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Alan Gilbert und sein New York Philharmonic kommen im Mai nach Berlin.

© Chris Lee

Gastorchester in Berlin: Willkommen, Bienvenue, Welcome!

Berlin ist so attraktiv wie nie. Die Touristen strömen und genießen die einmalige Kulturlandschaft in der deutschen Hauptstadt. Die wird auch von Orchestern aus aller Welt bewundert: Auf ihren Tourneen wollen sie darum unbedingt in der Philharmonie gastieren. Doch auswärtige Orchester haben es schwer auf dem Berliner Klassikmarkt.

Alle wollen sie nach Berlin. Nicht nur die Kreativen und Innovativen, die Newcomer und Shootingstars, sondern auch die etablierten Sinfonieorchester aus aller Herren Länder. Ein Auftritt in der deutschen Hauptstadt sieht einfach zu gut aus im Tourneeplan. Schließlich gibt es derzeit höchstens zwei Metropolen, die in Sachen Klassik mit Berlin mithalten können: London und New York.

Genau das allerdings wird für die Gäste von außerhalb häufig zum Problem: Berlin erscheint ja deshalb so anziehend, weil die örtliche Szene so spannend ist. Mit den Berliner Philharmonikern, der Staatskapelle, dem Deutschen Symphonie-Orchester, dem Rundfunk-Sinfonieorchester und dem Konzerthausorchester sind hier fünf Ensembles aus der Champions League der Klassik beheimatet. Mit denen möchten sich andere Lokalmatadoren als aller Herren Länder natürlich gerne messen. Am liebsten in der Höhle des Löwen, der Philharmonie.

Allerdings zuckt das Berliner Publikum oft nur mit den Schultern, wenn es die Ankündigungen der Gastspiele sieht, selbst bei Formationen mit großen, traditionsreichen Namen. Es fühlt sich mit den eigenen tollen Truppen eben schon bestens versorgt. Und günstiger ist der Besuch bei den heimischen Ensembles auch fast immer. Zwar hofft heute kaum noch ein Orchester, durch Tourneen Geld verdienen zu können – doch allein mit einer Hundertschaft zu reisen, verursacht schon enorme Kosten.

Dennoch lohnt es sich fast immer, den Gästen von außerhalb sein Ohr zu leihen. Nur wer die lokalpatriotische Hörhaltung mal für einen Abend aufgibt, kann neue, überraschende Klangerfahrungen machen. Wie jüngst beim Berlin-Auftritt der Tschechischen Philharmonie Prag. Da war zu erleben, dass sich Orchester tatsächlich nach den Städten anhören können, aus denen sie kommen. Denkt man an Prag bei Nacht, tauchen vor dem inneren Auge sofort barocke Fassaden auf, enge Gassen, getaucht in gelbliches Laternenlicht. Und genau so tönt die Tschechische Philharmonie: sehr dicht der Streichersound, dazu völlig kantenlos, kompakt auch die Bläser. Die Musiker spielen mit Emotion und Emphase, dennoch bleiben selbst Akkorde in voller Orchesterstärke erstaunlich weich. Ein nostalgischer Elfenbeinturm-Tonfall, erzeugt von einem Podium voll Kavaliere alter Schule.

Fest davon überzeugt, dass die geistige Herkunft den Sound eines Orchesters prägt, ist auch Jan Vogler. Der 49-jährige Cellovirtuose gehört zum globalen Klassik-Jetset, kommt also viel herum in der Welt. In seinem Zweitjob als Intendant der Dresdner Musikfestspiele hat er jetzt das New York Philharmonic Orchestra nach Deutschland eingeladen. Zwei Programme präsentieren die Amerikaner unter ihrem Chef Alan Gilbert in Dresden, ein drittes in Berlin, am 11. Mai im Konzerthaus. „Dieses Orchester ist nicht nur so international wie der Schmelztiegel New York“, schwärmt Vogler, „Es spiegelt die Art wieder, wie man in New York lebt. Hier hat keiner Zeit, sich mal zurückzulehnen, um eine Sache durchzudenken. Es gilt, immer sofort auf den Punkt zu kommen. So spielt eben auch das Orchester: sehr wach.“

