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Kultur: Gebaute Vernunft

Welt-Architekt: Vicenza ehrt Andrea Palladio zum 500. Geburtstag mit einer großartigen Ausstellung

Canaletto, der Erfinder der Architekturvedute, hat seine Heimatstadt Venedig bisweilen in idealen Zuständen imaginiert. Das berühmteste dieser capricci ist die Ansicht des Canal Grande mit der Rialto-Brücke, wie Andrea Palladio sie um 1567 entworfen hatte, flankiert von zwei Bauten Palladios aus Vicenza.

Das zauberhafte Gemälde beschließt die große Ausstellung, die im Vicentiner Palazzo Barbaran da Porto – dem in allen Einzelheiten nach dem Entwurf des Architekten ausgeführten und dergestalt bis heute erhaltenen Stadtpalais – aus Anlass des 500. Geburtstags gezeigt wird. Eine weitere Version von Canalettos Capriccio fand sich ebenso am Ende der Ausstellung, mit der das „Internationale Studienzentrum CISA“ 1973 erstmals umfassend mit dem Werk Andrea Palladios bekannt machte. 35 Jahre liegen zwischen beiden Veranstaltungen, in denen die Kenntnis des Werkes enorm angewachsen ist – und dennoch die Kernfragen immer noch vor uns liegen.

Wie konnte aus dem einfachen Müllersohn Andrea di Pietro della Gondola der Architekt der Oberschicht, Andrea Palladio, werden, wie aus dem gelernten Steinmetzen der hochgebildete Theoretiker? Worin besteht das Geheimnis seiner Architekturlehre, dass sie sich, als Quintessenz klassischen Denkens, in alle Welt als Vorbild verbreiten konnte?

Palladio (1508-1580) ist „der ewige Zeitgenosse“, formuliert es Howard Burns, der gemeinsam mit Guido Beltramini, seit 1991 Direktor des Studienzentrums, die jetzt eröffnete Ausstellung erarbeitet hat. Es ist eine grandiose Unternehmung. Nicht allein das Lebenswerk des Architekten ersteht in all seinen Facetten vor den Augen des Betrachters, sondern ein Horizont wird ausgemessen, in dem die Wiederaneignung der Antike übergeht in die Neuschöpfung der ganzen Welt. Da ist nicht allein Palladio, da sind seine Förderer und Auftraggeber, die Humanisten seiner Zeit, die die Antike erforschen oder das byzantinische Erbe erschließen. Sie bilden die politische und wirtschaftliche Elite, sie sind in Venedig verankert, wohin sie Palladio zu seinen bedeutendsten Aufträgen holen, den Kirchen seiner Spätzeit.

Und doch bleibt sein Werk in beinahe grotesker Weise unvollendet. Der berühmte Vogelschauplan des heimatlichen Vicenza von 1580, dem Sterbejahr des Architekten, zeigt die meisten Palazzi in fragmentarischen Zuständen. Die sogenannte Basilika allerdings, der von Palladio 1549 so genial umbaute Stadtpalast – übrigens sein einziger Auftrag, der je mit festem Einkommen verbunden war –, stand fertig da und kündete von den weit ausgreifenderen Möglichkeiten, die dem Architekten versagt blieben.

Daniele Barbaro, (gewählter) Patriarch von Aquileia, einer der einflussreichsten Förderer Palladios und der Oberschicht zugehörig, die dem Emporkömmling gegenüber ungeachtet aller Aufträge Distanz hielt, spricht emphatisch von der Verbesserung der Welt durch Architektur. Palladio war der Mann, den Gedanken eines Barbaro Gestalt zu geben. Nachdem der Dogenpalast, das Herzstück der Republik, 1577 durch Brand schwer geschädigt worden war, schlug Palladio einen vollständigen Neubau vor; etwas, das die Finanzkraft Venedigs, doch ebenso die Fantasie seiner herrschenden Klasse weit überstieg.

Was Palladio anstrebte, war die Neuordnung der Stadt auf der Grundlage eines rationalen Systems. Dieses System hat er in einem Lehrwerk niedergelegt, den berühmten „Vier Büchern der Architektur“ von 1570. Sie stellen nicht einfach eine theoretische Abhandlung nach dem Muster des verehrten Römers Vitruv dar, sondern die beinahe anmaßende Vorbildhaftigkeit der eigenen Bauten. Und zwar, wie sie Palladio idealiter sehen wollte und nicht, wie sie – wenn überhaupt – ausgeführt worden waren.

