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Kultur: Gegen die Feinde der Vereinigten Staaten

Von Hoover bis heute: Tim Weiner hat die Geschichte des FBI wie einen Thriller aufgeschrieben.

Jahrzehnte lang galt: Das FBI ist Hoover und Hoover ist das FBI. Kaum je hat ein Mann eine Organisation der      art geprägt und zur Bildung von Mythen und Legenden über seine Person und das Amt beigetragen wie jener J. Edgar Hoover, der unglaubliche 48 Jahre an der Spitze des Federal Bureau of Investigation stand. Hoover, eine schillernde Persönlichkeit, stieg zu einem der mächtigsten Männer der Vereinigten Staaten auf. Der Schutz der nationalen Sicherheit ging ihm über alles. Er setzte sich dafür über die Verfassung und die Gesetze seines Landes hinweg, wie man in dem jetzt erschienenen Buch von Tim Weiner „FBI. Die wahre Geschichte einer legendären Organisation“ ebenso verwundert wie betroffen nachlesen kann.

Tim Weiner, Journalist und ausgewiesener Kenner der amerikanischen Geheimdienstfamilie, der mehrfach für sein Buch „CIA. Die ganze Geschichte“ ausgezeichnet wurde, geht – hervorragend recherchiert und spannend geschrieben – der Geschichte des FBI von seiner Gründung bis in unsere Tage nach. Das Buch hat durchaus Züge eines Thrillers. Weiner konnte auf Quellen zurückgreifen, die erst vor wenigen Jahren frei gegeben worden sind.

Als Geburtsstunde des FBI gilt der 26. Juli 1908, als im amerikanischen Justizministerium eine Ermittlungsabteilung, das „Bureau of Investigation“, eingerichtet wurde, um auf Bundesebene gegen die ausufernde Wirtschaftskriminalität und Korruption sowie anarchistische Gewalttaten vorzugehen. Hoover, geboren 1895, trat nach Abschluss seiner juristischen Ausbildung im Kriegsjahr 1917 in das US-Justizministerium ein. Seit der russischen Oktoberrevolution von 1917 verfestigte sich in Amerika die Auffassung, die von Moskau gesteuerte kommunistischen Bewegung ziele auf einen gewaltsamen Umsturz in den Vereinigten Staaten. Hoover, 1919 zum Leiter der „General Intelligence Division“ im Justizministerium bestellt, intensivierte die Überwachung von Mitgliedern und Sympathisanten der Kommunistischen Partei der USA und ordnete in großer Zahl Verhaftungen und Deportationen von verdächtigen Ausländern an. Im Mai 1924 wurde er zum Direktor des Bureau of Investigation berufen, das 1935 in Federal Bureau of Investigation (FBI) umbenannt wurde. Hoover behielt die Leitung des Amtes bis zu seinem Tode im Mai 1972.

Die Bedrohung durch den Kommunismus blieb für Hoover bis an sein Lebensende bestimmend für seine Weltsicht und seine Sicherheitsphilosophie. Er war von Anfang an davon überzeugt, dass der Gefahr von „Links“ und der Spionage durch feindliche Staaten nur mit einem schlagkräftigen Geheimdienst wirksam begegnet werden konnte. Er sah hierzu allein das FBI berufen. Mit anderen Nachrichtendiensten, insbesondere der 1947 gegründeten „Central Intelligence Agency“ (CIA) lagen er und sein Amt Jahrzehnte lang in Fehde. Beim Verfolgen des geheimdienstlichen Ansatzes griff das FBI allerdings systematisch zu Methoden, die von Recht und Gesetz nicht gedeckt waren: Abhören von Telefonen, Einbruch in Wohnungen und Geschäftsräume, um Abhörwanzen zu installieren und Dokumente oder sonstige Gegenstände zu entwenden, Öffnen von Postsendungen, Einsatz von Informanten, die vor Gericht nicht präsentiert wurden. Hoover war sich bewusst, dass dieses Vorgehen gegen die Verfassung verstieß, wonach das Eindringen in die Privatsphäre nur aufgrund richterlicher Anordnung zulässig ist.

