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George Tabori auf rotem Stuhl

©  dpa/Jens Kalaene

George Taboris Dramen: Weisheit und Weltkomödie

Theater war für George Tabori die schwierigste Sache der Welt – deshalb lieferte er sich ihm aus. Jetzt erscheinen seine Dramen in zwei Bänden.

Zwar verblasst allmählich das Erscheinungsbild des rastlosen jüdischen Weltbürgers George Tabori als Guru und Spielmacher besonders der deutschen Off- Theaterszene, aber überraschend lebendig und aktuell ist er als großer jüdischer Schriftsteller, Geschichtenerzähler und Stückeschreiber „ohne Land“, der in der Regel englisch schrieb, obwohl seine geistigen Kämpfe und peinlich-peinigenden Befragungen aufklärend tragikomische Deutschstunden waren. Sie erreichten und erreichen ihr Publikum großenteils in deutschen Übersetzungen seiner dritten Ehefrau Ursula Grützmacher.

Die Verleihung des Georg-Büchner- Preises 1992, die höchste Auszeichnung für deutschsprachige Literatur, an einen nicht in der Muttersprache schreibenden ungarischen Juden mit britischem Pass war überraschend, aber mehr als gerechtfertigt. „Eigentlich geht es nicht, in einer Fremdsprache zu dichten“, erläuterte Tabori 1987 sein Schreib-Verhältnis zur englischen Sprache, „es waren nur ein paar, denen es gelungen ist, Joseph Conrad oder Beckett zum Beispiel. Und ich wurde diese große Angst erst nach einem dritten Buch los, als ich in Amerika lebte, weil dort die Beziehung zur Sprache weniger feudal ist. Kein Amerikaner spricht richtig Englisch. Die Engländer tun es auch nicht. Die Sprache selbst ist chaotisch.“ Er bevorzugte, auch als er längst wieder in Deutschland und Österreich lebte, als Schriftsprache Englisch. Als sein Zuhause und eigentliche Heimat bezeichnete er „ein Bett und eine Bühne“.

George Tabori wurde am 24. Mai 1914 in Budapest geboren. 1932–34 machte er seinen Schulabschluss in Berlin und absolvierte hier und in Dresden Hotelpraktika. 1935–39 lebte er bei seinem Bruder Paul in London und betätigte sich als Reiseleiter. 1939 besuchte er in Budapest ein letztes Mal seine Eltern. Sein Vater wurde 1944 in Auschwitz ermordet, seine Mutter konnte sich der Deportation durch Flucht entziehen. Seine von 1940 an stets wechselnden Berufe und Aktivitäten als Journalist, britischer Armeesoldat und Geheimdienstmitarbeiter im Nahen Osten und als Reporter für die BBC lieferten ihm die Stoffe für mehrere Romane.

Mit "Brecht on Brecht" landet er den ersten Hit

Nachdem er 1947 die britische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, ging er in die USA, verfasste zahlreiche Drehbücher für Hollywoodfilme (u. a. „I confess“ für Hitchcock), schrieb und übersetzte Theaterstücke (mehrere von Bertolt Brecht, „Andorra“ von Max Frisch) und bemühte sich um Kontakte zu Theatern und Regisseuren. Seine Stücke wurden von Elia Kazan, Harold Clurman und Peter Hall inszeniert, größerer Erfolg blieb ihnen versagt. So gründete er eigene Theatergruppen, tauchte gelegentlich auch als Beobachter im Actors Studio Lee Strasbergs auf, er erarbeitete mit seiner zweiten Ehefrau, der aus Schweden stammenden Hollywoodschauspielerin Viveca Lindfors, Shakespeares „The Merchant of Venice as performed in Theresienstadt“ und landete schließlich mit „Brecht on Brecht“, einer Collage von Brecht-Texten, einen richtigen Hit. Der junge Bob Dylan war von dieser Aufführung ungeheuer beeindruckt: „Die rohe Kraft der Songs riss mich sofort vom Stuhl“, schrieb er in seiner Autobiografie „Chronicles“. 1968 folgte Tabori einer Einladung des Berliner Ensembles zum „Brecht-Dialog“: Sie wurde zum Auslöser für seine Rückkehr nach Europa.

