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Ein Star, der das Kino verschlingt. Gérard Depardieu in der Hollywood-Komödie „Mein Vater der Held“ von 1994.

© imago/United Archives

Umstrittener Schauspieler: Geliebter Rüpel - Gérard Depardieu wird 70

Trieb und Intellekt: Das Leben von Gérard Depardieu ist ein einziger Exzess. Eine Würdigung zu seinem 70. Geburtstag.

Von Andreas Busche

Die französische Sprache kennt eine Menge blumiger Worte, die Gérard Depardieu treffend beschreiben. „Filou“ ist so ein Wort, das Schlitzohr: eine Eigenschaft, die sich Depardieu schon als kleinkrimineller Jugendlicher in den Straßen des Arbeiterviertels von Châteauroux zugelegt hatte. Oder „Bonvivant“, eine Beschreibung, die der Genussmensch Depardieu als Personifizierung des Aphorismus vom „Leben wie Gott in Frankreich“ mit seiner ganzen Leibesfülle verkörpert. „Vivant!“ (ohne das „Bon“) heißt auch eine Biografie über ihn, der deutsche Titel umschreibt sein Selbstverständnis noch expliziter: „Ich liebe das Leben, das Leben liebt mich“.

Der schönste Name aber, der für Gérard Depardieu kursiert, lautet „Loulou“. So heißt in Frankreich ein Schoßhündchen – Straßenköter wäre in seinem Fall eigentlich angemessener –, das Wort besitzt aber noch umgangssprachliche Nuancen. Zum Beispiel „Liebling“. Oder „Rüpel“.

„Loulou“ ist auch der Titel einer der schönsten Filme Depardieus, sicher eine gewagte Behauptung bei einem Œuvre von über 180 Filmen, das jährlich um mindestens einen neuen wächst. Aber die Figur des Loulou ist vielleicht der Schlüssel zum Verständnis der öffentlichen Persona Depardieus, der das Image des wilden Mannes lange kultivierte, diese faszinierende Kombination aus Trieb und  Intellekt, bevor er es in den vergangenen Jahren zur Karikatur herabwürdigte.

Die vier Filme, die Depardieu mit Maurice Pialat, dem ungeliebten Kind der Nouvelle Vague, zwischen 1980 und 1995 drehte, machen das Herzstück seines Gesamtwerks aus. Pialat etablierte im bürgerlichen französischen Kino einen Realismus, der mit der explosiven Physis Depardieus Schritt halten konnte und ihn weiter puschte, statt ihn bloß einzufangen. Was sie denn von diesem Grobian wolle, wird Isabelle Huppert in „Loulou“ von ihrem gehörnten Ehemann gefragt, sie entgegnet nur: „Er ist unersättlich.“ Vor allem aber sieht er unwiderstehlich aus, mit einer schon in jungen Jahren geradezu fleischigen Zartheit, die seine Gesichtszüge mit dem wuchtigen Kinn umspielt. Liebhaber und Rüpel. Kein Schönling wie Delon, kein Macker wie Belmondo. Depardieu blieb undomestizierbar, dafür lag ihm die Nation zu Füßen.

Allianz von Libido und Gewalt

An dieses Gegensatzpaar muss man an diesem Donnerstag wieder denken, an dem Gérard Depardieu seinen 70. Geburtstag feiert. Rüpel und Liebling, sie beschreiben auch das schwierige Verhältnis der Franzosen zu ihrer Nationalikone, die selbst reihenweise Nationalheiligtümer verkörpert hat. Balzac, Dumas, D’Artagnan, Cyrano de Bergerac – und natürlich den unbesiegbaren Gallier Obelix, der wie Depardieu am liebsten ganze Wildschweine verschlingt. Überhaupt scheint es eine Eigenart französischer Filmstars zu sein (siehe Alain Delon und Brigitte Bardot), sich von ihren Landsleuten zu entfremden. Bei Depardieu war das Maß voll, als er 2012 die russische Staatsbürgerschaft annahm, um gegen Steuererhöhungen in seiner Heimat zu protestieren. Sein Bild mit Putin ging um die Welt.

Die jüngsten Vorwürfe der zweifachen Vergewaltigung, mit denen sich Depardieu seit dem Sommer konfrontiert sieht, sind der Gipfel einer beispiellosen Demontage, die die Franzosen wiederum von Depardieu entfremdete. Was auch immer bei den Ermittlungen ans Licht kommt, die Nachwelt wird sich nicht mit der Ausrede begnügen, dass die Allianz von Libido und Gewalt schon immer zu seinen Rollenbildern gehörte.

Die Fleischgewalten eines Gérard Depardieu strahlen bis heute eine unheilvolle Erotik aus. Nicht zufällig wirkte er neben den Schönen des französischen Kinos (Jeanne Moreau, Miou-Miou, Catherine Deneuve, Fanny Ardant, Isabelle Huppert, Isabella Adjani) immer wie das begehrenswerte Biest. Es klingt im Anbetracht der jüngsten Anschuldigungen fast wie eine bittere Pointe, dass Depardieu 2014 einen an Dominique Strauss-Kahn angelehnten Investmentbanker spielte, der für einen der größten Sexskandale in der französischen Politik sorgte. Leben und Kino waren bei Gérard Depardieu nie klar voneinander zu trennen.

Noch heute gibt es Filmjuwelen mit Depardieu, "Mammuth" zum Beispiel

Es ist darum nahezu unmöglich, diese einzigartige Karriere nicht von der Gegenwart her zu betrachten. Depardieu hat seine Filmrollen stets verschlungen wie die Landesspezialitäten in seinen kulinarischen Exkursionen im Stil von „Reise durch den Kaukasus“, die er neuerdings im russischen Exil dreht. Qualität ist nur ein Nebenaspekt dieser Maßlosigkeit: Wie Klaus Kinski, ein Seelenverwandter, dreht er Filmkunst neben kommerziellem Quatsch. Die Kritiker des „Cahiers du Cinema“ mokierten sich früh darüber, dass er mit Pierre Richard und Coluche (übrigens sehr gute) Klamauk-Komödien drehte und gleichzeitig mit Truffaut „Die letzte Metro“ und „Die Frau nebenan“. Irgendwo muss das Geld ja herkommen für die 14 Weingüter im Burgund, im Maghreb, in Argentinien und auf der Krim – die laut Depardieu selbstverständlich zu Russland gehört.

Freunde. Der russische Präsident Wladimir Putin und Gerard Depardieu (r.).
Freunde. Der russische Präsident Wladimir Putin und Gerard Depardieu (r.).

© dpa/Mikhail Klimentyev

Das Besondere an Depardieu ist, dass sich in der schieren Masse an Produktionen – anders als beim späten Kinski – bis heute kleine Filmjuwelen verbergen, die so exzessiv sind wie zu seiner Zeit als Loulou, inzwischen aber auch melancholische Töne anschlagen. „Mammuth“ zum Beispiel, in dem der proletarische Held auf dem titelgebenden Motorrad frühere Arbeitgeber abklappert, um seinen Rentenanspruch zu sichern. Oder „Valley of Love“, in dem Depardieu und Isabelle Huppert im kalifornischen Death Valley auf die Erscheinung ihres verstorbenen Sohnes warten. Da sitzen zwei Legenden des französischen Kinos wie eine Fata Morgana in der glühenden Hitze und warten auf ein Wunder.

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