Authentizität nimmt auch das Orchestre National de Radio France für sich in Anspruch, das am 10. März mit Meisterwerken von Debussy und Ravel in die Philharmonie kommt. Croissants kann man ja mittlerweile selbst in den winzigsten Provinzdörfchen bei jedem Bäcker kaufen – so richtig echt aber schmecken sie nur in Frankreich. Weil dort schon das Mehl anders gemahlen wird, weil Produzenten wie Käufer seit Generationen ihre strengen Maßstäbe an die Hörnchen anlegen. Lange Schlangen wie vor der beliebtesten Boulangerie des Quartiers wünscht sich das Orchester aus Paris auch bei seinem Berlin-Gastspiel. Das Ensemble verspricht, bei der Interpretation des französischen Repertoires Premiumqualität zu liefern, gewissermaßen die Entsprechung der croissants pur beurre, der mit reiner Butter gebackenen Leckerbissen.

Viele Orchester nehmen berühmte Solisten mit auf Reisen – in der Hoffnung, dass diese als Zugpferd fungieren, das Publikum anlocken. Da allerdings haben die Franzosen diesmal Pech: Ivo Pogorelich, der am 10. März ein Chopin-Klavierkonzert spielen wird, hat genau das auch schon 2010 beim Tournee-Zwischenstopp mit dem Philharmonia Orchestra London sowie 2011 mit dem Orchestra della RAI Torino getan. Sein polnischer Pianistenkollege Rafal Blechacz hingegen, der am 6. März mit dem Tonhalle-Orchester Zürich in die Philharmonie kommt, dürfte da mehr Neugierige anlocken. Nach den drei umjubelten Solo- Abenden, die er seit 2010 in Berlin gegeben hat, ist er nun mit Beethovens 2. Klavierkonzert zu erleben.

Der Abend ist aber auch eine letzte Gelegenheit, die enorme Vertrautheit der Zürcher Musiker mit ihrem Chefdirigenten David Zinman zu beobachten. Nach 18 fruchtbaren Jahren werden sich die Wege des amerikanischen Maestro und des Tonhalle-Orchesters im Sommer trennen. Noch länger, nämlich von 1979 bis 2002, stand Mariss Jansons an der Spitze des Oslo Philharmonic Orchestra und machte in dieser Zeit aus einem soliden Ensemble eine Spitzentruppe. Von diesem Ruhm zehren die Norweger bis heute. Am 7. Mai wollen sie beim Berlin-Gastspiel unter ihrem aktuellen Chefdirigenten Jukka-Pekka Saraste nun den Beweis antreten, dass sie ihre Klasse gehalten haben.

Gleich zweimal schaut in dieser Saison die Dresdner Philharmonie an der Spree vorbei: Am 3. März dürfte es kaum schwerfallen, die Philharmonie zu füllen, steht dann doch der 85-jährige, von seiner Parkinson-Krankheit gezeichnete Kurt Masur am Pult. Am 3. Mai wiederum, wenn Rafael Frühbeck de Burgos dirigiert, stellt Violinsolistin Anne-Sophie Mutter die Attraktion des Abends dar. Andererseits: Mögen die durchreisenden Orchester auch mit noch so berühmten Namen prunken – früher oder später treten die Stars ja alle auch bei den hiesigen Institutionen auf.

Worauf können die Sinfonieorchester, die es so magisch in die deutsche Hauptstadt zieht, also hoffen, wenn sie ihre Tickets an den Mann bringen wollen? Auf die Neugier jener Berliner, die auch mal über den Tellerrand hinaushorchen mögen. Und natürlich auf all jene, denen die arme deutsche Hauptstadt ebenso sexy erscheint wie ihnen selber: die Kulturtouristen.

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