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Gallery Weekend 2019: Warum immer mehr Galerien nach Charlottenburg ziehen

Große Bewegung in der Szene: Mitte verliert ihre Anziehungskraft, etliche Galerien zieht es in den bürgerlichen Westen nach Charlottenburg.

Extrem viel Fantasie war nötig, um sich eine Zukunft an der Bundesallee Ecke Schaperstraße auszumalen. Sagt Jochen Meyer von der Galerie Meyer Riegger. Vor gut einem Jahr hat sie ihre spektakulär schönen Räume in Kreuzberg aufgegeben. Die Miete ist extrem gestiegen, dort wo die „taz“ neues Verlagshaus errichtete und so unfreiwillig zu einem Faktor der Gentrifizierung wurde. Es sei aber auch Zeit gewesen nach zehn Jahren in der Friedrichstraße, so Meyer. „Unsere Künstler haben teils mehrfach am alten Ort ausgestellt. Wir wollten ihnen neue, spannende Möglichkeiten geben.“ Das ist ihnen gelungen ist, wie sich mit einem Blick auf die neue Galerie schnell herausstellt.

Aus sechs kleinen, teils ziemlich verbauten Ladengeschäften haben Meyer und sein Arbeitspartner Thomas Riegger im Erdgeschoss einen reduzierten White Cube geschaffen. Das Büro im ersten Stock, in dem sich zuvor eine Kanzlei befand, besitzt den Charme eines klassischen Altbaus. Zwischen diesen beiden konträren Atmosphären vermittelt eine Treppe – und ihre Künstler haben die Wahl, mit welchen Parametern sie gerade umgehen wollen.

Sehnsucht nach Unversehrtheit?

Daniel Knorr hat gleich die ganze Fassade genommen. Seine mit Feuer behandelten Metallplatten schillern und erinnern an die Verkleidungen benachbarter Häuser, in denen früher einmal Clubs, oder besser: große Diskotheken residierten. Bewährter West-Berliner Stil, könnte man sagen und beschreibt damit ein Phänomen, das gerade immer sichtbarer wird. Die Galerien in der Stadt zieht es in den bürgerlichen Teil von Berlin. Meyer Riegger, Crone und Wentrup sind die jüngsten Adepten einer Wanderbewegung, die sich nicht länger übersehen lässt. Die (gar nicht mehr so) neue Mitte verliert ihre Anziehungskraft. Mehdi Chouakri ist schon länger da, Klaus Gerrit Friese ist gleich von Stuttgart an den Fasanenplatz gezogen. An die Stelle von Brachen und Ruinen tritt die Sehnsucht nach – ja was, Unversehrtheit?

Knapp zwei Jahrzehnte war Crone in Kreuzberg, als eine der ersten Galerien, die das Haus Nr. 26 zum Hot Spot für Kollegen wie Michael Werner oder Rafael Jablonka entwickelten. Doch der Ort unweit von Checkpoint Charlie hat in der jüngeren Vergangenheit gelitten, findet Crone-Direktor Markus Peichl. „Wir leben von den Sammlern, die in die Stadt kommen“, lautet seine Erfahrung. Und die Wege dieser für die Galerien so wichtigen Besucher verändern sich ebenfalls sukzessive.

Crone reagierte darauf. Erst mit Plänen für einen Neubau unweit von August- und Linienstraße, dem immer noch vitalen Galerienviertel in Mitte. Als sich die Pläne zerschlugen, dachte Peichl darüber nach, ob die Wiedereröffnung überhaupt lohnt. Es gibt eine Dependance in Wien, die Geschäfte dort laufen gut. Für Berlin schwebte dem Medienprofi ein Büro plus temporäre Räume vor. Letztere werden als „Crone Side“ seit Herbst 2018 am Tempelhofer Feld bespielt. Als Peichl dann seine Pläne mit den Künstlern und Sammlern der Galerie besprach, schallte es einigermaßen entrüstet zurück: „Wir brauchen eine Heimat!“

Gefunden hat Peichl dieses neue Zuhause mehr zufällig, auf einem Spaziergang durch die Fasanenstraße. Es handelt sich um ein ehemaliges Geschäft, in dem der Maler Clemens Krauss zum Gallery Weekend nun seine Ausstellung „100 Cuts“ präsentiert. Thema der Schau ist die Genitalverstümmelung: kein Sujet, das man mal eben im Vorbeigehen goutiert. Verkäuflicher sind wohl die Werke aus der privaten Sammlung Unruh bei „Crone Side“. Und tatsächlich offenbart sich erst in der Zusammenschau der Orte das neue Konzept einer Galerie, die beides sein will, Projektraum und repräsentative Adresse.

Verankert in einem funktionierenden Kiez

Für Crone hat es sich bereits gelohnt, gen Westen zu ziehen. „Unfassbar viele Künstler und Kuratoren“ seien hier unterwegs, meint Peichl. Und dass Berlin vor 20 Jahren ein Riesenversprechen gegeben habe. Nun aber, wo sich im ehemaligen Ostteil der Stadt immer mehr Bürgertum ansiedelt, zöge er dann doch das Original vor, den alten Berliner Westen eben.

Ein Statement, das die Galeristen Jan und Tina Wentrup jederzeit unterschrieben hätten. Privat lebt das Paar schon länger in Charlottenburg. Ihre Galerie lag am Tempelhofer Ufer, versteckt im Hinterhof, jede Eröffnung ein kleines Abenteuer. „Typisch Berlin“, sagt Jan Wentrup. Inzwischen hat man sich – ähnlich wie die Künstler: Nevin Aladag, Mariechen Danz oder Gregor Hildebrandt – ein Stück weiterentwickelt. „Vor zehn Jahren hätten wir uns noch nicht hier gesehen“, so Wentrup. Jetzt sind sie in der ehemaligen Schalterhalle auf der Knesebeckstraße, 1928 von der Post im Trend der Neuen Sachlichkeit errichtet, mit ihrer enormen Höhe und dem auffällig großen Schaufenster. Wer hier ausstellt, wie jetzt Florian Meisenberg und David Renggli, muss sich ein signature piece ausdenken, etwas, das bis nach draußen seine Wirkung entfaltet.

Hier sei man in einem funktionierenden Kiez verankert, schwärmt der Galerist. Nebenan sitzt mit Max Hetzler ein beispiellos wichtiger Vorgänger, mit dem man sich künftig bei den Eröffnungen abstimmt. Und zu Meyer Riegger, mit denen Wentrup seinerzeit parallel in Kreuzberg eröffnete, sind es auch nur noch sechs Minuten – mit dem Fahrrad.

Infos über die genannten Galerien auf www.gallery-weekend-berlin.de

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