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Spuren im Schnee. Ein Präsident (Hossein Mahjoub) ohne Land.

© Neue Visionen

Georgischer Film „Vor dem Frühling“: Ein entmachteter Präsident auf der Flucht

Die Berge des Kaukasus als Zufluchtsort: „Vor dem Frühling“ von George Ovashvili ist eine komische Parabel über das vom Bürgerkrieg gebeutelte Georgien.

Texttafeln, die von der Unabhängigkeitserklärung Georgiens im Frühjahr 1991 berichten. Und vom mit großer Mehrheit gewählten ersten Präsidenten des Landes, der schon bald in einem Staatsstreich gestürzt wurde und nach einem verlorenen Bürgerkrieg mit einem Häuflein Getreuer in den Kaukasus fliehen musste. Dann sehen wir ein gutes Dutzend bewaffneter bärtiger Männer, die einen schneeverwehten Bergpfad entlang stapfen. Nur: Einer von ihnen trägt eine Aktentasche statt des Gewehrs und statt der groben Kampfmontur einen legeren Mantel und Krawatte.

Das muss der Präsident sein, dessen stets alarmbereite Männer bald an einem einsamen Haus um Aufnahme ersuchen. Erfolgreich, im Flur hängt ein großes Porträt des Ex-Präsidenten. Welche Familie würde sich allerdings auch einem Trupp Bewaffneter widersetzen? Ähnliche Einquartierungen wiederholen sich an anderen Orten. Dabei schwankt der Bequemlichkeitsfaktor stark – von spartanischen Berghütten bis zur großzügigen Villa, wo es auch mal zu einem spontanen Fest mit Wein, Tanz und patriotischem Gesang kommen kann. Doch bald treibt ein nächtlicher Alarm die Gruppe wieder zum jähen Aufbruch in die kalten Berge.

Schönheit und Zerstörung

Regisseur George Ovashvili nutzt die von permanenter Unsicherheit getriebene Bewegung zur Installation einer über dem Film liegenden flirrenden Bedrohungslage. Dass dabei die feindlichen Angriffe – seien es gegnerische Soldaten, Helikopter oder Wölfe im Wald – nur über die Tonebene erzählt werden, ist sicherlich auch dem Budget geschuldet, trägt aber zusammen mit dem äußerst sparsamen Musikeinsatz geschickt zur Unterstützung dieses emotionalen Ausnahmezustandes bei.

2014 hatte der georgische Regisseur in seiner weithin gepriesenen Filmparabel „Die Maisinsel“ den Seelenzustand seines Landes in überwältigenden Berg- und Wasserlandschaften inszeniert. Auch in „Vor dem Frühling“ sind Wetter und Wind, ferne Schneegipfel und Bachläufe zentrale Agenten, die der italienische Kamera-Veteran Enrico Lucidi in an der osteuropäischen Filmkunst geschulten Bildern festhält. Sie erzählen von den Schönheiten und Zerstörungen eines durch Bürgerkriege gebeutelten Landes. Und von einem zwar gewählten und doch autokratisch agierenden Führer, der sich in seinem Beharren auf einem abstrakten Verantwortungsbegriff zunehmend isoliert. Gesprochen wird außer patriotischen Floskeln nichts Wesentliches.

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Im Film bleibt dieser von dem iranischen Schauspieler Hossein Mahjoub mit stoischer Miene gespielte Präsident namenlos, er lässt sich aber leicht identifizieren: als Zwiad Gamsachurdia, einer bestenfalls dubiosen Figur, die das Land mit anthroposophisch begründetem Nationalismus spaltete und in seiner kurzen Regierungszeit mit rassistischem Aktivismus auffiel. Im Film kommt von all dem – wie überhaupt von politischen Inhalten jenseits eines ominösen Volksbegriffs – nichts vor. Im Zuge der gerade in Osteuropa aufflammenden Nationalismen mag man das alles nicht mehr gerne wie früher als georgische Folklore abtun. Da passt, das der Film auch das patriarchale Frauenbild seiner Protagonisten ungefiltert übernimmt und das Weibliche nur als Projektionsflächen für Patriotismus zulässt.

In Acud, Hackesche Höfe, Krokodil, Moviemento, Zukunft (alle OmU)

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