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Kultur: Furchtbares Ende

Nachdem die Festwochen 2001 Arnold Schönberg zu dessen 50. Todestag gründlich abgefeiert hatten, schien es plötzlich gleich mehrere Institutionen zu den vergessenen Meisterschülern Schönbergs aus dessen Berliner Jahren zu drängen.

Nachdem die Festwochen 2001 Arnold Schönberg zu dessen 50. Todestag gründlich abgefeiert hatten, schien es plötzlich gleich mehrere Institutionen zu den vergessenen Meisterschülern Schönbergs aus dessen Berliner Jahren zu drängen. Konzerthaus und Deutschlandradio hatten das Thema im herbstlichen Spielplan besetzt. Die Akademie der Künste, die jetzt eine vom Ensemble Oriol konzipierte, viertägige Konzertreihe mit Symposium unter ihrem Dach präsentierte, erschien da zwar als Nachzügler - in der Sache jedoch war man am besten vorbereitet. Die Ausstellung über Schönbergs Berliner Jahre (noch bis 9. 12.) lieferte den historischen Rahmen.

Bei der Musik von Nikos Skalkottas weicht dem Reiz des Neuentdeckens mittlerweile eine gewisse Gewöhnung wie auch die Einsicht, dass hier nicht alles gleichermaßen Zuhörerinteresse beanspruchen muss. Das so gut wie nie gespielte Klaviertrio von 1936 etwa, das nun durch das Ensemble Blue Noise eine Art Ehrenrettung erfuhr, bleibt bei aller Schönheit in vielen Details und bei der inneren Belebtheit des Kontrapunktes doch zu einförmig. Außerordentlich dankbar aufzuführen sind dagegen seine "Zehn Skizzen" für Streichquartett, in Dichte und zeitlicher Ausdehnung doch eigentlich Charakterstücke von mehr als skizzenhafter Art. Die spieltechnischen Anforderungen sind extrem hoch, und das Manon-Quartett mit seinen um die Wette brillierenden wunderbaren Geigen (Ariadne Daskalakis, Bernhard Forck) vermochte auch noch die eskapistischen Momente dieser Musik in eine Interpretation von erfüllter Intensität einzuschließen. Auch die "Kleine Suite" für Streichorchester, deren vielfach geteilter Streichersatz vom Ensemble Oriol mit viel Leuchtkraft realisiert wurde, verdient ihren Platz im Repertoire.

Gewiss die merkwürdigste Persönlichkeit unter Schönbergs Meisterschülern war Norbert von Hannenheim. Werk wie Biografie des 1889 in Siebenbürgen geborenen und 1944 oder 1945 wohl in Berlin gestorbenen Komponisten sind nur in Fragmenten bekannt - obwohl Hannenheim sehr viel, geradezu manisch komponiert hat. Der Musikforscher Peter Gradenwitz, der in diesem Frühjahr hochbetagt in Tel Aviv verstarb und das bisher einzige umfängliche Werk über Schönbergs Berliner Schüler vorlegte, hatte noch für diesen Herbst eine neue Publikation zur Biografie Hannenheims geplant. Er wollte Details über Hannenheims Tod veröffentlichen, "ein furchtbares Ende", wie er dem Pianisten Herbert Henck vorab anvertraut hatte.

Henck, der von seiner abenteuerlichen Spurensuche zu Hannenheim erzählte, präsentierte auch drei seiner Klaviersonaten, deren Manuskripte inzwischen aufgespürt wurden. Er tat dies in einer Weise, die den "Meisterschüler" und den "Unbekannten" einmal gleichzeitig vergessen ließ. In dem extrem unausgeglichenen, mal rohen, mal äußerst raffinierten Kontrapunkt, der bei Hannenheim immer hervorsticht, enthüllte Henck auf spannungsvolle und durchsichtige Art die Physiognomie eines Komponisten, der so sehr eigenen Regeln folgt, dass seine Musik in dem Maße fasziniert, wie sie Unbekanntes und Unheimliches zur Sprache bringt - etwa ein völliges Zersplittern von zeitlicher Identität (Nancarrows Musik liegt hier nicht weit). Auch das junge Dagan-Quartett, das zuvor Streichquartette von Hannenheim in ähnlicher Durchsichtigkeit vorgeführt hatte, konnte eine solche Erfahrung vermitteln.

Martin Wilkening

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