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Kultur: Gefühlig? Nie!

Maurice Sendak wurde mit seinem Buch "Wo die wilden Kerle wohnen" weltberühmt. Er zeichnete und schrieb gegen die Sentimentalisierung der Kindheit an - und war lange umstritten. Jetzt ist der New Yorker Illustrator und Bestsellerautor mit 83 Jahren gestorben.

Seine Götter hießen Herman Melville, Emily Dickinson und Wolfgang Amadeus Mozart, aber auch Heinrich von Kleist, E.T.A. Hoffmann und Philipp Otto Runge. Maurice Sendak, 1928 als Sohn polnischstämmiger Juden in Brooklyn geboren, war eine seltsame Mischung aus amerikanischen und europäischen Einflüssen. Noch seltsamer ist höchstens, dass er damit zu einem der erfolgreichsten Kinderbuchautoren und -illustratoren der Welt wurde. Denn schwärzer, grimmiger, brutaler und sarkastischer hat kein Zeichner die vermeintlich sanfte Kinderseele herausgefordert. Auch das eine seiner weit über 100 Bücher, das jeder kennt, galt zunächst als Angriff auf ihre schützenswerte Unschuld. Der Psychologe Bruno Bettelheim, der Märchen für den psychischen Haushalt kleiner Menschen doch für unverzichtbar erklärt hatte, hielt das 1964 erschienene „Where The Wild Things Are“ (Wo die wilden Kerle wohnen) zunächst für bedenklich. Es gehört zu Sendaks Verdiensten, immer wieder gegen ein sentimentalisiertes Bild von Kindern vorgegangen zu sein. Er traute ihnen eine Tapferkeit zu, die Erwachsene womöglich schon verloren hatten.

Als selbsterklärter Romantiker verwandelte er seine Heimatstadt 1970 in eine „Night Kitchen“ (In der Nachtküche), und die neunjährige Heldin von „Outside Over There“ (Als Papa fort war) ließ er 1981 ausziehen, ihre kleine Schwester aus der Gefangenschaft von Kobolden zu befreien. Für Sendak war „Outside“ sein wichtigstes Buch. Der vielfach ausgezeichnete „Picasso des Kinderbuchs“, wie man ihn gerne nannte, betätigte sich aber auch als Librettist der Oper „Max und die Minimonster“, entwarf Ballettkulissen und verwandelte Hans Krasas in Theresienstadt uraufgeführte Kinderoper „Brundibar“ zusammen mit dem Dramatiker Tony Kushner in ein Bilderbuch.

Zu Sendaks Selbststilisierung gehörte es, seine Kinderliebe zu betonen, sich selbst, kinderlos, wie er war, aber als zur Vaterschaft unfähig hinzustellen. Die Arbeit und sein Schäferhund genügten ihm völlig. Erst 2008 gab er preis, dass er 50 Jahre lang mit dem Psychoanalytiker Eugen Glynn zusammengelebt hatte. Die Zukunft seiner Branche sah er düster. „Fuck them“, schimpfte er im amerikanischen „Colbert Report“ noch Anfang dieses Jahres, „ich hasse diese E-Books.“ Aber auch wenn sie die Zukunft verkörpern sollten, sei ihm das „scheißegal, ich werde ja bald tot sein.“ Am gestrigen Dienstag ist Maurice Sendak in Connecticut gestorben. Im Juni wäre er 84 Jahre alt geworden. dotz

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