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Kultur: Gauchos mit Schläfenlocken

Argentinien als Gelobtes Land: eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin

„Dann fuhr ich zu mein’ Schwager, Mojsche Grün / der wohnt in Buenos Aires, Argentin / Er hat a Hazienda, sitzt am Pferd / und pflanzt sich die Bananen in die Erd“, singt Georg Kreisler in seinem Lied „Ich fühl mich nicht zu Hause“. Auf der Suche nach der richtigen Heimat – darauf läuft der Song hinaus – will der Kabarettist am Ende nirgendwo anders leben als in Wien. Interessant ist aber, welche Alternativorte er aufzählt: Berlin, New York, Israel – und Buenos Aires.

Argentinien hat die größte jüdische Gemeinde in Lateinamerika. Das Land feiert gerade Geburtstag, 200 Jahre Unabhängigkeit von der spanischen Krone. Außerdem ist es Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. In den nächsten Monaten wird sich Argentinien deshalb in zwölf Ausstellungen in Frankfurt und Berlin präsentieren. Den Anfang macht die kleine Schau „Jüdisches Leben in Argentinien“ im Jüdischen Museum Berlin.

1860 kommen die ersten Juden in das Land. Im selben Jahr wird die Nationalverfassung erlassen, sie garantiert, die „Freiheit zu sichern, für uns, für unsere Nachkommen und für alle Menschen der Welt, die auf argentinischem Boden leben wollen“. Es herrscht Religionsfreiheit. Die Regierung fördert die Einwanderung von in Russland verfolgten Juden. Am 14. August 1889 landet die „Weser“ im Hafen von Buenos Aires, nachdem sie fast einen Monat zuvor in Bremen gestartet war. 823 jüdische Migranten sind an Bord, die meisten aus dem Zarenreich. In Argentinien werden sie zu Pionieren der landwirtschaftlichen Kolonisation. Sie gründen die Siedlung Moisés Ville in Santa Fe, benannt nach Baron Maurice Hirsch, einem Juden aus Bayern, der mit seiner „Jewish Colonization Association“ die Ansiedlung von Immigranten vor allem in Argentinien unterstützt, Land und Werkzeuge verschafft.

Schon bald heißen die neuen Einwanderer „jüdische Gauchos“, denn sie übernehmen rasch die Alltagskultur der Viehzüchter der Pampa. Zwar sprechen die ländlichen Siedler noch Jiddisch und pflegen in ihren Schulen und Synagogen die jüdische Kultur Osteuropas, aber sie tragen die weiten Hosen und breiten Gürtel der lateinamerikanischen Cowboys, bauen Häuser im lokalen Baustil und essen Puchero, einen in ganz Argentinien beliebten Gemüse-Rindfleisch-Eintopf. 1895 wohnen in Argentinien bereits mehr als 6000 Juden. Um die Jahrhundertwende bilden sich erste Gewerkschaften, Zeitungen und jüdische Kulturzentren werden gegründet, Synagogen gebaut. Doch nicht immer verläuft alles rosig im neuen Gelobten Land. Die „Semana Trágica“ geht 1919 in die Geschichte der jungen Republik ein, eine Woche, die mit Arbeiterunruhen beginnt und mit einem Pogrom gegen jüdische Einrichtungen in der Hauptstadt am Rio de la Plata endet.

In den dreißiger Jahren fliehen Zehntausende Juden vor den Nazis nach Argentinien. Ausgerechnet hierher setzen sich später auch ihre einstigen Verfolger ab, führende Köpfe des NS-Regimes. Die Ausstellung im Jüdischen Museum hält sich mit Daten und Fakten zurück. Hier wird leider wenig erzählt, dafür umso mehr die Notwendigkeit des Erinnerns beschworen. Als Denkmale fungieren vier Installationen, die von zwei argentinischen Kuratoren, Elio Kapszuk und Ana Weinstein, konzipiert wurden. Ähnlich wie die Stolpersteine, die vor den Häusern auf die Deportierten Europas aufmerksam machen, gibt es in Argentinien in den Boden eingelassene Gedenktafeln für die „Desaparecidos“, für die Verschwundenen der Militärdiktatur.

Im Jüdischen Museum werden sie auf einem „Pfad der Erinnerung“ Seite an Seite montiert. Und es gibt eine kleine Kopie des Bücherverbrennungsdenkmals am August-Bebel-Platz, die „unterirdische Bibliothek“. Im Zentrum der Ausstellung stehen jedoch mehrere Büchertische mit 200 Bänden. Jeder einzelne steht für eine jüdische Persönlichkeit, nicht alle sind prominent. Jede dieser fiktiven Publikationen ist anders gestaltet, im Innern steht immer der gleiche Text: „Die 200-Jahr-Feier bietet Gelegenheit, jüdische Persönlichkeiten zu erwähnen, die durch ihren Beitrag in Kultur, Wissenschaft und Sport an der Dynamik Argentiniens mitgewirkt haben.“

Jedes Buch darf man in die Hand nehmen, auf den Buchdeckeln erfährt der Besucher Biografisches, etwa zu Margarita Zatzkin, die 1909 als erste Frau einen Doktortitel in Medizin erwarb. Oder José Pekerman, legendärer Trainer der Fußball-Nationalmannschaft. Oder Ladislao José Biro, Erfinder des Kugelschreibers. Er sah Kinder mit einer Murmel spielen, die durch eine Pfütze rollte und auf der trockenen Straße eine Spur hinterließ. Den Prototypen entwickelte er noch in Ungarn, 1943 wanderte er nach Argentinien aus. Dort wird sein Geburtstag als Tag des Erfinders gefeiert. Und auch Daniel Barenboim, 1942 in Buenos Aires geboren, Generalmusikdirektor der Staatsoper unter den Linden, darf nicht fehlen. Große Geschichte, große Gegenwart.

Jüdisches Museum, Lindenstraße 9–14, bis 10. Oktober, Mo 10–22 Uhr, Di–So 10–20 Uhr. Weitere Infos zum Jubiläumsprogramm Argentiniens: www.frankfurt2010.gov.ar

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