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Kultur: Genforschung: Ausgenutzt

Menschliches Leben erzeugt, um es als Materialquelle zu nutzen: Vermutlich zum ersten Mal haben US-Wissenschaftler Embryonen ausschließlich mit dem Ziel produziert, aus ihnen Stammzellen zu gewinnen. Das berichteten am Mittwoch amerikanische Zeitungen.

Menschliches Leben erzeugt, um es als Materialquelle zu nutzen: Vermutlich zum ersten Mal haben US-Wissenschaftler Embryonen ausschließlich mit dem Ziel produziert, aus ihnen Stammzellen zu gewinnen. Das berichteten am Mittwoch amerikanische Zeitungen. Dieser für viele doch abstoßende Tabubruch hat die heftige Diskussion über embryonale Stammzellen in den USA noch weiter angeheizt. Dabei geht es um die politisch brisante Frage, ob der amerikanische Staat die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen finanzieren soll. Privat finanzierte Stammzellforschung ist dagegen ebenso möglich wie das Herstellen von Stammzellen aus "überzähligen" Reagenzglas-Embryonen.

Zum Thema Online Spezial: Die Debatte um die Gentechnik Forscher am Jones-Institut für Reproduktionsmedizin in Norfolk/Virginia, einer Klinik zur Behandlung von Fruchtbarkeitsstörungen, gewannen insgesamt 162 Eier von zwölf Eispenderinnen, die dafür pro Ei 1500 Dollar bekamen. Zwei Männer gaben ihr Sperma und erhielten dafür je 50 Dollar.

Die Wissenschaftler befruchteten die Eier, und es bildeten sich 40 Keimblasen, etwa 140 Zellen umfassende Embryonen im Frühstadium. Aus drei der Keimblasen gelang es, menschliche embryonale Stammzellen für Forschungszwecke zu gewinnen. Dabei wurden die Embryonen zerstört. Die Ergebnisse haben die Wissenschaftler im Fachblatt "Fertility and Sterility" veröffentlicht.

Das Erzeugen und Zerstören menschlicher Embryonen zu wissenschaftlichen Zwecken hat heftige Reaktionen bei Kritikern der Forschung an Embryonen ausgelöst. Abtreibungsgegner nannten die Versuche "gespenstisch". "Die Befürworter der Stammzellforschung haben immer gesagt, dass sie nur übrig gebliebene Embryonen umbringen wollten. Jetzt sieht man, wie hohl dieses Versprechen war", sagte Douglas Johnson von der Lebensschutzorganisation "National Right to Life Committee".

Richard Doerflinger, bei der katholischen Bischofskonferenz der USA für Abtreibungsfragen zuständig, sagte, dass "eine besonders Grenzlinie überschritten worden ist. Leben ist ausschließlich zum Instrument für andere geworden." William Gibbons vom Jones-Institut rechtfertigte das Tun seiner Kollegen damit, dass sie die Einwilligung der Ei- und Samenspender eingeholt hätten und dass diese über das weitere Vorgehen informiert worden seien. Da es von Anfang an nicht darum gegangen sei, einen Kinderwunsch zu erfüllen, habe man es mit einem ethisch besonders sauberen Vorgehen zu tun. Viele staatlich bezahlte US-Wissenschaftler warten sehnsüchtig darauf, dass Präsident Bush grünes Licht für die Stammzellforschung gibt. Unter Clinton waren bereits neue Förderrichtlinien für die Nationalen Gesundheitsinstitute der USA erlassen worden, die aber von Bush auf Eis gelegt worden waren.

Clinton drehte Geldhahn zu

Ironischerweise waren öffentliche Mittel für die Stammzellforschung 1994 gesperrt worden, weil damals ein von den Nationalen Gesundheitsinstituten eingesetztes Gremium der Meinung war, das Erschaffen von menschlichen Embryonen für bestimmte Experimente könnte gerechtfertigt sein. Clinton distanzierte sich und drehte den Geldhahn zu. Jetzt, kurz vor der möglichen Genehmigung öffentlicher Mittel, könnte das Wirklichkeit gewordene Embryonen-Experiment erneut die Stammzellforschung blockieren. "Der Zeitpunkt könnte nicht schlechter sein", stöhnte Michael Soules, Präsident der Amerikanischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin. "Ein bisschen perplex" sei er, sagte John Gearhart, einer der führenden Stammzellforscher. "Wir glauben nicht, dass es nötig ist, Embryonen zu machen, nur um sie zu zerstören."

Präsident Bush steht unter enormen Druck von Befürwortern und Gegnern. Flammende Appelle für die Stammzellforschung waren in angesehenen Zeitschriften wie "Science" - dem Flaggschiff der US-Forschung - und dem "Scientific American" erschienen. Dieser Tage soll eine große Fernseh- und Anzeigen-Kampagne beginnen, bei der zum Beispiel eine elfjährige Diabetikerin gezeigt wird. Motto: "Mit Stammzellforschung könnte eine Heilung möglich sein."

Vielleicht wendet sich erneut das Blatt. Oder aber der amerikanische Staat entschließt sich doch eines Tages, die Stammzellforschung rechtlich zu regeln. Das Erzeugen von Embryonen, um sie danach zu zerstören, verstößt zumindest gegen die Empfehlungen des US-Bioethikrats, der Nationalen Gesundheitsinstitute der USA und des Ethik-Beratergremiums der Europäischen Kommission. Vor allem aber dürfte das für viele Beobachter instinktlose und fragwürdige Vorgehen der Wissenschaftler auch Befürworter der medizinischen Stammzellforschung vor den Kopf stoßen.

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