Etliche Zeichnungen Palladios gelangten bereits eine Generation nach seinem Tod nach England – und mit ihnen die Wirkung in den Norden Europas bis hin nach Nordamerika, wo der Palladianismus zur Architektur des Staates wie der Finanzwelt wurde. Jetzt ist eine große Anzahl nach Vicenza zurückgekehrt, und die Federzeichnungen faszinieren als der vergegenständlichte Denkprozess ihres Schöpfers. Auf einem Blatt hat Palladio nicht weniger als zwanzig Grundrisslösungen für ein Bauvorhaben skizziert, die Elemente seiner Architektur immer neu kombinierend. Es liegt nahe, in solch analytischem Vorgehen das Vermächtnis des entscheidenden Förderers Giangiorgio Trissino zu erkennen, eines Dichters und höchst modernen Sprachforschers, der den jungen Steinmetz 1541 nach Rom mitgenommen und ihm die Welt der eben erst entdeckten Antike erschlossen hatte. Trissino war es auch, der dem nun schon erwachsenen Andrea den Namen Palladio gab, nach einer Figur seines eigenen Versepos, „Italien, von den Goten befreit“. Was für ein Ritterschlag!

Überreich ist die Ausstellung an derlei Verweisen. Da ist der lebenslange Freund und wichtige Auftraggeber, Iseppo Porto, mit seinem noch kindlichen Sohn Leonida in einem hinreißenden Charakterportrait verewigt vom jungen Paolo Veronese, dessen Lebensdaten sich gleichfalls mit denen Palladios überschneiden. Oder die Brüder Daniele und Marcantonio Barbaro, deren Villenanlage im bereits hügeligen Maser, ausgemalt von ebenjenem Veronese und über die Straße hinweg ergänzt durch den zauberhaften Rundbau des Tempietto, die wohl reichste Ausformung der Villa als Mittelpunkt eines Landwirtschaftsbetriebs darstellt. Daniele war ein Übersetzer Vitruvs; sein Manuskript ist ausgestellt, daneben die gedruckte Version von 1556 mit den Zeichnungen Palladios, die mangels antiker Darstellungen gelehrte Hypothesen sind, wie überhaupt die Aneignung der Antike in Wahrheit eine Neuschöpfung darstellt. Über dem Modell der brüderlichen Villa in der Ausstellung hängt Veroneses Spätwerk „Susanna und die Alten“ von 1585/88. Die biblischen Lüstlinge sind keine anderen als die beiden Brüder, freilich nicht anzüglich der Badenden zugetan, sondern mit ihr als der Personifikation der Architektur oder gar Weisheit disputierend, worauf im Hintergrund die Ansicht ebenjener Villa in Maser hindeutet.

Ausgerechnet dieses Meisterwerk, so zeigt sich jetzt, ist wohl nicht „Palladio pur“ als vielmehr in Zusammenarbeit mit dem Bauherren entstanden. Überhaupt muss die Ausstellung Korrekturen am Œuvre vornehmen. So folgt die Fassade der grandiosen Kirche San Giorgio Maggiore, diesem Meisterwerk einer rationalistischen Raumgestaltung, nicht dem ursprünglichen Entwurf des Baumeisters, der einen vorspringenden Portikus vorsah und nicht die in die Fassade eingebundene Säulenordnung. Andererseits entspricht die letztere, so ungemein schulbildende Lösung dem zeichnerischen Denken Palladios, der als Steinmetz stets flächige Aufsichten mit nüchternen Maßangaben fertigte, nie jedoch die in der Renaissance so beliebten perspektivischen Ansichten. Und, irritierender noch: Im Inneren waren bestimmte Bauteile rot abgesetzt, wie jüngst zweifelsfrei erwiesen wurde, als ob der Architekt seine Wandgliederung habe demonstrieren wollen. Und das bei einem Neuerer, der seiner von Backstein geprägten Heimatstadt blendend weiße Palazzi verordnete!

Im Dunkeln liegt Palladios eigenes Leben, wie sich die Spuren seiner Familie bereits in der übernächsten Generation verlieren. Ein einziger Brief nur – der Trauerbrief nach dem frühen Tod des dritten Sohnes, der als Jurist den sozialen Aufstieg der Familie versprach – ist erhalten. Und das, obwohl doch sonst Dokumente in faszinierender Fülle bewahrt sind. Wir wissen nicht einmal, wie Palladio aussah. Nun zeigt die Ausstellung ein Bildnis von der Hand El Grecos, das durchaus ein Portrait des Architekten sein könnte. El Greco, auch er, besaß ein Exemplar des Vitruv mit den Tafeln Palladios – und genau dieses Exemplar des griechischen Malers mit all seinen Anmerkungen ist jetzt in Vicenza zu sehen. Mosaikstein um Mosaikstein setzt sich diese grandiose Ausstellung zusammen: zum Universum des Andrea Palladio, seit fünfhundert Jahren unser Zeitgenosse.

Vicenza, Palazzo Barbaran da Porto, bis 6. Januar. So–Do 9:30-19 Uhr, Fr/Sa 9:30-21 Uhr. Katalog bei Marsilio, 52 €. – Infos: www.andreapalladio500.it

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