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Kultur: Geist ist geil

Berlinale-Duo: Dieter Kosslick und Alfred Holighaus über das Politische am deutschen Film und den Clash der Kulturen

So viel deutsches Kino war nie auf der Berlinale. Ist das die Ernte der Charmeoffensive, die Sie vor fünf Jahren starteten?

DIETER KOSSLICK: Zunächst ist es ein schöner Zufall, dass es so viele gute Filme gibt. Zum zweiten zeigt sich jetzt die „Rabattmarken“-Wirkung des neuen Filmförderungsgesetzes. Für die Produzenten bringt es Punkte, wenn ein Film im Wettbewerb läuft, da er dann mehr Produktionsförderung für den nächsten Film bekommt. Das ist ein Anreiz.

Klingt so, als hätten Sie den deutschen Film gekauft.

KOSSLICK: Dieses Gesetz haben wir ja nicht gemacht, und es gibt einen dritten Aspekt: Es zeigt seine Wirkung, dass die deutschen Filme von den internationalen Berlinale-Jurys in den letzten Jahren immer mit Preisen ausgezeichnet wurden.

ALFRED HOLIGHAUS: Die Stimmung hat sich verbessert. Das Punkte-System macht uns das Leben gleichzeitig schwer, weil alle in den Wettbewerb wollen. Aber da ist ja auch das gewachsene Publikum für deutsche Filme. Früher kannte der deutsche Film pro Epoche nur ein Genre: den Betroffenheitsfilm in den siebziger Jahren, die Beziehungskomödie in den achtziger und neunziger Jahren. Seit der Jahrtausendwende erzählen die Filmemacher ihre Geschichten mit einem neuen Selbstbewusstsein und in vielen verschiedenen Formen.

KOSSLICK: Die Regisseure und Regisseurinnen machen sich langsam frei. Sie haben keine Angst mehr – das kann man im Wettbewerb etwa bei Valeska Grisebach und Matthias Glasner sehen.

Erstliga-Spieler, etwa Detlev Buck und Dominik Graf, müssen sich mit Plätzen im Panorama begnügen. Die haben sicher schwer geschluckt.

KOSSLICK: Auch Kim Ki-duk hat schwer geschluckt, als sein letzter Film in Cannes nicht im Wettbewerb, sondern in der Reihe „Un certain regard“ lief. Als ich ihm deshalb gratulierte, war er sehr erstaunt. Ich sagte ihm: Das Wichtigste ist, dass du auf dem Markt bist, wo auch immer. Wir hatten einfach nicht genügend Platz für alle.

Vier von 19 Wettbewerbsbeiträgen sind deutsch. Ausländische Beobachter finden das vielleicht nationalistisch.

KOSSLICK: Schon bei meiner ersten Berlinale mit vier deutschen Filmen im Wettbewerb kritisierten ausländische Journalisten das teils sehr scharf. Diese Berlinale aber ist die bisher internationalste. Sollte sich Unmut über die deutsche Bugwelle aufbauen, müssen wir das aushalten. Wir sind ein Filmfestival in Deutschland, da ist es doch klar, dass wir die guten deutschen Filme zeigen.

HOLIGHAUS: Der deutsche Film ist universeller geworden. Das muss auch hier zuerst erkannt werden, nicht in Sundance oder in Cannes.

Die Perspektive Deutsches Kino ist eine Art Nachwuchsreihe geworden. War sie am Anfang nicht anders konzipiert?

HOLIGHAUS: Die ursprüngliche Idee war, zusätzlich zur Charme-Offensive im Wettbewerb auch Nischen des deutschen Films einen Programmplatz zu geben. Aber den Schwerpunkt auf dem Nachwuchs gab es von Anfang an. Deshalb haben wir schon immer an den Filmhochschulen gesucht und gefunden. 2006 ist auch das Jahr der Quereinsteiger und Autodidakten wie der Schauspielerin Franka Potente oder der Schauspiel- Brüder Lars und Axel Pape.

Der Eröffnungsfilm „Snow Cake“ wirkt eher klein, verglichen mit Cannes, das mit der Verfilmung des Bestsellers „Sakrileg“ eröffnet. Warum nicht genau so klotzen, etwa mit Terrence Malicks „The New World“, der nun später läuft?

KOSSLICK: Natürlich hätten wir auch mit einem so genannten Splash-Movie eröffnen können. Wir haben einfach einen schönen Film ausgesucht. Jetzt laufen zur Eröffnung die Stars Sigourney Weaver und Alan Rickman über den roten Teppich, das ist doch klasse.

Die Berlinale war schon immer ein politisches Festival. Michael Winterbottoms Guantánamo-Film im Wettbewerb ist eine klare programmatische Ansage. Kommen aus den Krisengebieten der Welt viele Filme von selber, oder suchen Sie gezielt?

KOSSLICK: Oft ist das eine ganz normale Entwicklung im Rahmen des Film-Scoutings. Der Iran zum Beispiel. Lange hat es keine Verbindung zum Berlinale-Wettbewerb gegeben, da das nationale Festival zeitgleich stattfand. Ich war im Herbst einige Tage in Teheran, habe viele Gespräche geführt und viele Filme gesehen. Viele Regisseure und Produzenten wollten gerne kommen. Weil das iranische Festival dieses Jahr erstmals vor der Berlinale stattfand, gab es auch kein Terminproblem mehr. Jetzt laufen sechs iranische Filme in Berlin, zwei davon im Wettbewerb. Michael Winterbottom hatte schon im letzten Sommer Interesse bekundet, seinen Guantánamo-Film zu zeigen, und wir wollten das auch. Dann kam Angela Merkel mit ihrer Guantánamo-Bemerkung zu Präsident Bush, und schon erhält der Film eine neue, traurige Aktualität.

