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Gentechnik: Craig Venter: Die Biologie muss stimmen

Stoff und Zelle: Craig Venters wissenschaftliche Pioniertat wirft neues Licht auf eine uralte Frage: Was ist Leben?

Ein dicker blauer Klecks, dessen Ränder auslaufen wie Tinte auf Löschpapier. Das also ist künstliches Leben, so wie es der amerikanische Genforscher Craig Venter einer verdutzten Weltöffentlichkeit präsentierte. Der blaue Fleck, das sind Millionen von Mikroben, in deren Innerem ein von Venters Biotechnikern montiertes Genom den Stoffwechsel steuert. Ein Genom, dessen Sequenz am Computer konstruiert wurde. „Die erste sich selbst vermehrende Spezies, bei der ein Computer die Rolle der Eltern übernommen hat“, kommentierte Venter mit der ihm eigenen Lust an der Provokation sein Vorgehen. Leben als Datei, mit einem Herz aus Software.

Venters synthetische Zelle ist ein gentechnisches Kabinettstückchen erster Güte. Aber die winzigen, zu Kugelhaufen zusammengeballten Einzeller vom Typ Mycoplasma mycoides sind nicht eben das, was man sich unter künstlichem Leben so vorstellt. Eher denkt man an Frankensteins Monster und ungezählte andere Geschöpfe aus dem Labor, die von der Filmleinwand in unser kollektives Unterbewusstsein gekrochen sind. Craig Venters blauer Keim-Schleim dagegen erinnert an die Ursprünge. An die warme Ursuppe, in der das Abenteuer Leben vor dreieinhalb Milliarden Jahren begann.

Was ist Leben? Diese Frage, von der synthetischen Biologie neu beantwortet, treibt die Menschen seit jeher um. Was unterscheidet ein Lebewesen, eine Eidechse, eine Biene oder eine Sonnenblume von einem toten Gebilde, einem Stein, einer Muschelschale, einer Wüstendüne? Menschen sind vom Leben gefesselt. Jedes noch so geringe Lebenszeichen wird von den Sinnesorganen aufmerksam registriert. Man kann diese Wachsamkeit als Teil des evolutionären Erbes ansehen. Wer nicht genau registrierte, was um ihn herum geschah, wurde schnell ein Opfer von Raubtieren – oder fand selbst keine Beute.

Das Ganze funktioniert auch umgekehrt. Nicht selten vermutet der Mensch Leben, wo gar keines ist. Hinter Naturereignissen wie Blitz und Donner, einer Sturmflut oder einer verdorbenen Ernte verbarg sich das Treiben missgünstiger Götter oder das Werk teuflischer Hexer. Dämonen, Geister und Gespenster beschäftigen die menschliche Vorstellungskraft bis heute. Nie verzauberten mehr Orks, Feen, Avatare und Vampire die Menschen, auch wenn sie allesamt digital erzeugt werden. So viel künstliches Leben war nie. Die pure Natur genügt der Fantasie bis heute nicht.

Nur zu verständlich, dass das Rätsel des Lebens lange Zeit nicht ohne magisches Zutun zu erklären war. Was lebt, ist beseelt, besitzt eine Intention, verfolgt ein Ziel. Es ist auf mysteriöse Weise anders als das Tote. Der griechische Arzt und Naturforscher Galen war es, der im zweiten Jahrhundert im Menschen eine Art Lebensgeist am Werk sah – und damit eine Zweiteilung von Materie und Geist, von Körper und Seele postulierte. Eine beruhigende Idee: Der Körper mag ein Automat sein, der im Lauf der Jahre klappriger wird – die Seele kann sich davonmachen, wenn die Maschine irgendwann stehenbleibt, ihren Geist aufgibt.

Galens Zweiteilung hat sich über die Jahrhunderte gewandelt, blieb aber bis ins 20. Jahrhundert hinein aktuell. Der französische Philosoph Henri-Louis Bergson glaubte, dass sich Leben niemals rein mechanistisch erklären lassen würde, und prägte den Begriff vom „élan vital“, einer schöpferischen, alles Lebendige durchströmenden Energie.

Dabei hatte schon 1828 ein junger Berliner Chemiker dem Vitalismus einen schweren Schlag versetzt. Friedrich Wöhler gelang es, künstlich Harnstoff herzustellen. Er erzeugte so einen Stoff, der nur in lebenden Organismen bekannt war, aus „unbelebter“ Materie.

Wöhler ist also Venters Urahn. Auf ihn folgten in den nächsten 100 Jahren viele weitere Wissenschaftler, die die Welt des Lebendigen in ihre „toten“ Bestandteile zergliederten, in komplexe biochemische Bauteile.

Was fehlte, war eine Theorie, mit der all diese mikroskopischen Befunde wieder zu einem zusammenhängenden Bild, zu einem großen Ganzen zusammengefügt werden konnten. Es war kein Zufall, dass ausgerechnet ein Physiker dazu berufen war. 1944 legte Erwin Schrödinger mit seinem Aufsatz „Was ist Leben?“ den Grundstein einer solchen Theorie und inspirierte damit eine ganze Generation von Molekularbiologen. Schrödinger verband die Welt der Physik mit der Biochemie und „erahnte“ das Erbmolekül DNS, dessen Bedeutung 1953 mit der Entdeckung der Doppelhelix durch Francis Crick und James Watson offenbar wurde.

Leben, so könnte eine einfache moderne Definition lauten, ist Information und Replikation. DNS enthält die Bauanleitungen für Proteine und ist dazu imstande, sich zu verdoppeln und so zu vermehren. Mit dieser Festlegung ist jedoch auch klar, dass Leben nicht auf DNS und Proteine beschränkt sein muss. Denkbar, dass irgendwo im Universum ganz andere Materialien benutzt werden, um Information zu transportieren und diese zu vermehren. Und man kann wunderbar darüber spekulieren, dass auch unser Gehirn so ein Informationsträger und Replikator ist – von Ideen und Gedanken, von Sprache und Kultur.

Wenn Leben eine universal gültige Idee ist, dann besteht der Unterschied zwischen „natürlich“ und „künstlich“, auf den der „Schöpfer“ Craig Venter so stolz ist, genau genommen nicht. Die Grenze ist künstlich, sonst nichts. Dafür spricht auch, dass es natürlich möglich ist, die Erbinformation eines einfachen Organismus Buchstabe für Buchstabe nachzubauen. Am Ende könnte niemand Original und Fälschung unterscheiden.

Und doch hat die Reduktion des Lebens auf Physik und Chemie einen entscheidenden Webfehler: Sie klammert die Biologie selbst aus. Der Biologe Ernst Mayr hat immer wieder darauf hingewiesen, dass das Reich des Lebendigen „autonom“ ist und jenseits der anderen Naturwissenschaften über eigene Gesetze verfügt. In ihrem Zentrum steht die Evolution, die Geschichte des Lebens.

Zufall und natürliche Auslese, Katastrophen und Glücksfälle, das Werden und Vergehen von Kontinenten haben das Leben in unvorstellbar großen Zeiträumen geformt. Niemand sollte den Eindruck erwecken, er hätte das alles schon verstanden und glauben, Leben sei nicht mehr als ein Puzzle aus dem Biochemie-Baukasten. Leben, das zeigt die Evolution, ist auch ein chaotischer Prozess. Schön, mittendrin zu sein.

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