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Kultur: Geheimnisse des Durchschnitts

„Gute Aussichten“: Junge Künstler im Berliner Museum für Fotografie

Schwer ruht der Kopf mit den großen Hörnern auf dem weißen Papier. Es muss ein mächtiges Rind gewesen sein, dessen sterbliche Reste Julia Unkel für ihre Fotografie so ernst und würdevoll drapiert hat, als würde es durch seine toten Augen sehen. Ein bisschen wirkt es auch wie eine Trophäe, doch wer die übrigen Aufnahmen der Studentin anschaut, der ahnt, dass dieses Tier kein Opfer eines Großwildjägers ist. Sondern den schieren Hunger auf Fleisch bedienen muss.

Julia Unkel, Studentin für Fotodesign an der FH Dortmund, zeigt im Museum für Fotografie auch den Ort der Schlachtung. Eine klinisch saubere, von kaltem Metall dominierte Fabrik samt ihrer Protagonisten in rot befleckten Schürzen. Das fotografische Ensemble, mit dem die 1982 Geborene die Jury des Wettbewerbs „Gute Aussichten – junge deutsche Fotografie 2011/2012“ überzeugt hat, klagt allerdings niemanden an. Vielmehr führt es in sachlicher Tradition einen von allen Riten und Gefühlen entfremdeten Prozess vor, in den bloß der abgetrennte Rinderkopf mit seinen Blutspuren eine Ahnung von der Brutalität des Schlachtens bringt.

Wie harmlos wirken dagegen erst einmal die Sujets jener Abschlussarbeiten, mit denen die anderen fünf Finalisten von deutschen Hochschulen, Akademien und Fachhochschulen in das Berliner Museum eingezogen sind. Sebastian Lang, der an der Hochschule der Bildenden Künste in Braunschweig studiert, hat Einfamilienhäuser mit spitzen Giebeln bei Nacht fotografiert. Johannes Post (Hochschule der bildenden Künste Hamburg) schneidet Kleidung entzwei, während Sara-Lena Maierhofer dem jungen Mann auf ihrer schwarzweißen Fotografie ein drittes Bein an die Hüfte montiert und Franziska Zacharia artifizielle Räume erfindet.

Das sind ästhetische Kleinigkeiten, wenn man sie mit dem toten Tier konfrontiert. Sobald der Blick aber in das Kabinett der Ausstellung wandert, in dem parallel die kleine historische Zusammenschau „Berliner Photographie“ von 1921 zu sehen ist hat, wird klar, wie unerhört diese Fokussierung auf das Lapidare eigentlich ist. Und wie konsequent innerhalb der Lichtbildgeschichte. Was Fotografen wie Nicola Perscheid oder Frieda Riess vor neunzig Jahren im Martin-Gropius-Bau zeigten, verfolgte dieselbe Absichten. Bloß mit anderen Mitteln und Motiven, die einem heute unwiederholbar idyllisch vorkommen. Vor einem knappen Jahrhundert galten sie als nebensächlich.

Schnee auf Zweigen, eine Berliner Straßenszene, der Weg um den Wannsee: Die Szenen forderten von der Avantgarde den Mut, ihre Kameras auf das Unspektakuläre zu richten. Das Exklusive lag im Blick des künstlerisch ambitionierten Fotografen, der in der lapidaren Szenerie eine raffinierte Komposition erkannte oder daraus machte.

Das ist die Schnittmenge. Wenn Sebastian Lang in seiner Serie „Behaviour Scans“ triste Einfamilienhäuser bei Nacht abbildet, geht es nicht um Schönheit. Sondern um die große Lüge der freien und individuellen Wahl. Lang hat die Bilder im pfälzischen Hassloch aufgenommen, das die Gesellschaft für Konsumforschung zum durchschnittlichsten Ort Deutschlands kürte. Dank der subjektiven Interpretation des Künstlers wirken die nächtlichen Szenen nun immerhin aufgeladen – mit einer Atmosphäre des Unheimlichen. So gibt Lang ihm wenigstens etwas von einem Geheimnis zurück.

Ähnlich lässt sich der Zyklus von Sara-Lena Maierhofer lesen. In 66 Bildern und Objekten erzählt sie die Geschichte eines Hochstaplers, der wohl am Ende selbst nicht mehr weiß, welche Details seiner Biographie Wahrheit und welche der Dichtung entsprungen sind. Die Absolventin der FH Bielefeld spart mit Informationen, ordnet ihr Material allerdings so narrativ, dass man sich selbst bald in die Geschichte verstrickt. Und merkt, wie verführerisch solch eine erfundene Identität als Millionär sein kann. Tief in Taschen der mobilen Generation schaut der Hamburger Student Johannes Post, wenn er seine fotografische Serie „Inform“ mit 36 Ansichten durchtrennter Jacken und Hosen bestückt. Er schneidet sorgfältig durch alle Taschen, in denen sich Handys und andere elektronische Dinge verbergen, die ihre vorgeblich individuellen Träger letztlich doch zu einer Masse von Konsumenten machen. Uniform eben.

Spektakulär sind solche Erkenntnisse zwar nicht. Sehenswert aber werden sie dank der Spielräume, die sich die Nachwuchsfotografen erschlossen haben. Ihre Themen bearbeiten sie präzise, jeder in seiner eigenen ästhetischen Sprache. Das Erbe jener Vorgänger, die in den zwanziger Jahren das „Neue Sehen“ propagierten, wird aufgefächert und fortgesponnen. Neu erfunden wird es nicht.

So hütet sich die Jury auch davor, in den Siegern des Wettbewerbs schon jetzt eine künftige Avantgarde zu sehen. Eher geht es der Kunsthistorikerin Wiebke von Bonin oder dem Künstler Jürgen Klauke um die experimentelle Interpretation des Mediums. Das gelingt den sieben Absolventen hervorragend – wobei man sich schon etwas bang fragt, weshalb bei knapp 100 eingereichten Abschlussarbeiten nicht mehr Beispiele zu sehen sind.

Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, bis 29. 1. 2012

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