Die Überwachung und Bespitzelung von tatsächlichen oder vermeintlichen Kommunisten und Gewerkschaftern durch das FBI erreichte schon zwischen den Weltkriegen gigantische Ausmaße. Das Büro legte hunderttausende personenbezogener Dossiers an. Ab 1947 erreichte die Verfolgung von als Radikale und Kommunisten Verdächtigten einen neuen Höhepunkt. Das FBI unterstützte insbesondere den Unterausschuss des Senats für „Unamerikanische Umtriebe“, seit 1950 unter dem Vorsitz des ebenso fanatischen wie gnadenlosen Senators Joseph McCarthy, indem es zahlreiche Dossiers zur Verfügung stellte.

Trotz allem galt das FBI in der amerikanischen Öffentlichkeit als heldenhafte Organisation. Hoover war ein Mythos, der unbeirrbare Streiter für ein sicheres Amerika. Durch seine guten Kontakte zum Kongress und zur Presse war er unangreifbar geworden. Kein Präsident, kein Justizminister konnte es wagen, ihn zu entlassen, zumal stets zu befürchten stand, dass Hoover im Gegenzug eines seiner gefürchteten geheimen Dossiers über private Verfehlungen und Eigenarten des Kontrahenten an die Öffentlichkeit spielen würde.

Hoovers Stern begann unter der Präsidentschaft von Richard Nixon zu sinken. Nixon ging auf Distanz zum FBI-Direktor, als dieser sich weigerte, Plänen des Weißen Hauses zuzustimmen, einen neuen Nachrichtendienst unter Einbeziehung der Geheimdienstabteilung des FBI einzurichten. Die aus der Sicht Nixons zögerlichen Ermittlungen des FBI gegen den Informanten der „New York Times“ wegen der Weitergabe der Pentagon-Papiere mit geheimen Informationen über den Vietnamkrieg taten ein Übriges. Nixon erwog wiederholt, sich von Hoover zu trennen. Eine Entscheidung erübrigte sich, da Hoover am 2. Mai 1972 im Alter von 77 Jahren starb.

Wenige Wochen später, am 16. Juni 1972, begann mit dem Einbruch in die Wahlkampfzentrale der Demokratischen Partei im Watergate-Komplex in Washington D. C. die Affäre, die sich zu einem der größten Skandale der Geschichte der USA ausweiten und den Präsidenten das Amt kosten sollte. Unmittelbar nach der Tat übte das Weiße Haus massiven Druck auf das FBI aus, die Ermittlungen zum Watergate-Einbruch unverzüglich einzustellen. Das FBI weigerte sich. Seine Ermittlungen über das Ausmaß der Vertuschung und Verschwörung durch das Weiße Haus, aber auch die heimliche Weitergabe von Informationen durch leitende Beamte des FBI an die Presse, etwa durch den Vizedirektor Mark Felt („Deep Throat“) an Bob Woodward von der „Washington Post“, führten schließlich am 8. August 1974 zum Rücktritt Nixons.

Den Nachfolgern von Hoover im Amt des Direktors waren die Geheimdienstpraktiken des FBI fremd und suspekt. Sie stellten die Mehrzahl der „politischen“ Verfahren mit Geheimermittlungen ein und verlagerten den größten Teil der Ermittlungskapazitäten in die allgemeine Kriminalabteilung.

Beginnend mit den Bombenanschlägen auf die Berliner Diskothek „La Belle“ im Jahre 1986 und auf die PanAm-Maschine, die am 21. Dezember 1988 über dem schottischen Ort Lockerbie abstürzte, wurde Amerika mit einer Form des Terrorismus konfrontiert, auf die das Land und seine Sicherheitsbehörden nicht vorbereitet waren. Während die Initiierung der beiden Anschläge nach langjährigen Ermittlungen dem libyschen Staatschef Gaddafi nachgewiesen werden konnte, waren die Sprengstoffanschläge auf das New Yorker World Trade Center (1993), das US-Militärquartier Khobar Towers in Saudi Arabien (1996), die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam (1998), den Zerstörer USS Cole (2001) und schließlich die Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center und das Pentagon in Washington das Werk von Al Qaida.

