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Kultur: Ganz zart bei sich

Philippe Herreweghe mit der Johannes-Passion beim Berliner Philharmonischen OrchesterVON MANUEL BRUGWer in Gent oder Brügge die himmelstrebende Gotik der Kirchen und das verspielt steinerne Fassaden-Maßwerk der alterskrummen Bürgerhäuser gesehen hat, der vermag durchaus zu verstehen, woher die schlichte, innig kontemplative Haltung kommt, mit der der Dirigent Philippe Herreweghe jetzt mit dem Berliner Philharmonischen Orchester Bachs Johannes-Passion aufgeführt hat.Das war kein pralles, farbentrunkenes teatrum mundi der religösen Art, das atmete die Atmosphäre der Tafelbilder eines Jan van Eyck oder Hans Memling, jener flämischen Primitiven, die mit ihren kunstvoll komponierten Triptychen, ihren feingefälteten Gewändern und akribisch gemalten Interieurs, ihren zartgliedrigen Madonnen und seelenvoll schmerzlichen Heiligen das milde Gegenstück bilden zu den Farbexplosionen und Gliederrasereien, den expressiven Temperamentsausbrüchen und orgiastischen Strichen des Barocks.

Philippe Herreweghe mit der Johannes-Passion beim Berliner Philharmonischen OrchesterVON MANUEL BRUGWer in Gent oder Brügge die himmelstrebende Gotik der Kirchen und das verspielt steinerne Fassaden-Maßwerk der alterskrummen Bürgerhäuser gesehen hat, der vermag durchaus zu verstehen, woher die schlichte, innig kontemplative Haltung kommt, mit der der Dirigent Philippe Herreweghe jetzt mit dem Berliner Philharmonischen Orchester Bachs Johannes-Passion aufgeführt hat.Das war kein pralles, farbentrunkenes teatrum mundi der religösen Art, das atmete die Atmosphäre der Tafelbilder eines Jan van Eyck oder Hans Memling, jener flämischen Primitiven, die mit ihren kunstvoll komponierten Triptychen, ihren feingefälteten Gewändern und akribisch gemalten Interieurs, ihren zartgliedrigen Madonnen und seelenvoll schmerzlichen Heiligen das milde Gegenstück bilden zu den Farbexplosionen und Gliederrasereien, den expressiven Temperamentsausbrüchen und orgiastischen Strichen des Barocks.Der Klang in der Philharmonie kam nicht zum Hörer, dieser mußte förmlich ihm entgegenwachsen.Denn durchscheinend und duftig ertönte schon der gerne massiv genommene g-Moll-Eingangschor, in dem auch der insistent pochende Achtelrhythmus der beiden Bässe als Teil einer vierfachen Schichtung zwischen Holzbläsern, Streichern und dem Chor aufging.Die 36 wie immer phänomenal naturhaft artikulierenden, von Herreweghe selbst vorbereiteten Sängerinnen und Sänger des RIAS-Kammerchores, fast die gleiche Anzahl mehr und mehr aufeinander hörender Instrumentalisten, die Sängersolisten zwischen Chor und Orchester weit weg plaziert, das wollte nie überwältigen durch Fülle und Wucht, das war ein fragiles akustisches Gemälde, das immer wieder den Text, die Verkündung des Wortes, die Auslegung der Schrift in den Mittelpunkt stellte und nicht melodieselige Wonnen.Selbst die disziplinierten, in ihren dynamischen Wirkungen überlegen abgestuften, rhythmisch ungemein beweglichen Turbae-Chöre wurden nie spitz oder laut, die Passion bot sich an, sie baute sich nicht auf.Glauben als Angebot, weniger als Befehl.Es sollte - nach einer ersten neuerlichen philharmonisch vorsichtigen Bach-Annäherung mit der Matthäus-Passion im letzten Jahr unter Abbado - eigentlich das Konzert Georg Soltis sein, es ist sein Requiem geworden; in zwei Wochen wird er endgültig in Budapest beigesetzt.Statt des Altmeisters nun ein Meister der Alten Musik: Philippe Herreweghe mit einem schönen Debüt (das gleiche Werk hat er letztes Jahr sogar schon den Wiener Philharmonikern nahegebracht), so vielfältig sind sie inzwischen und so souverän werden sie gehandhabt, die dirigentischen Handschriften unter dem philharmonischen Dach.Wobei es schwer fällt, in diesem Viertel sonstiger Großbesetzungen, solistisch denkend und vielfach auch solistisch agierend, dasselbe Orchester wiederzuerkennen.Bei solchen Entwicklungen wird sich so mancher reisende Pultroutinier künftig warm anziehen müssen.Auch die Sänger hatte Philippe Herreweghe von Solti geerbt - mit unterschiedlichem Ergebnis.Der Tenor Herbert Lippert schien zwar Bachs Noten vor sich, aber Johann Strauß im Kopf zu haben, Ruth Ziesack zerpiepste manieriert die Sopranarien.Anne Sofie von Otter, der diese Alt-Partie etwas tief liegen mag, hatte sich erst in der "Es ist vollbracht"-Arie mit konzentrierter Tonfülle eingesungen; dann aber wonniglich.Sehr schön die beiden Dresdner Matthias Görne und René Pape als nobler schlichter Christus und markig beamtenhafter Pilatus sowie kontemplativ-inniger Verweser der Baßarien.Auch Christopher Prégardien brauchte Evangelisten-Anlaufzeit, gestaltete dann aber ganz undeklamatorisch und schlank.Ein latentes Gefährdetsein im Vorwärtsschreiten, eine fein lasierte Verletzlichkeit umfing diese Aufführung.Vielleicht weil der Chor eindeutig im Mittelpunkt stand, mit ihm als Kommentator oder aktivem Teil beständig die Perspektive gewechselt wurde.Das Orchester hatte sich dem unterzuordnen, mußte die neugewonnene Freiheit erst nutzen lernen, was anfänglich offenbar auch einige der Solisten irritierte.Doch später dann, beim still und selig sich verströmenden Choral "Ruhet wohl, ihr heiligen Gebeine", hat diese berührende Aufführung ganz zu sich gefunden.

MANUEL BRUG

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