Die Jahre in Hollywood, ab 1953 dann meistens in New York, ließen ihn nie zur Ruhe kommen, er sah sich immer wieder in neue Konfrontationen, Projekte und ungewöhnliche Aufgaben verwickelt. Die Notwendigkeit zu immer wieder neuen Aufbrüchen beflügelte seinen illusionslosen, überlebensfreundlichen schwarzen Humor und schärfte sein Gespür für die menschlichen Katastrophen. Das deutsche Theater wurde seine Fluchtburg, in der er genügend Schlupflöcher und Zugbrücken für seine Spielmacher-Aktivitäten fand, in der er experimentieren, seine Stücke entwickeln und in die passende Form bringen konnte. Und es war ein großes Glück, für die Darsteller und das Publikum, wenn er eine Rolle übernahm und mitspielte.

Er inszenierte Weltkomödien am Abgrund, voller Witz, Weisheit

1994 erschienen zwei Bände gesammelter Dramen von Tabori: die Summe seiner Theaterarbeit von den „Kannibalen“, die 1969 in der Werkstatt des Schiller Theaters in West-Berlin Premiere hatten, bis zu den „Goldberg-Variationen“ und „Requiem für einen Spion“, vom Autor selbst im Wiener Akademietheater grandios inszeniert: Weltkomödien am Abgrund, voller Witz, Weisheit, Ironie und „Pornographie“, bei der das „Skandalöse“ nicht die „nackte“ Wahrheit der Opfer, sondern die verkleidete, mit „Normalität“ getarnte Disziplin und Befehlsgewalt der Täter ist.

Taboris Theaterarbeit war wie die von Tadeusz Kantor ein höchst lebendiges Theater des Todes: Erinnerungsarbeit für die Lebenden in einer weiterhin von wirtschaftlichen Machtfaktoren, Glaubenskriegen und repressiver Gewalt gebeutelten Welt. Kantors Theater erwies sich nach dem Tod seines Erfinders und Spielleiters als seelenlos, nicht überlebensfähig; Tabori aber hatte dafür gesorgt, dass der Geist, die von Zweifeln genährte Komik und eben die Seele seines Schaffens in seinen Dramen weiterlebt. Die Erfahrungen mit dem Bremer Theaterlabor oder mit dem Wiener „Kreis“ waren für ihn bestimmt wichtig, aber Schubkraft und Seele bekam Taboris theatralische Sendung erst durch die Begegnung mit großen Schauspielern in Bochum, München, Wien und Berlin: mit Thomas Holtzmann, Peter Lühr, Gert Voss, Ignaz Kirchner, Ursula Höpfner, Eleonore Zetzsche, Branko Samarowski, Leslie Malton, Hildegard Schmahl, Michael Degen, Angelica Domröse, Hilmar Thate, Hans- Christian Rudolph zum Beispiel.

Sammelbände enthalten alle zu Lebzeiten aufgeführten Stücke

Im Steidl Verlag gibt es nun wiederum eine zweibändige Ausgabe seiner Dramen, die alle zu Lebzeiten Taboris aufgeführten Stücke enthält. Es ist keine historisch-kritische Präsentation mit Vorstufen, Varianten oder Skizzen zu aufgegebenen Projekten, aber eine besonders für noch an Stücken interessierte Theaterleute umso unentbehrlichere Edition. Denn die seit 1969 für Tabori als Verlegerin tätige Maria Sommer hat (zusammen mit Jan Strümpel) die deutschen Übersetzungen überprüft, mit sämtlichen Vorlagen, Drucken in Programmheften und Zeitschriften verglichen und die Textgestalt im Sinne des Autors verbessern können. Eine sehr „liebevolle“ Kleinarbeit wurde hier geleistet, die immer das Surreale der Weltsicht Taboris, zwischen Erinnerung und Gegenwart, zwischen Lebenden und Toten, also seinen scharfsinnig einfühlsamen Sprachduktus im Blick gehabt hat.

