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Körper im Kampf. Hirsigs Gemälde „Divergentio Precox“ von 2018.

© Jens Ziehe

Gemälde von Stefan Hirsig: Unter der Farbhaut

Atmosphäre der Zerstörung: Die Gemälde von Stefan Hirsig in der Galerie Haverkampf wimmeln von Körpern und Körperfragmenten.

Schon vor einem Jahr war Stefan Hirsig mit seinen Bildern in der Galerie Haverkampf vertreten. Große Gemälde voller gewalttätiger Szenen, zu denen er sich von Goyas grafischem Zyklus „Desastres de la guerra“ inspirieren ließ. Letzteres musste man ihm unbesehen glauben, denn über den Figuren lag ein milchiger Schleier, der die Motive verunklarte und wie ausgewaschen wirken ließ: Ein Nachbild auf die Schrecken des von Goya bezeugten Krieges, in dem Napoleon die spanische Bevölkerung abschlachtete.

Das 19. Jahrhundert ist weit weg, ein Krieg dieser Art nicht mehr vorstellbar, dazu passte die weit-weit-weg-Malerei. Doch es gibt andere Gefahren, die sich als subkutane Krankheit ausbreiten und ihr Gift schleichend in die Gegenwart tragen, um zu zersetzen, was die Gesellschaft ausmacht. Hirsig reagiert darauf direkt: Indem er seiner aktuellen Ausstellung den völlig unzweideutigen Titel „Danger“ gibt und allen hellen Firnis aus den neuen Arbeiten verbannt. Das war es dann aber auch schon, denn die Sujets des Berliner Künstlers, Jahrgang 1966 und Absolvent der Universität der Künste (UdK) in der Klasse von Bernd Koberling, lösen diese Unzweifelhaftigkeit im zweiten Schritt keinesfalls ein.

Was man sieht: Ein Gewimmel aus Körpern und Körperfragmenten. Ineinander verschlungene Figuren mit der Wucht jener antiken Laokoon-Skulptur, die den Todeskampf dreier Männer auf ewig in Marmor bannt.

Lust oder Leid?

Zitate sind überhaupt ein Thema – weniger für Stefan Hirsig, der sich in der Geschichte der Malerei bestens auskennt, als für den Betrachter. Er wird gleich mehrfach an die absichtsvoll so ungelenk gemalten Füße oder Hände erinnert, die Picasso zur Darstellung von Menschen verwendete. Und auch jetzt drängt sich eher „Guernica“ als seine „Demoiselles d’Avignon“ auf; eine Atmosphäre der Zerstörung liegt über den Bildern bei Haverkampf. Auch wenn die erotische Komponente auf manchen von Hirsigs Leinwänden nicht zu übersehen ist.

Lust oder Leid? Die Titel der Werke (Preise: 17 000-29 000 Euro) geben wenig Aufschluss. Wortungetüme wie „Divergentio Precox“ oder „Hot Deal Permagna Supra“ lassen eher auf den Humor eines Künstlers schließen, der verbal Nebelkerzen wirft, damit man sich auf seine Malerei konzentriert. Mit jedem Moment vor einem dieser unheimlich intensiven, von Farbstrudeln und abstrakten Pinselschwüngen durchzogenen Bildern entknoten sich die körperhaften Formationen. Zersplitterte Figuren werden sichtbar, die sich – kämpfend oder liebend? – umarmen. Die Macht ausüben oder sich demütig fügen, ihre Glieder artistisch miteinander verwoben haben und ihre Augen überall. Hirsig ist ihr Schöpfer, aber ebenso auch ihr Zerstörer. Dass er die eindeutige Interpretation ins Leere laufen lässt, korrespondiert mit der Erkenntnis, dass es die eine gültige Wahrheit nicht gibt.

Nicht nur die Farben changieren zwischen hell und dunkel, die daraus entstandenen Charaktere balancieren ebenso auf einem schmalen Grat. „Danger“ – das ist auf jeden Fall nichts, was von außen auf die ringenden, sich windenden Gestalten einwirkt und sie verformt.

Galerie Haverkampf, Mommsenstr. 67; bis 6.10., Mi–Fr 11–18 Uhr, Sa 11–16 Uhr

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