pippa Lee“, „Der Andere“ (nach einer Kurzgeschichte von Bernhard Schlink, beide ab Donnerstag im Kino) oder „Please Give“ (Start 8.7.) verhandeln. Partner, die über Jahrzehnte zusammenleben, sind einander in der Regel herzlich zugetan und stolz auf gemeinsam Erworbenes, Produziertes, Gehegtes: auf Häuser, Gärten, Kinder, Fahrzeuge, Tiere, Hobbys … Man kennt und vertraut einander und glaubt, vor Überraschungen sicher zu sein.

Andere bleiben aus Gewohnheit zusammen, aus Faulheit, aus Mangel an Alternativen oder an Fantasie. Und nicht wenige schaffen es nicht: Zwischen dem 16. und 20. Ehejahr wird es für Verheiratete fast so gefährlich wie zwischen dem vierten und achten. In Deutschland steigt die Scheidungsrate in diesem Lebensabschnitt nochmals drastisch an. Die Männer sind der Statistik zufolge im Schnitt dann Ende 40, die Frauen Mitte 40, mindestens eins der Kinder ist noch minderjährig. Meistens sind es die Frauen, die die Scheidung einreichen.

Dass Paare dieses Alters anders als ihrer Eltern nicht mehr ein Leben lang zusammen bleiben, hat bekanntlich mit der zunehmenden wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Frauen zu tun. Dem Phänomen, dass Eheschließung nicht automatisch das Happy End bedeutet, tragen die Filme Rechnung, indem sie vom nicht gerade glamourösen Beziehungsalltag erzählen: Er schneidet seine Fußnägel, sie beklagt die raue Haut an ihren Ellenbogen, die trotz der teuren Bodylotion rau bleibt. In „Please Give“ führt Regisseurin Nicole Holofcener dem Zuschauer mit solchen Szenen vor Augen, dass dieses Sich-gehen-Lassen geradewegs in die Ehekrise führen kann. Gleich zu Anfang sieht man weibliche Brüste, die von einer Röntgenassistentin in die Mammografie-Apparatur gezwängt werden, später ist vom Menopausen-Rot als Haarfarbe die Rede. Und von Männern, die nicht wollen, dass ihre Schamhaare länger sind als ihre Penisse und sich deshalb unters Messer eines Schönheitschirurgen legen.

In „Pippa Lee“ zieht die 30 Jahre jüngere Ehefrau (Robin Wright) mit ihrem Mann (Alan Arkin), dem sie zeitlebens den Rücken freihielt, in ein Rentnerresort, um festzustellen, dass er – jetzt erst recht – mit einer Frau schläft, die weitere zehn Jahre jünger ist. Rebecca Miller, die ihren eigenen Roman verfilmt hat, zeigt eine Frau, die sich nach einer exzessiven Vergangenheit in den Siebzigern an der Seite ihres erfolgreichen Gatten selbst zum Verschwinden gebracht hat. Eine ideale Künstlergattin, finden seine Kollegen: Muse, Mutter, Marginalie, nicht einmal die eigenen Kinder nehmen sie wahr.

Und in „Der Andere“ (Regie: Richard Eyre) stellt der langweilige Ehemann fest, dass seine Frau ihn seit Jahren betrügt – mit einem ordinären, aber leidenschaftlichen Underdog in „Gucci-Slippern“, wie er angewidert konstatiert. Der aber hat die Gabe, „die Dinge schöner zu machen, als sie sind“, wie er dem gehörnten Gatten erzählt. Und: „Die Ehe ist die Hölle, ich ziehe Hotels und den Himmel vor.“

Gemeinsam ist diesen Filmen, in denen Stars wie Catherine Keener („Please Give“), Laura Linney, Antonio Banderas und Liam Neeson („Der Andere“) mitspielen, die aufwendige Inszenierung des wohlstandsbürgerlichen Lebensstils, in dem die Pflege zusammen erworbener Besitztümer allemal wichtiger ist als die des Seelenheils. Anrührend sind die Versuche der Antiquitätenhändlerin in „Please Give“, ihr schlechtes Gewissen wegen der Profitmarge zwischen Ankauf- und Verkaufspreisen ihrer Ware durch ehrenamtliche Arbeit zu beruhigen. Es ist sie selbst, die Hilfe braucht, zeigen ihr fröhlich die prospektiven Schutzbefohlenen, die so arm gar nicht sind.

Ihr unattraktiver Mann beginnt derweil ein Verhältnis mit einer jungen Kosmetikerin, deren emotional labile Situation er ausnutzt. Nicole Holofcener zeigt gediegene Interieurs in gedeckten Farben, lässt ihre Protagonistin ökologisch korrekte Lebensmittel, Kleidung und Kosmetika verwenden und geradezu manisch nach Obdachlosen suchen, denen sie partout Geld zustecken will. Das seit einigen Jahren als neue Konsumentengruppe ausgemachte Milieu der „Lohas“ (Lifestyle of Health and Sustainability/Leute, die auf Gesundheit und Nachhaltigkeit Wert legen) wird treffend porträtiert als eines, dem Bio und Öko zum Selbstzweck werden.

In „Pippa Lee“ bildet eine teure Wohnanlage mit ihrer unglaublich bequemen Infrastruktur, deren pastellfarbene Biederkeit jegliche Vitalität zu ersticken droht, den Hintergrund für eine unendliche Reihe von Barbecue-Einladungen und -Gegeneinladungen, nachbarliche Gartenbesuche, Supermarktgespräche über Hauspersonal und Speisepläne. Der Wohlstand als letzte Lebensstation – und als Ursache für die Depression der Protagonistin, die am Ende mit einem jüngeren Tunichtgut das Weite sucht. Und in „Der Andere“ sind es kalte Oberflächen, durchdesignt bis ins letzte kostspielige Detail, die den betrogenen Ehemann charakterisieren. Seine selbstzufriedene Leblosigkeit steht im krassen Gegensatz zur wilden Lebensgier des geschmacksunsicheren, aber leidenschaftlichen Liebhabers seiner Frau.

Es sind Filme für ein erwachsenes Publikum mit einiger Lebenserfahrung und -weisheit. Für eine Generation, die im besten Fall den eigenen Skurrilitäten mit milder Ironie zu begegnen weiß – und denen der anderen mit einer guten Portion Humor. Die sich nicht kirre machen lässt von Altersflecken, grauen Haaren und Bauchansatz, die nicht erstickt zwischen den angehäuften Wohlstandsaccessoires, sondern genießt, was es zu genießen gibt. Tantenfilme zum Beispiel.

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