Hier einige Beispiele kleinerer Korrekturen, die die Dialoge flüssiger, die Sprache gestischer, die Anspielungen verständlicher machen. Im ersten Akt von „Mein Kampf“ sagt Lobkowitz zu Herzl: „Einmal habe ich einen Schädel auf den Wiener Wassern hüpfen sehen, und ich sagte zu ihm: Da du jemanden ertränkt hast, hast du mich ertränkt, aber auch jene, die dich ertränkt haben, sollen ertränkt werden, denn ich bin gerecht.“ In der neuen Ausgabe lautet die Stelle: „Ich habe mal einen Schädel auf den Wiener Gewässern hüpfen sehen, und ich sagte zu ihm: Da du jemanden ertränkt hast, hat man dich ertränkt, aber auch wer dich ertränkt hat, soll ertränkt werden, denn ich bin gerecht.“ – In „Jubiläum“ sind es oft nur einzelne Worte oder Redewendungen, die jetzt richtiger und genauer den Sinn treffen: „Fackelzug“ statt „Fackelparade“, „mit Totenschädelknöpfen“ statt „mit Totenschädeln als Knöpfe“, „reden wir nicht von Unglück“ statt „reden wir nicht vom Unglück“, „ich geh packen“ statt „ich gehe und packe“, „Rehabilitationszentrum“ statt „Rehabilitationsheim“, „dass ich dich Lobkowitz genannt habe und nicht Allmächtiger“ statt „dass ich dich Lobkowitz genannt habe statt den Heiligen“.

Theater als eine der schwierigsten Sachen der Welt

Unser Interesse verdienen auch die frühen, bisher nur in Amerika aufgeführten Stücke, die damals an der Weigerung der Kritiker und eines voreingenommenen Publikums scheiterten, den spezifisch jüdischen Humor in all seinen Widersprüchen und die Schieflagen, Existenzängste, Traumata politisch Verfolgter, ehemaliger Kriegsteilnehmer und gestrandeter Outsider zu akzeptieren. Es waren untaugliche Stücke für den damals an den Bühnen praktizierten Naturalismus. Ein Woody Allen hätte „Flucht nach Ägypten“ inszenieren müssen, nicht Elia Kazan. Auch die Familienkomödie „Des Kaisers neue Kleider“, 1953 immerhin im Jahrbuch der „Best Plays“ publiziert, konnte nur wenige Male gespielt werden, und die von Peter Hall 1958 mit Peter Sellers im Londoner Aldwych Theatre inszenierte politische Satire im Gewand einer Märchenkomödie, „Brouhaha“, erntete, zumal dann in Amerika, nur minimales Erfolgsgelächter.

Die Ausgabe enthält außer den 14 in den früheren Bänden noch weitere 16 Stücke aus fast sechzig Jahren unermüdlicher Theaterarbeit. George Tabori, der im Juli 2007 im Alter von 93 Jahren in Berlin starb, hat sich von seiner Verlegerin eine Edition in dieser Fülle gewünscht. Wenn er auch sehr lässig mit seinen Texten umging und sie nie als fertig oder gar unumstößlich behandelte, so sollte am Ende doch sein Werk, so wie er es erarbeitet hatte, erhalten bleiben. Er wünschte sich keine Modell-Inszenierungen, wie Brecht sie, als sein Theater noch durchgesetzt werden musste, für sinnvoll hielt, aber er war überzeugt, dass die Texte, die er in der Arbeit mit wunderbaren Schauspielern kreiert hatte, auch in Zukunft gespielt werden können.

Theater hielt Tabori für eine der schwierigsten Sachen der Welt; nur deshalb lieferte er sich ihm aus. Er betrachtete es als das Anspruchsvollste aller Medien, weil es für ihn die menschlichste Form der Kommunikation verkörperte.

George Tabori: Theater. Band 1 und Band 2. Herausgegeben von Maria Sommer und Jan Strümpel. Steidl Verlag, Göttingen 2014 und 2015. 718 und 608 Seiten.

Buchpremiere mit Maria Sommer, Hermann Beil, Claus Peymann und Schauspielern des Berliner Ensembles am Montag, den 5. Oktober, 20 Uhr, Probebühne des BE

Klaus Völker

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