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Kultur: Ganz, wie du willst

Eine Wiederentdeckung: Maeve Brennans Geschichten erzählen von den Glaswänden der Ehe

Manchmal schlägt Rose ihrem Mann Hubert die Küchentür vor der Nase zu, wenn er von der Arbeit kommt, und passt einen Moment ab, in dem sie ihm das Teetablett unbemerkt hinstellen kann. An anderen Tagen verhöhnt Hubert sie: „Vielleicht hat ja dein feiner John eines Tages eine eigene Gemeinde, dann kannst du gehen und ihm den Haushalt führen.“ Die Derdons geben sich gegenseitig Schuld am Auszug ihres Sohnes, der am Dubliner Priesteramt Aufnahme gefunden hat und nichts mehr von sich hören lässt. Seitdem wankt die Ordnung ihrer Ehe, und ihr Haus ist zur Bühne eines tragikomischen Nervenkrieges geworden.

Maeve Brennans Ehegeschichten sind zwischen 1962 und 1973 in loser Folge für den „New Yorker“ entstanden, für den sie damals auch Rezensionen, Essays und eine beliebte Kolumne über das Künstlerviertel Greenwich Village schrieb. Mit ihren Shortstories über die Derdons kehrte sie nach Dublin zurück, wo sie – 1917 geboren – gelebt hatte, bis ihr Vater 1934 als Legationsrat des jungen irischen Freistaates nach Washington übersiedelte. Gesammelt erschienen die Ehegeschichten erst 1997 unter dem Titel „The Springs of Affection“, der besser als der deutsche Titel „Mr. und Mrs. Derdon“ auf das Leitmotiv hinweist: das allmähliche Verschwinden von Gefühlen, Hoffnungen und Erwartungen, die es einmal gab zwischen Rose und Hubert.

Beide sind einander auf einer Party begegnet, die die Inhaberin eines Warenhauses für ihre Angestellten in ihrer neu eingerichteten Villa gibt. Roses Vater war an der Umgestaltung des großen Salons beteiligt, in dem jetzt getanzt wird; aber er lebt nicht mehr, und für die schüchterne Rose, die an seiner Stelle gekommen ist, scheint sich niemand zu interessieren – niemand außer Hubert, der sich in ihre grünen Augen verliebt.

Roses Mutter gibt ihm die Warnung mit auf den Weg, ihre Tochter sei eine „Miss Wichtigtuerin“ – voller Flausen im Kopf, er solle gut auf sie aufpassen; aber was immer er sich vom Leben mit ihr versprochen hat – es kommt anders. Bevor er es merkt, haben sich stille Übereinkünfte zwischen Rose und John gebildet. Hubert sieht sich in die Rolle eines störenden Dritten gedrängt, eines zu Wutausbrüchen neigenden Übeltäters, vor dem man auf der Hut sein muss. Rose, die zerbrechlich wirkende Kindfrau, hält mit erstaunlicher Energie das Haus in Ordnung, opfert sich für ihren vergötterten Sohn auf.

Maeve Brennan führt mit ironischer Leichtigkeit an die psychischen Abgründe zweier Menschen heran, deren Ehe ein Gefängnis geworden ist – so eng wie das schmale Reihenhaus, in dem sie leben. Manchmal stellt Rose sich vor, wie sie später, falls sie Hubert überlebt, in Johns Nähe ziehen, sich wieder um ihn kümmern würde. Hatte nicht Hubert selbst sie auf diesen Gedanken gebracht? Hubert seinerseits ist der Überzeugung, eine „Frau ohne Bedeutung“ geheiratet zu haben. Die Ergebenheit, hinter der sie sich nach Johns Fortgang verschanzt, ihr ewiges „Ganz, wie du willst“ oder „Vielleicht, wenn du möchtest“ machen ihn wütend und hilflos. Ihre träumerische, nach innen gerichtete Existenz ist ihm ein lästiges Rätsel, und doch drängt es ihn immer wieder, sie heimlich zu beobachten. Er hält es für undenkbar, „dass sie einfach so dahingelebt hatte, ohne von irgendetwas getragen worden zu sein, von einer Wahrheit oder einem Glauben, einem Zauberwort, einem Trost, den sie mit ihm hätte teilen können.“ Aber das Geheimnis ihres Daseins entzieht sich ihm, nimmt allenfalls in einzelnen Zügen Kontur an – ihrer geringen Eitelkeit, ihrer Unselbständigkeit, ihrem Mitleid mit Bettlern.

Die Erzählerin entfaltet Roses Charakter aus Huberts suchendem Blick, den Gefühlen und Erinnerungen, die dabei aufsteigen, seinen Gedanken über die Flüchtigkeit des menschlichen Lebens. Nicht nur dieses mit virtuoser Vielfalt der Töne und Ausdrucksebenen gehandhabte erzählerische Mittel, auch das Bild Dublins als einer düsteren, beengenden Stadt lässt an die frühen Geschichten von James Joyce, die „Dubliners“, denken. Maeve Brennan starb verarmt und geistig umnachtet 1993 in New York. Erst vor wenigen Jahren wurde sie mit ihrer frühen Novelle „Die Besucherin“ als Erzählerin wiederentdeckt.

Maeve Brennan: Mr. und Mrs. Derdon. Geschichten einer Ehe. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, Göttingen 2006. 176 S., 16 €.

Rolf Strube

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