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Isabelle Faust und Andris Nelsons mit dem Lucerne Festival Orchestra

© Georg Anderhub/Lucerne Festival

Gedenkkonzert für Claudio Abbado: Die menschliche Dimension des Zuhörens

Im Lucerne Festival Orchester versammelte Claudio Abbado seine musikalischen Freunde. Bei einem Gedenkkonzert zu seinen Ehren spielte es nun ohne Dirigenten sowie unter der Leitung von Andris Nelsons

Claudio Abbado - der Name reichte aus, um in den letzten zehn Jahren bei Musikern wie Konzertbesuchern leuchtende Augen zu sehen und alljährlich zum Sommerfestival in Luzern eine Wanderbewegung auszulösen. Seit 2002 gibt es dort das Lucerne Festival Orchestra, das Sternstunden der Orchester-, nicht zu vergessen auch der Kammermusik - zelebrierte und in seiner Zusammensetzung der Musiker, der Programme und seines musikalischen Geistes ganz auf Abbado zugeschnitten war. 

So traten jetzt viele die Reise nach Luzern mit sehr gemischten Gefühlen an, um des im Januar verstorbenen Meisters zu gedenken und Abschied zu nehmen. Auch für mich, der ich das Glück hatte, als Intendant des Mahler Chamber Orchestra mit ihm die letzten sieben Jahre intensiv zusammen zu arbeiten, war es eine hochemotionale Mischung aus Erinnerungen, Begegnungen mit alten Bekannten und Fragen aller Art: Wie wird es weitergehen mit diesem so auf ihn zugeschnittenen Orchester, was hat er bedeutet für die Musikwelt, wie entsteht vielleicht auch Neues aus dem, was dieser als Künstler so einmalige Claudio Abbado hinterlassen hat. So sei dieser Bericht nicht Konzertkritik sondern eine persönliche Rückschau und Reflexion gedacht.

"Wir sagen Du" war sein erster Satz, als ich ihm in der winzigen Dirigentengarderobe des Theaters in Ferrara Ende März 2007 als frischgebackener Intendant des Mahler Chamber Orchestra begegnete - für mich eine Auszeichnung, aber für ihn ganz selbstverständlich. Die rund 70 Abbado-Konzerte, die ich in den folgenden Jahren mit dem MCO und Lucerne Festival Orchestra, dessen Basis das MCO ja ist, erleben durfte, waren zumeist Sternstunden - ein Repertoire von Beethoven und Schubert bis zu den großen Mahler-Symphonien, Beethovens "Fidelio" an sechs Orten in vier Ländern, Gastspiele mit dem Lucerne Festival Orchestra auf drei Kontinenten.

Dieses Lucerne Festival Orchestra nun war sehr kurzfristig zusammen gekommen, viele hatten andere Verpflichtungen abgesagt. Intendant Michael Haefliger und sein Luzerner Team hatten ein Programm zusammengestellt, das in wunderbarer Weise Gedenken, Abschied aber auch ein Weitertragen von Abbados Wirken hör- und sichtbar machte.

Dieses Orchester ist gewissermaßen die Summe von Abbados Schaffen und Denken über Musik. Es vereint Musiker aus allen oder doch den meisten musikalischen Stationen seines Lebens, so dass man mit gutem Recht von einem "Musizieren unter Freunden" sprechen konnte. Es bot ihm und den Musikern die Möglichkeit, Ideale von kammermusikalischem Musizieren und Aufeinander-Hören im Großformat zu praktizieren und das in einem der besten Konzertsäle der Welt. So hatte Abbado mit der Gründung des LFO die Tür zum Orchester des 21. Jahrhundert weit aufgestoßen und ein großer Teil seines Erbes sollte gewiss sein, weiter darüber nachzudenken, wie ein modernes Orchester im Miteinander von Gruppe und Individuum, von Solist und Tutti-Musiker heute existieren kann.

Die Stille als kostbarer Moment

Bruno Ganz liest Hölderlin am 6. April beim Abbado-Gedenkkonzert in Luzern.
Bruno Ganz liest Hölderlin am 6. April beim Abbado-Gedenkkonzert in Luzern.

