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Kultur: Garten der Lüfte

Traum in Rosarot: Vladimir Malakhov inszeniert „Dornröschen“ mit dem Berliner Staatsballett

Von Sandra Luzina

Rosa, wohin das Auge auch blickt. Die Rede ist nicht von der aktuellen Herbstmode, sondern von Dornröschens neuen Kleidern. Vladimir Malakhov hat das Tschaikowsky-Ballett neu inszeniert – und ihm einen niedlichen Look verpasst. Sein Ausstatter Valery Kungurov schwelgt in allen Schattierungen von Zartrosé bis Rosarot. Pretty in Pink: Es sind vor allem die Herren, die hier von Kopf bis Fuß in Barbies Lieblingsfarbe auftrumpfen. Vom Schühchen mit Schleife, dem bestrumpften Bein bis zur steifgelockten Perücke: Alles ist konsequent Ton in Ton gehalten.

Mit dem opulenten „Dornröschen“ startet das Staatsballett Berlin in seine zweite Spielzeit. Intendant Vladimir Malakhov setzt in seiner Neufassung konsequent auf Schauwerte. Absichtlich überladen, putzig und pompös – die Hofgesellschaft von König Florestan XIV., die zur Taufe von Prinzessin Aurora geladen ist, schrammt immer haarscharf an der Geschmacklosigkeit vorbei. Eine augenzwinkernde Naivität legt dieses „Dornröschen“ an den Tag, als wolle es uns immer wieder zuflüstern: Wir sind doch nur im Märchen.

Die Inszenierung ist ein selbstbewusstes Bekenntnis zum Kitsch – und Prinz Desiré eine maßgeschneiderte Rolle für Malakhov. Er erzählt die alte Geschichte freilich nicht neu, er hat das Ballett lediglich in einen Rosengarten verpflanzt. Malakhovs Überarbeitung des Klassikers gleicht einer liebevollen Gärtnerarbeit. Viel wurde weggeschnitten, die Ornamentik von Petipas Choreografie herausgearbeitet, außerdem wurden einige blumige Extras hinzugefügt. Sechs anstatt der ursprünglich fünf Feen verkörpern die Macht des Guten, eine weibliche Eingreiftruppe mit durchschlagendem Erfolg wie Charlie’s Angels, nur von schmetterlingshafter Grazie. Angeführt werden sie von der Fliederfee, die Beatrice Knop als souveräne superwoman spielt, an der jeder Zauber zerschellt.

Ihre Gegenspielerin ist die böse Fee Carabosse, die größte Drag Queen der Ballettgeschichte. Der grandiose Michael Banzhaf leiht ihr eine morbide Nachtclub-Dekadenz, hat aber leider nicht viel zu tun. Diana Vishneva, Stargast vom Moskauer Bolschoi Ballett, gelingt eine reizvolle Interpretation der erblühenden Prinzessin Aurora. Eine brillante Ballerina, die aber, wenn sie nicht gerade von der Rose gestochen wird, mit einem einzigen Strahlelächeln auskommt. Die Aurora ist eine anspruchsvolle Partie: Beim berühmten Rosen-Adagio muss die Ballerina prekäre Balancen meistern und Standfestigkeit demonstrieren. Doch Vishneva verlangte es ein wenig zu schnell nach der stützenden Hand der sich abwechselnden Kavaliere.

Das gestraffte „Dornröschen“ dauert bei Malakhov gut zweieinhalb Stunden. So bleibt reichlich Zeit für tänzerisches Divertissement, die eigentliche Liebesgeschichte spielt sich aber in rasender Eile ab. Wo Nurejew seinen Part auch technisch aufwertete, hat Malakhov wieder beschnitten. Spät tritt er auf – und hat auch nicht allzu viel zu tanzen. Zwar ist keiner so ergriffen vom Anblick einer schönen Frau wie Malakhov. Keiner kniet so ergeben nieder vor der Fliederfee. Als Prinz beschwört er große Gefühle, doch als Choreograf lässt er kaum Zeit für die erblühenden Leidenschaften, für ein Nachglühen von Emotionen. Kaum ist die schlafende Schöne wachgeküsst, wird auch schon geheiratet. Schon beginnt das große Zeremoniell mit dem Aufmarsch der Märchengestalten. Den krönenden Grand Pas de deux meistern Malakhov und Vishneva dann bravourös, überirdisch wirkte das Traumpaar nicht.

Mit „Dornröschen“ kann das Staatsballett Berlin mit einer beeindruckenden Solistenriege auftrumpfen und auch optisch überzeugen. Ein gewisses Ungenügen bleibt aber zurück: „Dornröschen“, diese üppige Schöne, hat hier an Gewicht verloren, ohne dadurch neue Bedeutung zu gewinnen. Und musikalisch gerät der Abend zum Desaster. Nun verführt das Staatsballett erst einmal zum Kussvergleich. Im November sind die Jungen dran: Polina Semionova, der Star der Berliner Balletts, wird die Prinzessin Aurora tanzen – wachgeküsst wird sie von dem aparten Artem Shpilevsky.

Nächste Vorstellungen: 28.10., 9. und 11.11., jeweils 19.30 Uhr, Deutsche Oper

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