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Werbung in eigener Sache. Die New Yorker Metropolitan Opera bei der „Tosca“-Premiere im Herbst 2009.

© laif

Geldbeschaffungsmarketing: Die Spendenjäger der amerikanischen Kulturinstitutionen

Systembedingt hat die Krise amerikanische Kulturproduzenten wie die Met viel stärker getroffen als die Kollegen in Europa. Kunst trotz Krise: Wie New Yorker Kulturinstitutionen an ihr Geld kommen.

Hilary Ley ringt sich ein Lächeln ab. Die massiv beworbene Produktion von Giuseppe Verdis „Attila“ an der Metropolitan Opera hat den deutschen Gast restlos enttäuscht: Warum müssen die Kostüme unbedingt von Prada sein und die Bühnenbilder von Herzog & De Meuron – wenn am Ende eine Aufführung herauskommt, deren kitschiges Disney-Pathos jeden Anflug von Regie im Keim erstickt? „Wie Sie vielleicht gesehen haben, war das Haus voll“, lautet Mrs. Leys Antwort. Verlegenheitspause.

Voll, das ist an der New Yorker Metropolitan Opera mit 88 Prozent durchschnittlicher Auslastung keine Seltenheit. Voll, das bedeutet knapp 4000 Besucher am Abend – mehr als die Berliner Staatsoper und die Deutsche Oper zusammen unterbringen können. Hilary Ley ist stolz darauf. Sie arbeitet hier als „Director of Audience Initiatives and Special Projects“. Ein Titel, den man schwer ins Deutsche übersetzen kann, weil es diese Position in hiesigen Kultureinrichtungen so nicht gibt. Die energische Frau von Anfang vierzig koordiniert Besucherprogramme, leitet die Besucherforschung und organisiert Events, die das Publikum an die Met binden sollen. „Audience Development“ ist in den USA für jede Kulturinstitution unverzichtbar. Selbst in Krisenzeiten wird dafür viel Geld investiert.

Systembedingt hat die Krise amerikanische Kulturproduzenten wie die Met (mit ihrem Jahresbudget von rund 280 Millionen Dollar!) viel stärker getroffen als die Kollegen in Europa. Zwar steht die britische Filmförderung vor dem Aus, auch Italien leidet unter drastischen Kürzungen der Kultur- und vor allem der Opernsubventionen. Dennoch sind die Zeiten auf dem alten Kontinent vergleichsweise rosig. In Deutschland besitzen Musiktheater, Schauspielhäuser und Museen durch mehrjährige Zuwendungsverträge weitgehend finanzielle Planungssicherheit; das amerikanische Kulturverständnis dagegen ist historisch anders gewachsen. Freiheit als existenzieller Grundwert des Bürgers heißt hier vor allem Freiheit vom Staat – im Gesundheitswesen wie in der Kultur. Was in der Theorie liberal-romantisch klingt, bedeutet konkret, dass die Institutionen als Wirtschaftsunternehmen ihre Finanzierung jedes Jahr selbst sichern müssen.

Dabei ist man auf die unterschiedlichsten Geldquellen angewiesen: Die Einnahmen aus dem Ticketverkauf und den reichhaltigen Souvenirshops, die sich in fast jeder Kulturinstitution finden, werden als „earned income“, als selbsterwirtschaftetes Geld bezeichnet. Allein dieser Betrag belief sich bei der Met letztes Jahr auf 153 Millionen Dollar. Das entspricht dem jährlichen Gesamtbudget aller drei Berliner Opernhäuser.

Von all dem finanziellen Druck merkt wenig, wer hinter die Kulissen dieses Opernkolosses blicken darf. In den Katakomben des Gebäudes geht es vorbei an riesigen Lagerhallen, in denen zusammengebaute Bühnenbilder mit der Aufschrift „Zauberflute“ auf ihren nächsten Einsatz warten, man kann im Flur zuhören, wie die Sopranistin Renée Fleming bei offener Tür für ihr Gastspiel probt. Und schließlich läuft man irgendwo im Keller Placido Domingo über den Weg, der ausnahmsweise mal keinen Auftritt hier hat, sondern „nur kurz ein paar alte Freunde“ besuchen will, wie er dem fremden Besucher sofort kontaktfreudig erzählt.

Und dennoch. Hinter den Fassaden sah die Realität zuletzt düster aus. Neben dem „earned income“ müssen die Met und andere Kultureinrichtungen vor allem extrem reiche Privatspender für sich interessieren, die sogenannten „individual donors“. Im Idealfall bauen diese über Jahre eine enge Bindung zur Institution auf und knüpfen ihre sechs- bis siebenstelligen Spenden häufig an bestimmte Zwecke, etwa die Nachwuchsförderung oder kulturelle Bildung.

