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Kultur: "gap stories two": Trance des Alltags

Jeder kennt die Situation, in der er aus dem Haus geht und sich fragt, ob er das Gas abgedreht hat. Oder das Licht ausgemacht.

Jeder kennt die Situation, in der er aus dem Haus geht und sich fragt, ob er das Gas abgedreht hat. Oder das Licht ausgemacht. Diese alltäglichen Situationen weisen darauf hin, dass wir nicht immer und bei allem voll dabei sind. Ganz im Gegenteil scheint unsere Wahrnehmung durchlöchert zu sein von getrübten Momenten und kleinen Abwesenheiten, von blinden Flecken und grauen Staren. Paul Virilio hat aus dieser Befindlichkeit vor einiger Zeit eine Filmtheorie entwickeln wollen; der Berliner Künstler Les Schliesser hat aus den Wahrnehmungslücken eine kleine feine Filmserie gemacht, die derzeit bei griedervonputtkamer zu sehen ist.

In einem Streifen der "gap stories" verlässt ein Mann das Büro. Auf dem Weg putzt er sich gedankenverloren die Schuhe auf einem weissen Blatt Papier ab. In einem zweiten Film kommt eine junge Frau nach Hause, putzt sich die Zähne, bis sie schliesslich aus ihrer alltäglichen Trance wieder aufwacht, woraufhin sie in einem Schwall ihr Zahnputzwasser ausspuckt. Ein dritter Streifen der Lückengeschichten zeigt einen Typ in einem Auto auf der Autobahn. Der gleichförmige Wechsel von Blick auf die Autobahn, Blick in den Rückspiegel, Blinker rechts, Blick auf den Tacho inszeniert einen einschläfernden Rhythmus. Eigentlich passiert nichts. Oder doch? Hat man vielleicht etwas verpasst, nicht wahrgenommen?

Plötzlich merkt man an den wiederkehrenden Streckenbegrenzungen, dass der Mann immer wieder dasselbe Stück passiert. Seine Autobahnfahrt ist eine ewige Wiederholung des Immergleichen: ein ewiger Aussetzer. Doch zwischen der Veränderung des Fortkommens und der Wiederholung der Strecke öffnen die "gap stories" plötzlich einen merkwürdigen Raum. Zwischen dem Öffnen und dem Schließen der Augen wird eine Dimension entdeckt, die weder dem Wahrgenommenen noch dem Abwesenden, weder dem Schlaf noch dem Wachen, weder der Realität noch der Fiktion angehört. Ebensowenig wie Schliesser sich an das Nachstellen der Wahrnehmungslücken machen würde, geht es um deren Nachempfindung. Vielmehr generiert er modellhafte Situationen, die den blinden Fleck darstellen, der jeder Darstellung flieht. Alle Filme Schliessers stellen ein äußeres Setting bereit für eine Reise ins Innere, die weder das Eigentliche noch das Uneigentliche zeigt.

Dabei ist das äußere Setting alles andere als unwichtig; Schliessers Reisen ins Innere verdampfen nicht in artikulationsloser Esoterik. Allein die Tatsache, dass der Künstler Mitbegründer der Designer / Künstler / Fotografen-Kooperative "soup" ist, weist darauf hin, dass ihm das Erscheinungsbild nicht ganz egal sein kann. Aber auch die aufwendige Inszenierung der "gap stories" und deren Arrangement im Galerieraum sagen einem, dass jede Lücke in Beziehung steht zu den Wänden, die sie umgrenzen. Frei nach dem Motto "keine Lücke ohne Raum" ließ Schliesser sowohl Film als auch Galerieraum von anderen Mitgliedern der soup-Kooperative ausstatten.

Im Galerieraum führte dieses Motto zu einer Wandbemalung, die in den Innenraum per verschlungener Symbolik den Regen hineinzaubert, der sonst dem Außenraum vorbehalten ist. Spaziert man an diesem Einbau einer Außenwelt in eine Innenwelt vorbei, gelangt man zu einer weiteren Innenwelt aus Wänden. Diese Schale umgrenzt den Videoraum wie ein Allerheiligstes, das durch die Filmbilder wieder zu einem Außenraum gerät. Ein Außenraum des Innenraums des Außenraums der Wahrnehmung: Das ist die Analogie, die Schliessers labyrinthische Galerieeinbauten an den verlorenen Raum der Wahrnehmungslücke bindet. In dieser Lücke wird weder das Äußere noch das Innere sichtbar, sondern die Grenze zwischen ihnen, die beide formatiert.

Zwischen Lifestyle und Traumästhetik, fühlen sich Schliessers Bilder an wie die unmerklichen Momente des Eintauchens und Abtauchens aus einem Swimmingpool - die man kaum wahrnimmt. (Videoinstallation: Preis auf Anfrage; Stills in Auflage 1800 Mark; Sitzmöbel "soup" ab 900 Mark.)

Knut Ebeling

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