© Georg Anderhub/Lucerne Festival

Abbados größtes Vermächtnis sind sicher all diese Orchester, die er im Laufe seines Lebens mitgegründet hat, sieben an der Zahl und ich kenne niemand anders, der auch nur zwei oder drei Orchester gegründet hätte. Also sieben: das Orchester der Scala, Filarmonica della Scala, das sich durch ihn als Konzertorchester vom „Grabendienst“ emanzipierte. Das Europäische Jugendorchester (EUYO), das europäisches Denken vorausnahm. Dann das Gustav-Mahler-Jugendorchester, dessen Gründung die Osterweiterung der Europäischen Union antizipierte. Dazu die drei freien Orchester: Chamber Orchestra of Europe, Mahler Chamber Orchestra und Orchestra Mozart, in denen neue, selbstverwaltete Strukturen experimentiert wurden und werden.

Und als Krönung eben dann dieses LFO, das nun ohne Abbado, ohne Dirigent, das sonntägliche Gedenken mit Schuberts "Unvollendeter" begann, einem Werk, das auch im letzten Herbst auf Abbados letztem von ihm dirigierten Programm auf den Pulten lag. Ob nun sein Geist mit ihm Spiel war oder die Musiker das umzusetzen vermochten, was er - oft durch seine bloße Präsenz - ihnen vermittelt hatte, sei dahingestellt, das Ergebnis war faszinierend und berührend zugleich. Nach diesem eindringlichen Beginn der einzige Wortbeitrag - man hatte klugerweise auf jedwede Rede verzichtet: Bruno Ganz, der Schauspielerfreund rezitierte Hölderlins „Brot und Wein“, ein Abbado sehr naher Dichter.

Isabelle Faust war, seit der ersten Begegnung in einem Konzert mit dem MCO in Parma 2008, die Geigerin seiner letzten Jahre, die er zum MCO, zum Orchestra Mozart und auch den Berliner Philharmonikern einlud. Das sicher, weil sie seinem Ideal an Klarheit und Innigkeit des Spiels so nahe kam, wie jetzt auch mit Alban Bergs Violinkonzert, das ja einer anderen Verstorbenen gewidmet ist. Zart und zerbrechlich spielend wurde die Solistin wunderbar durchsichtig begleitet vom großen Klangkörper. 

Dann zum Abschluss Mahlers Dritte - für mich schloss sich auch hiermit ein Kreis, denn diese Symphonie war auch meine Erstbegegnung mit dem LFO im Jahre 2007 - mit Andris Nelsons als Dirigent. Natürlich war das für alle hochemotional, Trauer und Dank, Verlust und Staunen über dieses wunderbare Orchester mischten sich in allgemeiner Überwältigung. Und auch das "danach", als man nicht wusste, ob Beifall hier passt - sicher ja als Dank an die Musiker, aber doch nicht im Gefühl der Trauer - die Stille, die sich dann im Saal ausbreitetet, war ein kostbarer Moment der Gemeinsamkeit, den Andris Nelsons hielt. Ein Vom-Podium-Gehen-Wollen aber Bleiben-Müssen, sich dann ganz bescheiden in die Reihe der Pulte einzuordnen - Nelsons traf instinktiv, was der Moment gebot.

Auch musikalisch machte Nelsons seine Sache gut, eine für ihn sichtlich schwere Aufgabe, aber er löste sie mit Respekt und Natürlichkeit, er ließ die Musiker zuhörend spielen, um dann einige wenige Akzente zu setzen. Indem er gerade nicht versuchte, Abbado nachzudirigieren, wurde er ihm am meisten gerecht. Abbado hat immer gerade die jungen Musiker gefördert, Instrumentalisten wie Dirigenten, und die Liste seiner ehemaligen, heute berühmten Assistenten ist lang. Nelsons war nie sein Assistent und so erscheint diese Wahl, auch für die noch mit Abbado im August geplanten Konzerte des LFO, klug: Abbados Erbe fortzusetzen, indem es mit neuem Leben erfüllt wird. Und Abbados Erbe, das ist für mich dieses Orchester, all seine Orchester und die Hunderte von Musikern, die - heute in allen wichtigen Orchestern Europas und darüber hinaus verstreut - von ihm als Musiker geprägt wurden. Seine Konzerte, auch seine Aufnahmen, werden vielleicht eher an Bedeutung verlieren, als diese Generationen von Musikern, die durch ihn das Musizieren als eine menschliche Dimension des Zuhörens erlebt und gelernt haben.

Andreas Richter

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