Wie politisch ist denn der deutsche Film?

HOLIGHAUS: Er ist vor allem gesellschaftspolitisch. Der vordergründig politischste ist Jan-Henrik Stahlbergs „Bye Bye Berlusconi“, der ist komplett auf italienisch gedreht und spielt in Italien. Aber Statements werden im deutschen Film nicht abgegeben, auch wird nicht platt agitiert.

In den deutschen Wettbewerbsfilmen geht es um Liebesdramen, Gewalt, Einsamkeit und eine Teufelsaustreibung. Ganz schön depressiv.

KOSSLICK: Das sind große, besondere Liebesfilme. Wer die Liebe kennt, weiß, dass sie nicht nur heiter ist. Aber auch in anderen Wettbewerbsfilmen – von Australien bis Dänemark – geht es um Beziehungslosigkeit, um das Auseinanderfallen von Teilen der Gesellschaft und die leidenschaftlichen Versuche, wieder zueinander zu kommen. Der Freizeitforscher Horst Opaschowski vertritt die These, dass die Beziehungslosigkeit, das ganze Gegeneinander und Vorteil-Erhaschen, alle diese Spätfolgen der windigen Analysten und Zigarettenburschen des neuen Markts dem Wunsch nach einer neuen Verantwortung weichen.

Und da funktioniert das Kino als moralische Anstalt?

KOSSLICK: Die Filme sind Vorboten. Die Zuschauer haben vom Eskapismus die Nase voll. Sie wollen Unterhaltung, aber gleichzeitig eine künstlerische und intelligente Sicht auf profane Probleme. Geist ist wieder geil. Nehmen Sie Sidney Lumets „Find Me Guilty“: Da ist jemand mit alten Werten, witzig, charmant, verantwortungsbewusst und in der Lage, Fehler einzugestehen – und er siegt!

HOLIGHAUS: Aber es gibt auch Filme, die sich direkt politisch einmischen: Da ist der neue Film von Romuald Karmakar, sozusagen der deutsche Beitrag zum Karikaturen-Skandal. Manfred Zapatka liest zwei Stunden lang Predigten eines islamischen Mullahs aus einer Hamburger Moschee, diesen ganzen mittelalterlichen Mist, gespickt mit erschreckenden aktuellen Äußerungen . „Hamburger Lektionen“ ist ein sehr aufklärerischer Film.

Der Aufstand der Islamisten gegen die Mohammed-Karikaturen propagiert auch ein Bilderverbot. Das berührt das Kino grundsätzlich. Wie reagiert die Berlinale auf den Clash der Kulturen?

KOSSLICK: Wir sind die letzten, die sich solchen Diskussionen verweigern. Mit Annette K. Olesens „1:1“ haben wir einen dänischen Film im Panorama, der genau diese Diskussion berührt und uns mit unseren eigenen Vorurteilen konfrontiert: Es geht um junge Marokkaner in einer Kopenhagener Wohnsiedlung. Das eine ist das Verbot von vorhandenen Bildern, genauso wichtig ist aber die Frage: Welche Bilder sind überhaupt erlaubt? Denken Sie an die Oligarchisierung der Medienkonzerne, denken Sie daran, welche Bilder aus dem Irak rauskommen und welche nicht. An diese Reglementierung halten wir uns bei der Berlinale nicht.

Sie amtieren jetzt im fünften Jahr: Ihre größte Leistung?

HOLIGHAUS: Die noch größere Leistung – nämlich gute Filme zu finden.

KOSSLICK: Die zusätzlichen Dimensionen, die wir dem Festival gaben. Dass wir uns an Filmen wie „Paradise Now“ fördernd mit dem World Cinema Fund beteiligen konnten, die Synergien, die in konkrete Filme münden. Und dass der für die Berlinale lebensnotwendige European Film Market wächst und dieses Jahr erstmals im Martin-Gropius-Bau stattfindet.

Und Ihr größter Irrtum?

HOLIGHAUS: Da muss ich nachdenken. Vielleicht, dass wir jedes Jahr neu auf besseres Berlinale-Wetter setzen?

KOSSLICK: Na ja, wenn ich aus meinem Büro auf unsere schönen Berlinale-Plakate auf der Potsdamer Straße gucke, könnte ich, bei weiterem Nachlassen meines Augenlichts, glatt Palmen erkennen. Auch wenn das ein Irrtum wäre.

– Das Gespräch führten Christiane Peitz und Jan Schulz-Ojala.

DIETER KOSSLICK, 57, und seit Mai 2001

Berlinale-Chef , ist auch Vizepräsident der Europäischen Filmakademie. Zuvor war er als Chef der NRW-Filmstiftung der oberste Filmförderer Nordrhein-Westfalens; in den Achtzigern arbeitete er unter anderem als „Konkret“-Redakteur und als Redenschreiber von Hamburgs Bürgermeister Ulrich Klose. 1986 gründete er dort das Europäische Low Budget Forum.

ALFRED HOLIGHAUS, 47, leitet die seit 2002 neue Berlinale-Reihe Perspektive Deutsches Kino und fahndet nach deutschen Filmen für alle Festival-Sektionen. Zuvor arbeitete er unter anderem bei der Senator-Filmproduktion und als Chefredakteur des Stadtmagazins „tip“.

Die 56. Berlinale eröffnet am Donnerstag mit Marc Evans Wettbewerbsfilm Snow Cake . Die Goldenen und Silbernen Bären werden am Sonnabend, den

18. Februar, verliehen.

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