Das FBI war in einer denkbar schlechten Verfassung, die neuen Gefahren rechtzeitig zu erkennen und terroristische Anschläge abzuwehren. Die Geheimdienstabteilung war in den vergangenen Jahren erheblich reduziert worden. Der Austausch von Informationen zwischen dem FBI-Hauptquartier und seinen 56 Außenstellen sowie der Außenstellen untereinander war mangelhaft. Jede Dienststelle ermittelte für sich, keine wusste, was die andere tat und welche Informationen sie besaß. Eine Koordinierung der operativen Aktivitäten durch die Zentrale fand nicht statt. Zudem verfügte das FBI über ein völlig unzulängliches Informations- und Kommunikationssystem, das sich auf dem Stand der Technik von 1960 befand. Der 1993 von Präsident Bill Clinton zum neuen FBI-Direktor berufene Louis Freeh scheiterte wegen der hohen fachlichen und technischen Anforderungen mit dem Vorhaben, in der Organisation schnellstmöglich ein leistungsfähiges, dem neuesten Stand der Technik entsprechendes Informations- und Kommunikationssystem einzuführen. Als verhängnisvoll erwies sich schließlich, dass das FBI-Hauptquartier Angaben von Informanten mit Zugang zu Al Qaida in ihrer Relevanz nicht erkannte oder nicht einzuordnen vermochte, und bedeutsame Hinweise seiner Außenstellen unbearbeitet ließ oder als nicht erheblich bewertete, zum Beispiel Informationen über Teilnahme an Flugschulungen im Vorfeld des 11. September 2001. Eine für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus unverzichtbare Zusammenarbeit von FBI und CIA fand praktisch nicht statt. Das Verhältnis war nach wie vor von Rivalität und gegenseitiger Abschottung geprägt. FBI und CIA hielten sich einander Informationen vor, die bei einer rechtzeitigen Zusammenführung möglicherweise Schaden hätten verhindern können. Das betraf auch Erkenntnisse, die auf Vorbereitungen der Anschläge vom 11. September durch Al Qaida hindeuteten.

Der von Präsident George W. Bush zum neuen Direktor des FBI ernannte Robert Mueller war wenige Wochen im Amt, als Amerika von den Terrorakten des 11. September erschüttert wurde. Das FBI leitete mit über 4000 Agenten die größte Ermittlungsaktion seiner Geschichte ein. Der Kongress verabschiedete im Eilverfahren den Patriot Act mit deutlich erweiterten Befugnissen für die Sicherheitsbehörden. Die Bush-Regierung hielt es für erforderlich, zu den Geheimdienstmethoden der Hoover-Zeit zurückzukehren. Die Nationale Sicherheitsbehörde begann, ohne richterliche Anordnung millionenfach den Telefon-, E-Mail- und Internetverkehr im In- und Ausland zu überwachen und gewonnene Erkenntnisse an das FBI weiterzugeben (Programm „Stellar Wind“). Als die geheimen Überwachungen immer weiter ausgedehnt wurden, verlangte Müller deren Einschränkung. Er sah sich nicht länger in der Lage, an der Aktion mitzuwirken, und bestand auf seiner Verpflichtung, die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen FBI zu gewährleisten. Mueller bot seinen Rücktritt an, blieb aber im Amt, nachdem Bush zugesagt hatte, das Programm auf eine rechtmäßige Grundlage zu stellen.

