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Ewig gestrig. Georgischer Stalin-Fan vor dem Museum in Gori. Foto: AFP

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Kultur: Georgien stürzt Stalin

Sein Museum wird zur Opfer-Gedenkstätte.

Es sei ein Ding der Unmöglichkeit, so Georgiens Kultusminister Nika Rurua, einen demokratischen Staat aufzubauen, der sich als Teil der freien Welt versteht und gleichzeitig einen der größten Tyrannen des 20. Jahrhunderts zu verherrlichen, nur weil dieser Georgier war. Gemeint ist Stalin – mit bürgerlichen Namen Jossif Dschugaschwili –, dessen Geburtshaus in Gori nach wie vor Pilgerstätte von Ewiggestrigen aus aller Herren Länder ist. Nun jedoch soll das Museum in eine Gedenkstätte für die Opfer des Stalinismus umgewandelt werden.

Gebaut wurde der Monumentalbau bereits zu Lebzeiten des Diktators: 1937, als in der gesamten Sowjetunion der Terror gegen tatsächliche und vermeintliche Regimegegner begann. Millionen wurden ermordet oder kamen in Straflager. Geheimdienstchef Lawrentija Berija, Georgier wie Stalin und federführend an den Repressionen beteiligt, kam persönlich nach Gori, um bei der Eröffnung des Museums das rote Band zu durchtrennen.

1957, ein Jahr nach dem 20. KPdSU-Parteitag, auf dem Nikita Chruschtschow die Entstalinisierung verkündete, wurde der Stalin-Tempel nicht etwa geschlossen, sondern renoviert und ausgebaut. Neben dem Geburtshaus entstand ein monumentaler Komplex, in dem persönliche Gegenstände, Devotionalien und Staatsgeschenk ausgestellt wurden. Beliebtestes Exponat war der luxuriöse Eisenbahnwagen, mit dem Stalin im Zweiten Weltkrieg zu den Konferenzen der Anti-Hitler-Koalition nach Jalta, Teheran und Potsdam gereist war. Während anderswo die Abrissbirnen gegen die Stalin-Statuen anrückten, enthüllte man vor dem Museum in Gori ein neues, sechs Meter hohes Stalin-Denkmal, vor dem in so manchem Jahr Kinder in die Pionierorganisation und Kandidaten in die Partei aufgenommen wurden.

Als Georgien sich 1990 in die Unabhängigkeit verabschiedete, wollten Dissidenten ihn vom Sockel stürzen – nachdem sie schon das Lenin-Denkmal in Tiflis geschleift hatten. Einwohner stellten jedoch eine Heimwehr auf, erneut bereit, für Stalin zu sterben. So wie 1957, als Truppen der Sowjetarmee im Zentrum von Tiflis Proteste gegen den Entstalinisierungserlass niederkartätschten. Hunderte lehnten sich damals gegen die Verunglimpfung von Stalins Andenken auf.

Die Raketen und Streubomben, die während Russlands Krieg mit Georgien im August 2008 in unmittelbarer Nähe einschlugen, töteten und verwundeten Dutzende Menschen. Denkmal und Museum hingegen überstanden den Angriff weitgehend unversehrt. Demontiert wurde der Koloss erst, als das Kultusministerium kurz danach beschloss, aus dem Stalin-Tempel eine Dependance des Tifliser Museums der sowjetischen Besatzungszeit zu machen. Das Stalin-Denkmal wurde im Wortsinn bei Nacht und Nebel entsorgt, aus Angst vor neuen Protesten der Einheimischen. Auf die Frage von Radio Liberty, wo die Statue lagert und ob sie überhaupt noch existiert, musste sogar der Kultusminister passen.

Nun soll also auch das Museum umgestaltet werden. Wie die neue Ausstellung, die Stalins Opfern gewidmet sein soll, jedoch aussehen wird, ist derzeit noch unklar. Eine Kommission aus Politikern, Historikern und Museumswissenschaftlern arbeitet an einem modernen, interaktiven Konzept. Darauf drängen auch die vorwiegend jungen, neu eingestellten Mitarbeiter. Sie haben Teile der realsozialistischen Lobeshymnen auf den Generalissimus bereits durch Schautafeln ersetzt, die von dessen Verbrechen erzählen – auch von Repressionen gegen georgische Intellektuelle. Und bei Führungen durch die Ausstellung, so behaupten es jedenfalls russische Besucher, konzentrieren sie sich auf den heroischen Kampf des georgischen Volkes gegen Stalin und dessen Imperium. Elke Windisch

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