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Kultur: „Gelassen, aber nie gleichgültig“

Stimmen zum Tod von George Tabori

Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles:

Er war ein weiser und kindlicher Mensch, ein wunderbarer Zauberer. Jetzt hat er die Bühne verlassen. Am Schluss hat er in seinen Träumen inszeniert.

Gert Voss, Schauspieler: George Tabori war von einer unbeschreiblichen Güte und einer herrlichen, nie nachlassenden Neugier, hatte Humor und eine enorme Toleranz. Er hat gelebt, was das Wort Weltbürgertum bedeutet. Er kannte keine Rivalitäten, hat nie jemanden ausgegrenzt und war unfähig zur Aggression – was am Theater sehr selten ist. Er hat mich ungeheuer bereichert: Die Zeit, in der ich mit ihm probierte, war meine angstloseste und freizügigste Zeit am Theater, sei es bei der Arbeit an seiner „Othello“-Inszenierung oder an seinen Stücken „Requiem für einen Spion“ oder „Goldberg Variationen“. Er war ein irrsinniger Animator meiner Fantasie und wollte nie aufhören zu probieren. Als Schauspieler war man auch nie ein bloßer Exekutant seines Regiewillens, sondern auf Augenhöhe mit ihm. Er bewertete nicht, er war ein Mitreisender. Wenn man mit ihm zu einem Stück-Kontinent aufbrach, hat er sich immer genauso unerfahren gestellt wie der Schauspieler. Er schämte sich nicht für Fragen oder für die Unfähigkeit, die man immer hat, wenn man neues Territorium betritt. Und er war ein enorm guter Beobachter, glücklich, wenn der Schauspieler etwas Neues entdeckte.

Dem deutschsprachigen Theater hat er die Ideologielastigkeit und die Schwerfüßigkeit genommen. Er hat uns nicht gelehrt, dass man über den Holocaust lachen kann, er hat es gelebt. Tabori war nie ein Lehrer, hob nie den Zeigefinger. Wir anderen sind vom Kampfeswillen beseelt, vom Siegeswillen, vom Vernichtungswillen, all das gab es bei ihm nicht. Es war seine Lebensentscheidung, vielleicht ein besonderes Gen, so zu sein: gelassen, aber nie gleichgültig.

Elfriede Jelinek, Literaturnobelpreisträgerin: Was ich an seinen Stücken immer bewundert habe, war die ironische Leichtigkeit, mit der er die entsetzlichsten Dinge gefasst hat. Er hat mich immer an Charlie Chaplin erinnert, der mit der Weltkugel spielt, die völlig schwerelos ist.

Maria Sommer, Taboris Verlegerin bei Kiepenheuer: Als George Tabori, für dessen Stück „Die Kannibalen“ ich mit dem Schiller-Theater einen Vertrag gemacht hatte, 1969 zum ersten Mal bei mir im Verlag saß, spürte ich seine Reserve, seine Skepsis, seine große Sorge, wie diese Herausforderung einer Inszenierung der Geschichte seines Vaters in Auschwitz ausgehen könnte. Sie hat ihn nach Europa, nach Deutschland zurückgebracht. Er, der bis zuletzt betonte, er sei überall ein Fremdling, seine Heimat sei ein Bett und eine Bühne, hat hier im deutschsprachigen Theater einen Lebensraum und die Liebe und Verehrung eines großen Publikums gefunden. Tsp (mit dpa)

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