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Freunde. Christa Wolf und Günter Grass 2001 bei der Beerdigung von Hans Mayer auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof.

© ddp

Gedenkveranstaltung für Christa Wolf: Seid dennoch unverzagt

Alte Kämpfer, alte Gräben: Das Gedenken an Christa Wolf in der Berliner Akademie der Künste zeigt, dass die Geschichte der DDR noch lange nicht zu Ende ist.

Von Gregor Dotzauer

Vielleicht gab es Christa Wolf tatsächlich zweimal: zum einen als selbstlose Familienprinzipalin, treu sorgende Freundin und um Nähe zu allen Menschen guten Willens bemühte Bürgerin, zum anderen als visionäre Symbolfigur einer besseren DDR, in der sich auch das vereinigte Deutschland einen dritten Weg hätte erträumen können. Doch so, wie sie am Dienstagabend in der Akademie der Künste in den Gedenkworten ihrer Freunde und Weggefährten erstand, war sie ganz persönliche „Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Ernst und Würde“, wie ihre Verlegerin Ulla Berkéwicz in einer rhythmischen Du-Anrufung erklärte. Eine Retterin der weiblichen Empfindsamkeit, die weitgehend außerhalb historischer Zusammenhänge agierte und alles Politische nur in der Emphase des Gefühls fassen konnte: „Die Sehnsucht“, so Berkéwicz, „war deine Hauptsache.“

Wenn Mensch und Werk einander dabei mit jener Kohärenz durchdrangen, die als Ideal eines gelingenden moralischen Lebens gilt, lag das Gewicht eindeutig auf einer Form von persönlichem Anstand, von der die institutionelle Verfasstheit von Gemeinwesen in der Regel wenig wissen will. Nur von welchem Werk war hier die Rede? Abgesehen davon, dass man Christa Wolfs eigene Stimme noch einmal mit Ausschnitten aus ihrem letzten Buch „Stadt der Engel“ hören konnte, sprach außer in der Geste der Dankbarkeit kaum jemand von dessen Reichtum und Vielfalt: Der noch am nachdrücklichsten genannte Roman war „Kindheitsmuster“, die Entwicklungsgeschichte von Nelly Jordan, in der Christa Wolf ihr eigenes Aufwachsen im nationalsozialistischen Landsberg an der Warthe erzählte.

Die Person Christa Wolf in den Mittelpunkt zu rücken, ihre „schöne Ruhe“, „Klarheit“ und „Herzlichkeit“, die Christoph Hein so sehr an ihr bewunderte, mag aber durchaus ein Effekt der Lektüre sein. Friedrich Schorlemmer wollte ihre Prosa, mit einer Formulierung aus „Lesen und Schreiben“ (1967), nämlich als Hilfe zur Subjektwerdung verstehen, und Daniela Dahn erklärte, sie habe schon Mitte der sechziger Jahre, als Schülerin im privaten Literaturkurs des Ehepaars Wolf, gelernt, dass Literatur dazu da sei, „das Ich zu stärken“.

Mit Anna Seghers, die damals auf dem Programm stand, wird das problemlos möglich gewesen sein. Ob es auch mit Camus ging oder gar mit Kafka? Man muss das wohl sehr viel dialektischer verstehen, als es klingt. Denn von Hofmannsthal über Musil bis zum Allespulverisierer Benn betreibt die Literatur eigentlich nichts als Abrissarbeiten an den Selbstgewissheiten des Ichs. Auch Christa Wolf war schreibend alles andere als ein sich an seiner eigenen Authentizität berauschendes Ego. Sie war, wie Volker Braun mittags an ihrem offenen Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof sagte, nun wirklich bereit, bis an die Grenze zu gehen, an der man sich selbst als Fremder entgegenkommt.

Diese fortwährende Infragestellung von sich selbst war aber auch das, was ihre ungeheure Verletzlichkeit ausmachte. Insofern war sie prädestiniert für das von fast jedem Redner erwähnte Trauma, das man ihr 1990 nach der Veröffentlichung ihrer 1979 entstandenen Erzählung „Was bleibt“ zufügte und von dem sie sich offenbar nicht mehr erholte. Niedertracht, Verleumdung, Vernichtungswille, Hexenjagd der Hechelmeute, Kampagne, Geifer, Schmutz, Unrat sind nur ein paar der Wörter, die fielen.

