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Kultur: Geist und Dämon

Was Fußball leisten kann: Gedanken über Fairness und Männerkrieg / Von Georg Klein

Man muss nicht als Fan einer Gastmannschaft nach Istanbul reisen, um hässliche Szenen auf und neben dem Fußballfeld zu erleben. Als Vater eines vierzehnjährigen und eines elfjährigen Vereinsfußballers habe ich in den letzten Jahren auf bundesdeutschen Sportanlagen einiges gesehen: geschickt verdeckte Ellenbogenstöße, Anspucken mitten ins Gesicht, selbst gezielte Tritte in den Unterleib des am Boden liegenden Gegenspielers. Auch dem Ohr wird regelmäßig Übles geboten: sexuelle Beschimpfungen niederträchtigster Art, die Androhung von Prügel und rassistisches Sprachgut, mit dem sich bereits die Bevölkerung des Nachbardorfes zu einer minderwertigen Ethnie erklären lässt.

Ich erspare mir jedes Zitat. Es ist noch ein wenig schlimmer, als sich Ihre Fantasie so etwas vorstellt.

Gleichzeitig muss ich sagen: Keines der Spiele, die ich beobachtete, musste abgebrochen worden. Unsportlichkeiten, die der Schiedsrichter sah, wurden sofort gemäß den Regeln geahndet. Meist wirkten zudem Betreuer und vernünftige Mitspieler mäßigend auf die Übeltäter ein. Nicht selten wurden diese gezwungen, sich mit Handschlag zu entschuldigen.

Auch die türkischen Knaben. Ich betone dies eigens; denn nach weit über hundert Spielen, die ich als sorgender Vater vom Rande aus verfolgt habe, wage ich zu sagen, die Wahrscheinlichkeit grober Regelverletzung ist bei türkischen Jungen höher, und sie steigt noch einmal, wenn eine Mannschaft sich ausschließlich aus türkischstämmigen Spielern zusammensetzt. Davor sollten wir nicht die Augen verschließen. Und wenn wir uns nahe genug an vergleichbare Tatorte bewegen, ist dies auch gar nicht möglich. Was auf deutschen Sportplätzen geschieht, kann man auch auf deutschen Schulhöfen oder in deutschen Diskotheken beobachten: Die Androhung körperlicher Gewalt, das Demütigen und Einschüchtern durch Beschimpfen, Spucken und Schlagen liegen dem männlichen Nachwuchs unserer türkischen Mitbürger oft näher als ihren nicht türkischen Altersgenossen.

Wir müssen nicht gleich panisch fragen, woher das nur kommen mag und mit welchen Programmen der Staat diesen Missstand bekämpfen soll. Freuen wir uns doch erst einmal darüber, dass die Gesellschaft schon einiges dagegen tut. Die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter in den Vereinen, die guten fleißigen Lehrer, die es neben den miserablen und faulen ja auch gibt, und die interkulturell erfahrenen Eltern und Schwestern der Rabauken versuchen täglich tausendfach, diese zum Einhalten wichtiger Regeln zu bewegen.

Eine vergleichbar pragmatische Reaktion steht nach dem Länderspiel am Mittwoch nun auch auf internationaler Ebene an. So wenig wie die Schweiz angesichts von Übergriffen auf ihre Spieler nun der Türkei den Krieg erklären muss, so wenig ist es nötig und angebracht, die türkischen Fußballfans pauschal als Barbaren zu denunzieren. Die weit überwiegende Mehrzahl der Zuschauer auf den Rängen hat sich anständig verhalten. Und den Spielern der türkischen Nationalmannschaft kann nichts vorgeworfen werden, was den Rahmen üblicher Hektik überschreiten würde.

Ans Licht muss dennoch, was es an hässlichen Szenen am Rande, halb oder ganz verborgen in den Katakomben des Stadions, gegeben hat. Dass man dort Menschen geschlagen und Kameraleute am Filmen der Vorfälle gehindert hat, muss, wenn schon kein Bild vorliegt, in entsprechend anschauliche Worte gebracht und umfassend medial verbreitet werden.

Mannschaftssportarten wie die großen Ballspiele ahmen die kriegerische Auseinandersetzung nach. Es gibt einen kollektiven Gegner, den man gemeinsam niederringen will. Dies geschieht aber im Rahmen strenger Regelungen und unter der ständigen Kontrolle vieler Augen. Leidenschaftlicher Kampf Mann gegen Mann, strikte Regelunterwerfung und das blanke Offenliegen allen Tuns machen den unerreichten Reiz des Fußballs aus, wie wir ihn fast täglich auf Dorfbolzplätzen und in den gewaltigen modernen Arenen genießen können. Dieser Genuss schließt die Freude an Härte und Risiko mit ein. Er umschließt auch den Triumph des Siegers und die bittersüße Solidarität, die die Unterlegenen mit ihren Fans teilen.

Damit dies gelingt, müssen aber auch Schande und Scham möglich sein. Wer auf dem Platz oder in dessen Umfeld spuckt, gemein zutritt oder gar zuschlägt, muss neben der im Regelwerk vorgesehenen Sanktion auch die Geringschätzung der Regeltreuen zu spüren bekommen. Aber selbst der formellen und symbolischen Abstrafung sollten wiederum Grenzen gesetzt sein. Sport ist nicht gleich Krieg, sondern im besten und schönsten Falle dessen strenge Verklärung zu einem das Leben, den Leib und die Ehre des Gegners achtenden Spiel. Dies ist kein Kulturfortschritt, der irgendwo, in irgendeinem Stadion oder Land, ein für alle Mal endgültig erreicht wäre. Fast jedes Spiel birgt die Gefahr des hässlichen Exzesses. Aber wenn das Rohe und Bösartige ausbleibt, wenn der Dämon dem Ritual der Regel gehorcht, beweist gerade der Fußball, wie viel Zivilisation am ewig kampflustigen Mann zu leisten in der Lage ist.

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