Unterschiedliche Auffassungen zwischen dem FBI einerseits und dem Weißen Haus, dem Militär und der CIA andererseits herrschten auch wegen der Behandlung von Gefangenen bei Verhören. Beamte des FBI waren in den Irak, nach Afghanistan und nach Guantanamo entsandt worden, um dort unter Terrorverdacht festgenommene Personen zu verhören. Für das FBI galt der eherne Grundsatz, bei Verhören keinerlei Brutalität, Gewalt und Einschüchterung anzuwenden. Dem Militär und der CIA reichte diese Art, Verhöre zu führen, nicht. Sie übernahmen die Befragungen der Gefangenen und unterwarfen sie „harten“ Methoden, bei denen es zu systematischen Folterungen, wie etwa „Waterboarding“, kam. Die Beamten des FBI lehnten die weitere Teilnahme an den Verhören ab.

Auch in Konsequenz zu dem Bericht der 9/11-Kommission des Kongresses, der die mangelnde Fähigkeit des FBI hervorgehoben hatte, drohende Terror-Gefahren rechtzeitig zu erkennen, entschied Mueller, dem Büro wieder eine stärkere Geheimdienststruktur zu geben. Er sorgte vor allem für eine verbesserte Koordinierung und Kontrolle der Bereiche Nachrichtengewinnung, Spionage- und Terrorismusabwehr und untersagte den Einsatz Illegaler Maßnahmen zur Beschaffung von Informationen.

Unter Präsident Barack Obama, der an Mueller als Direktor des FBI festgehalten hat, sind nunmehr Richtlinien für die geheimdienstlichen Untersuchungen des FBI in Kraft gesetzt worden, die – erstmals in der Geschichte der Organisation – verbindlich festlegen, dass Maßnahmen der geheimen Informationsbeschaffung nur in engen Grenzen und unter strikter Beachtung der „verfassungsmäßigen Prinzipien und Rechtsgarantien“ und „nicht mehr nur aufgrund eines geheimen Präsidialerlasses“ vorgenommen werden dürfen. Dieser Wandel wäre ohne Übereinstimmung mit dem Präsidenten nicht möglich gewesen, ist ohne Zweifel aber auch der Beharrlichkeit Muellers zu verdanken, der weiterhin an der Spitze des FBI steht. Hoffnung oder Strohfeuer? – Die nächste Versuchung kommt bestimmt.

Weiner stellt die Entwicklung des Büros, das 1908 mit 34 Spezial Agenten begann und heute über mehr als 30 000 Mitarbeiter zählt, als die Geschichte eines Geheimdienstes dar. Er blickt auf eine geheimdienstliche Organisation, die sich im Kampf gegen die „Feinde der Vereinigten Staaten“ sah und dabei in wiederkehrender Übereinstimmung mit den Präsidenten tat, was sie angesichts der Bedrohung glaubte, tun zu müssen. Mit Mythen und Legenden, die sich um das FBI und vor allem um seinen berühmten Direktor Edgar Hoover ranken, räumt er gründlich auf. Weiner beschreibt verdienstvoller Weise eine Seite des FBI, die in der allgemeinen Wahrnehmung bisher so kaum präsent gewesen sein dürfte. Geläufiger dürfte hierzulande ein anderes Bild des FBI sein, nämlich das einer Strafverfolgungsbehörde, die in Zusammenarbeit und unter der Verantwortung der Staatsanwaltschaft wegen schwerer Straftaten ermittelt, Straftäter identifiziert und zur Anklage bringt. Dieser Teil der Geschichte des FBI wird von Weiner allenfalls am Rande erwähnt, obwohl der Kampf gegen die organisierte Kriminalität und die Mafia, aber auch gegen Wirtschaftskriminalität und Korruption eine ständige Herausforderung für das FBI war und nach wie vor ist. Insofern hat Weiner eine ebenso wichtige wie lesenswerte Geschichte des FBI geschrieben. Die ganze Geschichte ist es indes nicht.

Der Autor war von 1996 bis 2004 Präsident des Bundeskriminalamtes.







– Tim Weiner:
FBI. Die wahre Geschichte einer legendären Organisation. S. Fischer, Frankfurt am Main 2012. 6969 Seiten, 22,90 Euro.

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