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Kultur: Gerichtet? Gerettet!

Zunächst sah es so aus, als sollte es sich beim Gastkonzert des Dänischen Nationalen Radio-Sinfonie-Orchesters in der Philharmonie wieder einmal bewahrheiten, daß ein Unglück selten allein kommt.Die Berliner hatten sich auf Viktoria Mullova als Solistin des 1.

Zunächst sah es so aus, als sollte es sich beim Gastkonzert des Dänischen Nationalen Radio-Sinfonie-Orchesters in der Philharmonie wieder einmal bewahrheiten, daß ein Unglück selten allein kommt.Die Berliner hatten sich auf Viktoria Mullova als Solistin des 1.Violinkonzerts von Schostakowitsch gefreut - aber wegen "unüberbrückbarer künstlerischer Differenzen" mit dem Orchester und dem Dirigenten Gennady Roshdestvensky während der Probenarbeit fiel der Berlin-Auftritt von Frau Mullova ins Wasser.Und dann mußte auch noch der nicht minder freudig erwartete Dirigent wegen einer "ernsten Grippe" absagen.

Aber da gleich zwei junge Künstler glanzvoll in die Bresche sprangen, kann man sogar noch vom Glück im Unglück sprechen.Christian Tetzlaff geigte nun den Schostakowitsch mit der ihm eigenen rigorosen Rasanz und geradezu explosiven Gefühlskraft, mit einem hochwogenden Dauerespressivo und in der Passacaglia mit einer solch saftigen Puccini-Süße, daß er Jubelstürme erntete.Und die heimste auch Thomas Dausgaard ein, der seit 1997 Music Director des Swedish Chamber Orchestra ist.Ein ebenso agiler wie energievoller Dirigent mit weitausgreifenden Gesten, der bei Nielsen, Schostakowitsch und Strawinsky nicht nur zu spannungsvollen Pianissimomomenten und ungewöhnlich schönen Nuancierungen neigt, sondern nicht selten auch zu tänzelnder Wildheit und heftigen Steigerungen.

Was das Dänische Nationale Radio-Sinfonie-Orchester - das älteste Rundfunkorchester der Welt - zu leisten vermag, zeigte es bei der 1925 in Kopenhagen uraufgeführten 6.Sinfonie von Carl Nielsen, die den irritierenden Beinamen "Sinfonia semplice" trägt.Denn "einfach", das wiesen die so engagierten wie spielfreudigen Dänen eindrücklich nach, ist daran eigentlich nichts.Sie überraschten mit einer ebenso delikaten Detailschärfe im Kleinen wie mit einer raumsprengenden Intensität im Großen.Einiges geriet dabei unversehens in Schostakowitsch-Nähe - aufgrund der gelegentlich grotesk akzentuierten Klangbilder, einer sich bisweilen harsch aufbäumenden Schmerzhaftigkeit, einer grimassenhaften Zuspitzung, einer leisen Ironie und Skurrilität.Das in der Philharmonie gefeierte dänische Orchester musizierte zum Schluß Strawinskys "Feuervogel" mit samtig-dunkler Klangschönheit, rhythmischer Elementargewalt bei Kaschtscheis Höllentanz und den eigentümlichen Lichtwirkungen des Nordens im strahlenden Finale.

ECKART SCHWINGER

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