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Verdis "Otello" in Dessau

© Claudia Heysel/Anhaltisches Theater

Gastbeitrag: Lob der Provinz

Tagesspiegel-Leser Ingo Fessmann hat Opernaufführungen in Dessau, Rostock, Cottbus sowie Görlitz besucht - und ist begeistert. Ein Reisebericht.

Nicht weniger als drei Opernbühnen vor der Haustüre, dazu die Neuköllner Oper und diverse halbprofessionelle Kompanien, verständlich, dass die Berlin umgebende Region meist außen vor bleibt. Doch wie so oft steckt hinter solcher Haltung auch ein Stück Vorurteil. Jedenfalls macht es Spaß, einmal die unsere Stadt umgebenden Bühnen aufzusuchen. Binnen vier Wochen Fahrten nach Dessau, Rostock, Cottbus und Görlitz: alle erwiesen sich als jeweils höchst erlebnisreiche, lohnenswerte Unternehmung.

Allein das Publikum. Jeweils im Schnitt noch eine Kante älter als hierzulande, auf der anderen Seite durchaus einen Tick festlicher gekleidet als in Berlin üblich. Überhaupt meint man rundum ein wenig mehr Freude, Vorfreude, zu verspüren; so, als sei der Aufführungs-Besuch noch eine bewußt  und intensiv wahrgenommene Sache. Das Wissen um die Region zeitigt offenbar auch spürbar schöne, positive Züge.

In Dessau, im Anhaltischen Theater, stand als erstes Verdis „Otello“ auf dem Programm (der Name ohne „h“ geschrieben, weil so ja der originale italienische Titel lautet), wobei die Inszenierung zwar durchaus sehenswert ist, alles in allem aber ein wenig bieder, ja brav daher kommt. Szenisch beeindruckend die Besetzung der Hauptfigur mit einem fast hünenhaften und insbesondere dunkelhäutigen Tenor (Ray M. Walde): das ist in der Tat ein orientalischer Feldherr par excellence. Stimmlich hält sich sein Part allerdings in Grenzen. Enttäuschend gar ist das Dirigat (Markus L. Frank). Was da aus dem Orchestergraben zu hören ist, enthält wenig von dem von Giuseppe Verdis so typischen Klang. Keine musica italiana, keine Töne, die man etwa mitsummen wollte.

Der Rostocker "Freischütz" geht gleich zu Beginn unter die Haut

Umso beeindruckender dann das Rostocker Volkstheater mit Carl Maria von Webers „Freischütz“. Dass es sich bei der Aufführung um die Premiere handelte, mag befeuernd gewirkt haben, die Truppe spielte jedenfalls voller Kraft und Schwung. Besonders erwähnenswert die beiden weiblichen Hauptrollen, die Besetzung des Ännchens (Claudia Sorokina) und der Agathe (Olivia Weidinger). Die Inszenierung (Regie: Hans-Joachim Frey) ist ausgesprochen intelligent, die Personen-Führung voller Plausibilität. Kein Gedanke etwa an Provinz, das Ganze könnte einem vielmehr ebenso in Leipzig oder Dresden begegnen (Berlin außen vor gelassen). Dies nicht zuletzt auch wegen des engagierten Dirigats (Manfred H. Lehner), bei dem die – manchmal ja etwas schwerfälligen – Melodien des Komponisten durchaus mit Schwung und Elan „rüber kamen“. Rüber kamen zu einem Publikum, das sich entsprechend angetan zeigte. Lang anhaltender Beifall.

Auch im Nachhinein als geradezu faszinierend erweist sich der Einfall der Regie, der gleich zu Beginn über die Bühne geht: der Vorhang hebt sich nämlich zunächst nur bis zur etwa Kniehöhe, wobei rund 30 meist in Stiefeln steckende (Männer-)Beine zu sehen sind, alle auf der Stelle tretend, stakkatohaft stampfend. Rhythmisch stampfende Beine – das Ganze geht einem unter die Haut, wirkt unmittelbar bedrohlich. Ein assoziativer, höchst eindringlicher Hinweis auf das bekanntlich „deutsche Element“ in diesem Stück. Der „Freischütz“ gilt ja als der Urtypus der „deutschen Nationaloper“. Wie groß und gleichzeitig wie erschreckend war/ist es um unser Deutsch-sein bestellt, seitdem das Stück vor rund 200 Jahren entstanden ist!

Cottbus bietet ein Feuerwerk an gesanglichen Auftritten

Im (brandenburgischen) Staatstheater Cottbus sodann eine geradezu furiose Aufführung des „Don Giovanni“ in der Regie von Martin  Schüler, dem Intendanten , und mit einem Ensemble, dessen Temperament und Schwung einem fast den Atem nimmt. Schüler hat ja schon wiederholt mit exzellenten Inszenierungen überregional auf sich aufmerksam gemacht; wer erinnert sich nicht  der Freiluft-Inszenierung des „Fidelio“ auf dem Gelände des ehemaligen Cottbusser Staats- bzw. Stasi- Gefängnisses, wo die Aufführung schon wegen dieses Orts faszinierte, nicht zu reden von der szenischen Dichte, mit der Ludwig van Beethovens Gefängnis-Stück dort präsentiert wurde. Diesmal nun Mozarts späte Oper voller Verrücktheiten und menschlichen Leidenschaften. Wobei die Inszenierung eine an Tempo und Innigkeit kaum mehr zu überbietende Intensität besitzt. Es vergeht einem dabei gleichsam Hören und Sehen. „Musik pur“. Man muss unwillkürlich an die Verrücktheiten Mozarts in der „Cosi“ denken, wo die Figuren bekanntlich einerseits ihre Rolle jeweils „spielen“, also bewusst vorführen, andererseits jedoch im durchaus direktem Kontrast vom Leben gefangen genommene junge Menschen sind, Figuren mit durchaus „echten“ Gefühlen und Empfindungen.

