Gedichte von Oleg Jurjew: Satan am Kassenautomat
Höllischer Spott: Letzte Gedichte von Oleg Jurjew.
Ein Poem in sechs Gesängen. Oder vielmehr: der Schlussstein einer Trilogie gleich gebauter Bände. Und recht eigentlich: die Ruine eines poetischen Palasts, durch dessen verwinkelte Gänge Oleg Jurjew von Anfang an den Wind des Absurden pfeifen ließ. „Von Arten und Weisen“ ist nach „Von Orten“ und „Von Zeiten“ das Vermächtnis des Dichters, Dramatikers und Erzählers, der im vergangenen Juli mit 58 Jahren starb. Ein in Form gebrachtes Konvolut von Augenblicknotizen, die so noch unendlich hätten weiterwuchern können.
Eine Ahnung vom drohenden Eintritt ins „Paradiesgärtlein“ fand sich schon im letzten Band des Leningrader Juden, der in Frankfurt am Main eine zweite Heimat gefunden hatte. Aus dem Epilog des vorliegenden spricht eine noch unheimlichere Todesnähe. „Die Toten“, fragt er, „hören sie in der Tat, wenn man sich an sie erinnert? (…) Und die kürzlich Verstorbenen? Blicken sie einfach zurück und sehen die endlose Treppe und dein halb vergessenes Gesicht?“
In ihrer Prosanähe lassen sich diese auf Deutsch geschriebenen Texte mit der Bezeichnung Gedicht vielleicht nur ungenügend fassen. Reiseimpressionen zwischen Jerusalem und der Pfalz, Calw und der Krim stehen neben sinnestrunkenen Wetteraufzeichnungen und spöttischen Blicken auf die Menschen, die sich mit trotzigem Ungeschick ihren Weg durch Land und Städte bahnen. Gerade in ihrer Unverbundenheit weben all diese Momente aber an einem Schöpfungszusammenhang, in dem die Höllentore anders als die Himmelspforten sperrangelweit offenstehen: „Überall, sogar in jedem Tankstellenimbiss, steht der Satan am Kassenautomat, trocknet sich mit der Schürze die Hände ab und klopft unter der Theke mit seinem Hut.“ Eine wehmütige Erinnerung an den Autor, der sieben Jahre lang, bis 2013, den Lesern dieser Zeitung die Kolumne „Jurjews Klassiker“ schenkte.
Oleg Jurjew: Von Arten und Weisen. Ein Poem. Gutleut Verlag, Frankfurt a.M. 2018. 58 Seiten, 20 €.