Rund jeder fünfte Dollar in amerikanischen Kulturbudgets stammt von solchen Privatmäzenen. Als Met-Intendant Peter Gelb im vergangenen Jahr 15 Millionen Dollar Spenden für einen Notfallfonds zweckentfremden musste, hatte die Krise auch das Edelopernhaus erreicht. Gänzlich unbeteiligt an der Kulturfinanzierung ist der Staat in den USA zwar nicht, Kulturbetriebe können öffentliche Gelder beantragen – allerdings nur zeitlich begrenzt und in kleinsten Ausmaßen. So geben die USA – ähnlich wie in Deutschland aufgeteilt auf nationale, bundesstaatliche und kommunale Fördertöpfe – rund eine Milliarde Dollar für die Kultur aus, etwa ein Zehntel von dem, was die öffentliche Hand in Deutschland jährlich locker macht.

Alles steht und fällt also mit den „individual donors“. Zumal die reichsten unter ihnen auch im „Board of Directors“ sitzen – einer Art Aufsichtsrat, der in jeder Institution die finanziellen und strategischen Geschicke lenkt. Und die Mitglieder haben Erfolgsansprüche. Unlängst erklärte Peter Gelb, dass die Abhängigkeit von externen Geldgebern im schlechten Fall auch bedeuten kann, nur noch „Carmen“ und „La Traviata“ spielen zu können. Da wird das volle Haus, die Quote, zum Totschlagargument.

Voll ist das Haus auch 60 Blocks weiter südlich. 100 Besucher sitzen hier, der „Performance Space 122“ gehört zur Off-Szene – doch die Herausforderungen sind dieselben. Die Einrichtung an der 1st Avenue in Manhattan ist eine alternative Kulturstätte, die – vergleichbar mit dem Berliner HAU-Theater – nicht selber produziert, sondern Theater- und Tanzgruppen aus der ganzen Welt einlädt. An diesem Abend hat eine junge Truppe aus New York ein Heimspiel. Mit all dem verspritzten Blut, der verschütteten Farbe und den halbnackten Darstellern würden sie in Deutschland schon zum alten Avantgarde-Eisen gehören, hier aber passt die Aufführung in das progressive Kunstzentrum, in dem es am Eingang kaltes Dosenbier gibt, „for free“.

Theater und Bier, dafür steht dem „PS 122“ ein Jahresbudget von 1,4 Millionen Dollar zur Verfügung. „Das Beschaffen von externen Mitteln ist für eine kleine Kultureinrichtung wie uns schwieriger als für Branchenriesen wie die Met“, erklärt der künstlerische Direktor Vallejo Gantner. In der Tat führt die Spendenpraxis in den USA bisweilen zu Verteilungsungerechtigkeit. Reiche Spender setzen gern auf „Visibility“, auf die prominente Sichtbarkeit der großen Einrichtungen, mit deren Weltruhm ihre Spenden verknüpft werden. Die alternative Szene und die „schwierigen“ Kunstgattungen können so viel Aufmerksamkeit schlicht nicht generieren. Umso erstaunlicher, dass es Vallejo und seinen Mitarbeitern jedes Jahr gelingt, etwa 80 Prozent des Budgets durch Fundraising aufzutreiben.

Auch diese für amerikanische Kulturbetriebe existenzielle Praxis des Geldbeschaffungsmarketings, dem jeder Kulturbetrieb enorme personelle und finanzielle Ressourcen widmet, ist in Deutschland immer noch befremdlich. Auf Spendenerwerbstour gehen, das wird hier eher mit Betteln oder Ausverkauf von Kunst gleichgesetzt. In den USA gründet das Fundraising dagegen auf einem klar formulierten und offensiv vertretenen Selbstverständnis jeder Kultureinrichtung: eine „Mission“, in der sich Kunst und Wirtschaftlichkeit nicht widersprechen. Wer sein Haus in diesem Sinne führt, wer ästhetisches und wirtschaftliches Gespür vereint, ist als Spendenempfänger attraktiv für reiche Mäzene und kann ihnen im Gegenzug das gute Gefühl aktiven Bürgerengagements verschaffen.

Wie hart das Akquirieren von Spenden und die Pflege der Beziehungen zu den Spendern sein können, das erzählt einem jeder Fundraiser, auch Gantner: „Das unterscheidet uns Amerikaner von euch Europäern. Wir müssen hier für jeden Cent arbeiten.“ Dass auch in Deutschland öffentliche Gelder zur Debatte stehen und ersten Kultureinrichtungen vor allem wegen der Finanznot der Kommunen die Schließung droht, überrascht den jungen Theatermanager. „Die alte Kulturnation Deutschland“, sinniert Vallejo leicht süffisant. „Vielleicht könnt ihr doch noch etwas von uns lernen.“

Daniel Wixforth

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