Dabei findet auf der Cottbusser Bühne nachgerade ein Feuerwerk an gesanglichen Auftritten statt. Dementsprechend jubelhaft denn auch der Beifall. Wobei stimmlich auch in dem Fall, wenn das überhaupt erlaubt ist, die Frauen hervorzuheben sind, Donna Anna (Sara Rossi Daldoss), Donna Elvira (Debra Stanley) sowie vor allem Zerlina, das Bauernmädchen (Liudmila Lokaichuk).  Daneben ragt der Dirigent Evan Alexis Christ heraus. Er erzeugt eine Art musikalischen Furor – was lässt sich Schöneres über einen Opern-Abend sagen!

"Don Giovanni" am Staatstheater Cottbus
"Don Giovanni" am Staatstheater Cottbus

© Marlies Kross/Staatstheater Cottbus

Die vierte Station schließlich ist Görlitz, die gewiss schönste und städtebaulich interessanteste der vier besuchten Städte, unsereinen auch insofern anrührend, als die so großstädtisch angelegte Innenstadt selbst am Wochentag halb verlassen wirkt. Immer wieder leerstehende Häuser und zur Vermietung ausgeschriebene Läden. „Kein Wunder“ geht es dem Besucher durch den Kopf, ist doch am Stadtrand ein Einkaufszentrum neben dem anderen zu sehen, voll geparkt mit einheimischen und polnischen Pkws. Da kann man der Stadt an der Neiße nur kräftig die Daumen drücken. Möge sie solche (Fehl-) Entwicklungen aushalten und das verlorene Terrain eines Tages wieder zurück gewinnen!

Umso beeindruckender, dass Görlitz mit dem Gerhart-Hauptmann-Theater noch immer eine eigene Bühne unterhält, sogar mit Schauspiel, Oper und Tanz im klassischen Drei-Sparten-Betrieb. Dabei weiß allein schon der im Stil des Historismus gehaltene Zuschauerraum zu gefallen. Darauf bezogen sei zuweilen von der „kleinen Semper-Oper“ die Rede, so ein Text im Begleitheft zu der Aufführung. Man reibt sich einen Moment  lang die Augen, dem Ansatz nach ist solche Kennzeichnung aber in der Tat nachvollziehbar.

Das kleine Görlitz wagt sich an Wagners "Tannhäuser"

Auf dem Programm stand in dem Fall Richard Wagners „Tannhäuser“, also ein Werk, das jeder Bühne viel an Kraft und Können abverlangt. Und auch hier gelang den Gastgebern eine auf ganzer Linie überzeugende Leistung. Der Tannhäuser (Franco Farina) ist zwar vom Typus her weniger ein Grübler oder Zauderer, stattdessen eine (italienische) Rundfigur mit entsprechend kraftvoller (wenn auch manchmal zu lauter) Stimme, dem die Elisabeth bzw. Venus, beide Rollen von ein und derselben Sängerin besetzt (Patricia Bänsch), weder szenisch noch stimmlich nachstand. Dazu ein in puncto Stimme und Ausdruck geradezu vorzüglicher Wolfram von Eschenbach (Ji-Su Park). Keine Frage, das Ganze kann sich sehen lassen. Dies sogar derart eindrücklich, dass sich leichten Herzens über zwei, drei albern anmutende kleine Einschübsel der Regie (Francois de Carpenties) hinweg sehen lässt. So, wenn es um Elisabeths Nichterfüllung von ehelicher Liebe geht, dann jedes Mal eine als Krankenhaus-Schwester gekleidete junge Frau einen leuchtend roten Babywagen über die Bühne zieht. Zwar dies jeweils en passant, doch nicht weniger demonstrativ. Als wüssten wir nicht selbst, was weibliche Entsagung in letzter Konsequenz bedeutet.

Alles in allem: Vier Mal Oper in der Region, vier Mal höchst sehenswerte Aufführungen. Die Fahrten seien Dritten kräftig zu Nachahmung empfohlen!

Ingo Fessmann, geboren 1941 in Bamberg, promovierte 1972 zum Dr. iur. mit dem Thema "Rundfunk und Rundfunkrecht in der Weimarer Republik". Anschließend arbeitete er als Justiziar beim Bayerischen Rundfunk und beim WDR. In Köln war er Syndikus des Deutschen Bühnenvereins, von 1984 bis 1996 dann Abteilungsleiter in der Berliner Senatskulturverwaltung. Seither praktiziert Ingo Fessmann als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Erb- und Stiftungsrecht in Berlin.

Ingo Fessmann

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