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Kultur: Funken in der Factory Ego-Doku: Michel Auders „The Feature“ im FORUM

Drei Stunden soll er dauern – Schreck lass nach. Doch schon in den ersten Minuten entwickelt „The Feature“ eine soghafte Wirkung, die jegliche Zeit vergessen lässt.

Drei Stunden soll er dauern – Schreck lass nach. Doch schon in den ersten Minuten entwickelt „The Feature“ eine soghafte Wirkung, die jegliche Zeit vergessen lässt. Es ist ein Trip durchs Leben eines anderen, bei dem man Mäuschen spielen darf und atemlos die Wechselfälle von Liebe, Trennung, Sucht verfolgt, ein wahrer „So ist das Leben“-Film, wie es im Untertitel heißt. Der Videokünstler Michel Auder erfährt vom Arzt, dass ihm ein Hirntumor nur noch wenige Wochen lässt, und schon beginnt die Reise in die Vergangenheit. Kinderfotos, erste Schwarz-Weiß-Aufnahmen mit der Kamera in Paris, wo der junge Mann als Modefotograf beginnt, bevor er 1969 nach New York ins Lager Andy Warhols wechselt. Im Gegenschnitt kommen Bilder aus der Gegenwart, die gleichen Orte, Straßen nur in Farbe. Der Filmemacher Andrew Neel hat sie gedreht – mit Michel Auder wiederum als Hauptfigur. Perspektive und Zeit springen hin und her, werden zu Spielmaterial.

Gerade aus diesem Wechsel zwischen Dokumentation und Fiktion, zwischen authentischem Videomaterial und einer in der dritten Person erzählten Geschichte, von der man am Ende nicht weiß, ob sie tatsächlich mit dem Tod Auders endet, bezieht „The Feature“ seine Spannung. „Ein Film muss zugleich universell und persönlich sein“, lautet Auders Credo, der als Chronist der New Yorker Bohème mal in der Factory, mal im Chelsea-Hotel lebte. Als Ehepartner zunächst des Warhol-Superstars Viva, mit der er eine Tochter hat, und schließlich der Fotokünstlerin Cindy Sherman hat er diesen Anspruch mit seiner eigenen Biografie eingelöst. Die Neugierde des Publikums ist garantiert bei seiner Mixtur aus künstlerischem Schaffen und wahrem Leben, das sich aus der privaten Begegnungen mit legendären Szenefiguren destilliert.

5000 Stunden Filmmaterial hat dieser Lebemann archiviert, der selbst aus seiner Heroinabhängigkeit noch künstlerische Funken schlägt, indem er das Sonnenlicht auf dem Aluminiumpapier seines „letzten“ Heroinpäckchens zauberisch schimmern lässt. Die Kamera ist stets dabei. Sie wird auch nicht weggelegt, wenn die achtjährige Tochter auf die Frage nach ihrer größten Angst verrät, dass Mama und Papa auf der Straße enden könnten. Und sie läuft mit, wenn Auder bei den Prostituierten landet, weil er des goldenen Käfigs, des Lebens an der Seite eines Künstlerstars, überdrüssig geworden ist. Ein weiteres Ergebnis dieser Flucht ist die Revision seines in vierzig Jahren angehäuften Filmmaterials, der Doppelblick zurück und nach vorn durch die eingewebten Spielszenen des Abschiednehmens von Freunden. Mit einem Film wie „The Feature“ geht ein Künstler eigentlich nicht aus dem Leben, sondern kann von vorne beginnen. Nicola Kuhn

Heute 12.30 Uhr (Delphi)

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