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Offen für Deutungen. Andrey Berezin, provisorisch eingerichtet in Bauschs Trümmerlandschaft.

© Laurent Philippe/Berliner Festspiele

Gastspiel von Bausch-Klassiker: Pina und die Mauer

Das Wuppertaler Tanztheater zeigt die Bausch-Choreografie „Palermo Palermo“ von 1989 im Haus der Berliner Festspiele.

Von Sandra Luzina

Gleich zu Beginn von „Palermo Palermo“ hält das Publikum den Atem an. Das Bühnenportal im Haus der Berliner Festspiele ist komplett zugemauert. Mit lautem Krachen stürzt die dicke Mauer aus Hohlsteinen dann ein. Eine Wolke aus Staub hängt noch in der Luft, wenn die ersten Tänzer das wüste Gelände betreten. Pina Bauschs Stück feierte am 17. Dezember 1989 in Wuppertal Premiere. Sie hatte wohl nicht die Absicht, ein explizit politisches Stück zu machen. Doch damals erblickten alle in dem Stück einen hellsichtigen Kommentar zum Mauerfall, der sich erst wenige Wochen zuvor ereignet hatte. Diese Assoziation weckt die Produktion auch heute noch. Wie es überhaupt die Arbeiten von Pina Bausch auszeichnet, Raum zu geben für ganz unterschiedliche Deutungen. Es war dann wohl doch der Aufenthalt auf Sizilien – „Palermo Palermo“ entstand als Koproduktion mit dem Teatro Biondo Stabile –, der die Choreografin und ihren Bühnenbildner Peter Pabst beeinflusst hat. Palermo ist ja auch für seine verfallenden Altbauten bekannt.

Sieben Jahre war das Wuppertaler Tanztheater nicht in Berlin. In „Palermo Palermo“ stehen nun viele der altgedienten Tänzer, die noch mit Pina Bausch gearbeitet haben, die sie inspiriert haben, auf der Bühne. Die Älteren, allesamt gereifte Tänzerpersönlichkeiten in ihren Fünfzigern oder Sechzigern, sind eine Wucht – sie stehlen den wenigen Jüngeren fast die Schau. Am Ende der knapp dreistündigen Aufführung wurde das weltberühmte Ensemble vom Berliner Publikum mit Standing Ovations gefeiert.

Sehnsucht und Schmerz, Stolz und Zartheit – Bauschs alte Tänzer berühren

Die Tänzer bewegen sich die ganze Zeit über durch eine Trümmerlandschaft, barfuß oder schwankend auf Stöckelschuhen. Pina Bausch hat ja oft Bühnenbilder verwendet, die das Schön-Tanzen erschweren. Als erste kommt Julie Shanahan auf die Bühne. „Scott“, ruft sie, „nimm meine Hand! Umarme mich!“ Ihre Anweisungen äußert sie mal flehentlich, mal herrisch. Doch die Frau bettelt nicht nur um Zärtlichkeit. Sie fordert den jungen Tänzer sogar auf, sie mit matschigen Tomaten zu bewerfen, sagt ihm genau, wohin er zielen soll. Es ist eine der stärksten Szenen des Abends: Julie Shanahan ist eine Meisterin darin, ambivalente Gefühle auszudrücken. Eine ganze Palette widersprüchlicher Emotionen veranschaulichen die kurzen Solonummern, aus denen „Palermo Palermo“ überwiegend besteht. Getanzt wird eher sparsam, doch wenn die Tänzer dann loslegen, sind sie hinreißend, Sehnsucht und Schmerz, Stolz und Zartheit – all das legen sie in ihre Tänze.

Neben süditalienischer Musik sind Blues, Jazz und afrikanische Klänge zu hören. Das Stück spielt mit Sizilien-Klischees, verdreht sie aber oft ins Komische. Besonders lustig ist die Spaghetti-Nummer von Nazareth Panadero. Den Arm voller Pasta, sagt sie mit kindlichem Trotz: „Alles meine. Die gehören alle mir.“ Andrey Berezin schießt mit dem Revolver auf Tomaten, das mag eine Anspielung auf die Mafia sein. Früchte spielen eine wichtige Rolle. Ein Tänzer packt Orangen und Ananas aus einem Karton wie bei einer Bescherung. Auch Wasser ist hier ein kostbares Gut und wird aus kleinen Kännchen auf die Bühne geträufelt. Verschwendung und Mangel sind Themen, die sich durchziehen. In einer Prozession schreitet das Ensemble mit Pappkartons über die Bühne und wirft mit feierlicher Geste Verpackungsmüll auf den Boden. Bei dieser Szene denkt man nicht nur an Palermo und sein Müllproblem, sondern auch an unsere Wegwerfgesellschaft. Später schmeißen die Tänzer die Früchte an die Rückwand. Zum Schluss haken sie sich unter: Alle balancieren einen Apfel auf dem Kopf und werden zur kollektiven Zielscheibe.

Nächste Saison bekommt das Ensemble eine neue Chefin, von außen

„Palermo Palermo“ ist ein sehr melancholisches Stück. Eine Fülle an Material wird angehäuft, aber nicht jede der winzigen Episoden wirft ein Schlaglicht auf die Alltagsthemen, die verhandelt werden. Es sind vor allem die kleinen Egoismen und Gemeinheiten, die Bausch gekonnt aufspießt.

Das Wuppertaler Tanztheater wird – sieben Jahre nach dem Tod von Pina Bausch – immer noch weltweit bejubelt. Es sind die älteren Tänzer, die Pina-Getreuen, die die Stücke am Leben erhalten. Doch es besteht die Gefahr, dass das Ensemble zum wandelnden Museum wird. Deshalb wurde nun eine „Externe“ zur künftigen Leiterin berufen. Adolphe Binder, derzeit noch künstlerische Direktorin der Danscompani an der Oper Göteborg, wird ab der Spielzeit 2017/18 das Wuppertaler Tanztheater leiten. Sie steht vor einer gewaltigen Aufgabe: Auf der einen Seite muss sie das große Repertoire pflegen: Zwischen 1973 und 2009 sind unter Bauschs Leitung 44 Stücke entstanden. Auf der anderen Seite muss sie mit Neukreationen für eine künstlerische Weiterentwicklung sorgen, im Geiste von Pina Bausch. Dazu braucht es Choreografen, die einen genauen Blick auf den Menschen werfen – und sich auf ihre Tänzer einlassen.

Noch einmal heute, Montag, 19.30 Uhr

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