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Kultur: Gefallener Engel

Ein wenig Pathos kann nicht schaden: Beck, der amerikanische Pop-Kabarettist, wird ernst. Sein neues Album huldigt der Kunst des Trauerns

Seit Veröffentlichung seines Debütalbums „Mellow Gold“ im Jahr 1994 durchstreift Beck Hansen wie ein Restaurator die Zitatenschätze der Popkultur. Schon in seinem ersten Hit „Loser“ mischt er Folk mit Funk und HipHop: ein Chronist, dem es gelingt, jüngeren Generationen ganze Musikepochen bewusst zu machen. Am nachhaltigsten geschah das 1998 mit „Mutations“, seinem besten Album, und mit „Midnite Vultures“ von 1999. Ersteres konzipierte Beck als Hommage an die brasilianische Musikrichtung Tropicalia, die Blues und Psychedelia mit lateirikanischer Bossa-Nova-Romantik der Sechziger verknüpfte. Mit dem grellen Nachfolger „Midnite Vultures“ wiederum präsentierte er sich als satirischer Herausforderer gegenüber Prince, seinem Vorbild.

Dies war allerdings eine Messlatte, an welcher der 32-Jährige spektakulär scheiterte. Prince’ sexuell geladene Funkgesänge imitierte er – schon Titelcollagen wie „Peaches+Cream“ verraten es – bis zur Selbstverleugnung. Doch das Temperament wollte dem engelsgesichtigen Beck niemand abnehmen. Mehr belustigend als bewegend, erschien seine Musik plötzlich seelenlos.

Auf dem grandiosen „Sea Change“, seinem ersten Album seit drei Jahren, hat Beck unter Mithilfe seines Produzenten Nigel Godrich (Radiohead, Travis) nun einen weiteren Genreversuch unternommen und sich dem spartanisch arrangierten British Folk der Siebziger zugewandt. Kritiker vergleichen das Album bereits mit den melancholischen Werken des Songpoeten Nick Drake; der Einsatz von Akustikgitarre und Streichern für das kathedrale Klangbild lässt an Scott Walker denken. So machen die neuen Songs Isolation, Zukunftsangst und Trauer spürbar – entstanden sind sie nach der Trennung von Becks Lebensgefährtin, die ihn seit seinen frühen Tagen als erfolgloser L.A.-Punk kennt und ihn später als seine Stylistin begleitete. „Already Dead“ ist an sie adressiert: „It feels like I´m watching something dying.“

Sind so kleine Tränen

Der emotionalen Stütze beraubt, zeigt der Künstler Beck seine Wunden. „Put your hands on the Wheel/Let the Golden Age begin“ leitet er den von einer Steel-Gitarre und Glockenspiel getragenen Eröffnungs-Song „The Golden Age“ ein und steigert sich nach wenigen Minuten Nachtfahrt zur resignativen Lebensbilanz: „The Sun don’t shine/ Even when it’s day/These days I barely get by/ I don’t even try.“ Ein Störton, der im Hintergrund lauert, beendet den Song mit einem akustisch brutalen Wimpernschlag.

Den schwarzen Humor früherer Tage greift einzig das countryeske, wie in Zeitlupe gespielte „Guess I’m doing fine“ auf – Zynismus, um die Trauer erträglicher zu machen: „It’s only tears that I’m crying/ It’s only you that I’m losing/Guess I’m doing fine.“ Er schließt mit dem sehnsüchtigen Wunsch, das Gesicht an die Fensterscheibe zu pressen, mit Blick auf das verlorene Glück. Wo immer Beck seinen Seelenfrieden zu finden hofft, der Zugang bleibt ihm verwehrt. Welten trennen diese Songs von den verspielten Skizzen auf „Mutations“, in denen Beck noch, wie in „We live again“, seinen Glauben an die schicksalhafte Wendung zum Guten kundtat: „A desolate Wind turns Shit to Gold and blows my Soul crazy.“

Ist ein großes Nichts

Ein ebenso dynamisches Wechselspiel mit musikalischen und emotionalen Spannungen geht vom Streicherarrangement aus, für das Becks Vater, der Bluegrass-Musiker David Campbell, in fünf Stücken verantwortlich zeichnet. „Paper Tiger“ gerät so zum Höhepunkt des Albums. Zum funkigen Rhythmus aus Schlagzeug und Bass riskieren die Violinen melodiöse Achterbahnfahrten und verschwinden wieder in trügerischer Stille. Ein wie betäubt nuschelnder Beck offenbart zum melodramatisch anschwellenden Finale seine Lebenshaltung der Hoffnungslosigkeit: „We’re just holding on to nothing/ to see how long nothing lasts.“

Nicht immer hat Beck überraschende Wege beschritten, sein Veröffentlichungsrhythmus funktionierte nach der Methode, auf MTV-kompatible Hitmaschinen (wie „Mellow Gold“) intime Akustikalben wie etwa „One Foot in the Grave“ folgen zu lassen, die er schelmisch „Ruhepausen“ nennt. In jüngster Zeit absolvierte Beck Auftritte mit dem Radiohead-Sänger Thom Yorke und schrieb Songs für die französischen Avantgarde-Elektroniker Air. Dauerhafte Koalitionen wurden nicht daraus. Mit „Sea Change“ hat er jetzt wieder eine Kursrichtung ins Privatistische vorgenommen, die ihm nicht sein Prinzip der ständigen Musikcollage, sondern einzig die Trauer diktierte. „Ich denke, ein wenig Pathos kann nicht schaden“, sagte ein zweifelnder Beck kürzlich im Interview. „Solange es nicht zum Bathos wird.“ Dass man ihn für trivial halten könnte, darüber muss er sich keine Sorgen mehr machen.

Sea Change (Geffen/Motor/Universal)

Sassan Niasseri

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