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Kultur: Geisterhaus

Starkes Debüt: „Die zwei Leben des Daniel Shore“

Ein Kind fällt vom Dach. Es könnte gestoßen worden sein. Unter dem Dach wohnt Daniel Shore (Nikolai Kinski), es ist das Haus eines Freundes in Tanger. Der junge Mann lebt dort mit einer Prostituierten. Sie ist die Mutter des Kindes. Daniel, geplagt von einem unbestimmten Schuldgefühl, verlässt Marokko. Er zieht nach Stuttgart in die Wohnung seiner verstorbenen Großmutter.

Den Kopf will er dort freibekommen und seine Doktorarbeit fertigstellen. Doch die neuen Nachbarn, eine verschrobene Sängerin (Katharina Schüttler) und ein gehemmter Architekt (Matthias Matschke), sind reichlich seltsam, und bald scheinen sich Gegenwart und Vergangenheit ineinander zu verschränken.

Zwei entfernte Pole des Unheimlichen spannt Regisseur Michael Dreher in Daniels beiden Leben auf: die schwüle Exotik von Tanger, Marokko, und die bedrückende Enge eines Mietshauses in Schwaben, scharf kontrastiert durch zwei gegensätzliche Bildsprachen. Doch das eine Leben greift immer tiefer in das andere hinein. Erinnerungsfetzen befeuern die Paranoia des passiven Protagonisten, der erst im letzten Moment zu einer Handlung sich hinreißen lässt – denselben Fehler will er nicht noch einmal machen. Ein junger Mann verliert den Halt, Kinski-Sohn Nikolai spielt ihn mit ansprechender Zurückhaltung. Letzte Klarheit darf man allerdings nicht erwarten. „Die zwei Leben des Daniel Shore“ ist ein rätselhafter Thriller, der manches Geheimnis auch am Ende nicht offenlegt.

Dass ein solcher Film überhaupt hat entstehen können, ein Film, dessen Drehbuch bei der Lektüre Fantasie verlangt, der weder Arthouse ist noch echtes Genre, der ohne Milieu und Psychologie auskommt und sich stattdessen ganz dem Atmosphärischen verschreibt – das ist hierzulande, wo die Filmfördergremien gerne geschwätzige Dialogbücher mit Geldausschüttung belohnen, sehr erfreulich. Noch dazu, da man ja nicht sicher sein konnte, dass ein Jungregisseur in seinem Spielfilmdebüt diese Atmosphäre in den Griff bekommt. Doch es gelingt ihm ganz ausgezeichnet. Michael Dreher hat dies auch und vor allem zweien seiner Mitarbeiter zu verdanken: Ian Blumer mit seiner vorzüglichen Kamera sowie Lorenz Dangel mit seiner grandiosen, zwischen schwer und schwelgerisch pendelnden Orchestermusik.

Drehers Film ist keineswegs perfekt. Das Ineinanderschieben der beiden Erzählzeiten geht nicht immer ganz auf, gelegentlich droht die Spannung wegzubrechen. Schwerer wiegt, dass der Schluss ein wenig verpufft. Dennoch: „Die zwei Leben des Daniel Shore“ ist ein beeindruckendes Debüt. Hier macht sich ein junger Filmemacher auf den Weg, der tatsächlich mit Bildern zu arbeiten versteht. Sebastian Handke

Babylon Mitte, Moviemento, Neue Kant-Kinos

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