Grass hält den Westjournalisten eine Strafpredigt

War es Gratismut, erst so spät über die Verfolgung durch die Stasi Rechenschaft abzulegen? War es ihr ein Bedürfnis, sich endlich dieser Demütigung zu stellen? „Sie hat damals gelitten, schrecklich gelitten“, berichtete die bald 90-jährige Theaterverlegerin Maria Sommer und erzählte, wie Christa Wolf damals Trost bei einem Sonett des Barockdichters Paul Fleming suchte, das mit den Zeilen beginnt:, „Sei dennoch unverzagt. Gib dennoch unverloren. / Weich keinem Glücke nicht. Steh höher als der Neid./ Vergnüge dich an dir, und acht es für kein Leid, / Hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen.“

Der elegische Grundton war auf einen Schlag dahin, als Günter Grass ans Mikrofon trat, in der Rolle des Knecht Ruprecht die Rute auspackte und der Westjournaille eine geharnischte Strafpredigt hielt, als würden die von Frank Schirrmacher und Ulrich Greiner errichteten Fronten im sogenannten deutsch-deutschen Literaturstreit nach über zwanzig Jahren noch immer unverbrüchlich stehen. Worum es dabei in einem übergeordneten Zusammenhang auch ging, nämlich unter anderem um sein abgelehntes Plädoyer für eine Konföderation mit dem Beitrittsgebiet, konnte er in seiner nachgetragenen Wut zwar nicht so recht plausibel machen, doch es lohnt sich festzuhalten, dass die Themen keineswegs erledigt sind.

Ivan Nagel erinnerte damals mit Recht daran, dass Christoph Hein, Stefan Heym, Heiner Müller und Christa Wolf bis zum 4. November 1989 Helden der Demokratie gewesen seien. Von Dezember an habe man sie die Privilegierten eines totalitären Regimes genannt. Das konnten sie nicht einfach schlucken. Von daher die anhaltende Verstimmung. Die publizistischen Wortführer des Literaturstreits hatten zwar im Sinn, die undogmatische westdeutsche Linke, die mit den Dissidenten in den Ostblockstaaten sogar überwiegend solidarisch war, gleich mit abzuwickeln. Wie sehr sie sich auch verstiegen: Sie hatten handfeste politisch-moralische Fragen im Gepäck, die sich nicht einfach auf die Pose des welthistorischen Siegers schieben lassen.

Christa Wolf dagegen, muss man im Lichte des Gedenkabends wohl gestehen, dachte damals als Erstes an den Schmerz ihrer Aufrichtigkeit. Dabei bewegte sie sich längst in einer Kultur, die bei aller Ernsthaftigkeit in der Sache zugleich auf Feuilletonkrach und Showpolemik gebürstet war. Von der andeutenden Klarheit, mit der sie sich in der DDR geäußert hatte, wollte im Westen keiner etwas wissen. Ihre Widerstandsnuancen im Sichnichtverbiegenlassen waren einem Land, das Heroismus erwartete, nicht geläufig.

Dennoch bleibt das Problem der „intellektuellen Moral“, das Ulrich Greiner als Kern der Auseinandersetzung ausmachte und die jede Generation neu auszutragen hat. Wenn man den Literaturstreit als Neuauflage der Kontroversen über innere und äußere Emigration betrachtet, die etwa Thomas Mann und Frank Thieß führten, dann berührt er das innerste Selbstverständnis der Nation. Untauglich ist nur der Vergleich mit rechtsdrehenden Irrläufern der Literatur, mit Louis-Ferdinand Céline, Knut Hamsun oder Ezra Pound, als könne er Christa Wolf entschuldigen. Es ist eine der Person Christa Wolf zur Ehre gereichende Tatsache, dass sie sich nie politisch skandalöse Äußerungen geleistet hat. Es ist jedoch eine Herausforderung, dass ihre Literatur der Courage und der Barmherzigkeit eine Moralität fordert, der sich so unbarmherzige Gesellen wie Céline erst gar nicht aussetzen mussten.

„Ach, Christa“, seufzte Maria Sommer und erzählte, dass bei allen Bedrängnissen, die diese Schriftstellerin auszuhalten hatte, eine Fröhlichkeit von ihr Besitz ergreifen konnte, die man ihr nicht zutrauen wollte. Sie sang dann, übers Land fahrend, voller Stimme und freien Herzens, und es war ein ganz besonderes Lied dabei: „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten.“

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