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Kultur: Gefühl für die Oberfläche

Gibt es eine Stadt, die unsere visuellen Vorstellungen vom 20.Jahrhundert stärker beeinflußt hat als New York?

Gibt es eine Stadt, die unsere visuellen Vorstellungen vom 20.Jahrhundert stärker beeinflußt hat als New York? Die Lufttürme der Wolkenkratzer, die messerscharfen Straßenschluchten, die sachlichen Stein- und Glasfassaden mächtiger Banken und Wirtschaftskonzerne.Alles in dieser Stadt scheint idealisiert und monströs.Und doch sieht jede Straßenecke wieder gleich aus - ein beliebiger Knotenpunkt auf einem zerklüfteten Schachbrett, an dem sich die Dinge ebenso zufällig ereignen wie einen Block weiter.New York ist ein Universum voller Widersprüche, in dem vornehme Damen auf dem Weg zur Oper an den abgerissenen Gestalten der Gosse vorüberdefilieren, Juden, Chinesen, Italiener und Araber ihre eigenen kulturelle Oasen erobert haben und die Religionen, Rassen und Nationen sich auf der Straße vermischen.Man kann von diesem Anblick süchtig werden.Denn der Besucher kann die Szenerie allenfalls aufnehmen, aber er kann sie nicht enthüllen, weil es in einer Stadt, die aus lauter verschränkten Fassaden besteht, keine Geheimnisse gibt.Nur Oberflächen.

Auf dieses Problem finden Photographen verschiedene Antworten.Das Amerika-Haus zeigt in einer Ausstellung "New York- Bilder einer Stadt" die Arbeiten von zwei Berliner Photokünstlern, die unterschiedlicher wohl nicht sein könnten.Angelika von Stocki zum Beispiel möchte den chaotischen Gesamteindruck, die Bewegung und Fülle von Wahrnehmungsfragmenten in ihren Bildern erhalten, um das Leben in der schlaflosen Metropole nicht nur abzubilden, sondern die sinnliche Konfusion optisch nachzubilden.So montiert sie ihre "Reflected Images" aus mehreren Bildschichten und -typen zusammen, aus Totalen, die einen ungefähren Eindruck von der gewaltigen Größe und Hektik vermitteln, sowie aus Einzelportraits und Nahaufnamen, auf denen die Menschen ein warmes und persönliches Gesicht erhalten.Die räumliche Ordnung löst sich in einem dichten Reflexionslabyrinth auf, so als hätten sich fortgesetzt Glasscheiben vor die Linse geschoben, die den Blick umlenken, ergänzen oder verwirren.

Von Stocki arbeitet an metaphorischen Impressionen, die sich aus der Spannung zwischen den radikalen architektonischen Strukturen einerseits und den Menschen andererseits ergeben.Da sie ihre großformatigen Farbabzüge erst nachträglich komponiert, vermitteln sie vor allem, wie die Berliner Photographin die kulturelle Vielfalt New Yorks interpretiert.Leider sind die assoziativen Bezüge nicht frei von einem etwas zu aufdringlichen Symbolismus.Etwa wenn das Portrait einer Frau so in die Guggenheim-Spirale hineinmontiert wird, daß der Rundbau wie ein pompöser Damenhut aussieht.

Ganz anders Dietmar Bührer, der seine nüchternen Bilderzyklen als reportagehafte Skizzen anlegt.Aus seiner Verehrung für die klassische Magnum-Photographie, insbesondere Henry Cartier-Besson, macht der Herausgeber des Berliner Fotomagazins "Blickpunkt" keinen Hehl.Seine kontrastreichen Schwarzweiß-Photos wollen New York nicht als Ganzes erfassen oder einen Überblick verschaffen, sondern besondere Augenblicke vom übrigen Geschehen isolieren.Wie ein Jäger auf Großstadt-Safari pirschte Bührer durch die Viertel Manhattans, um einzelnen Menschen zu begegnen und ihren Alltag sichtbar zu machen.Auf diese Weise sind Bilder von großer Intensität entstanden, wie sie nur einem aufmerksamen Flaneur gelingen, der sich weder vom Lärm noch vom Bewegungssog der Metropole irritieren läßt und ein sicheres Gespür für die Situation behält.

"Reflected Images" und "Street Life", Amerika-Haus, Hardenbergstr.22, bis 19.Februar, Montag bis Freitag, 11 bis 17.30 Uhr

KAI MÜLLER

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