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Kultur: Germaniens Beitrag zur Kultur

Das Busch-Reisinger Museum an der amerikanischen Harvard-Universität feiert 100. Geburtstag

Die Gründungsfeier war auf den 10. November gelegt worden, den gemeinsamen Geburtstag Luthers und Schillers. Das Datum macht deutlich, dass es um mehr ging als um die Einweihung eines Museums – das, wohlgemerkt, zu diesem Zeitpunkt weder über ein eigenes Gebäude noch überhaupt eine Sammlung originaler Kunstwerke verfügte –, sondern um die Einpflanzung deutscher Kultur in Amerika. Aus dem Abstand von einhundert Jahren lassen sich die markanten Denkschriften, die die Gründungsgeschichte der als „Germanisches Museum“ bezeichneten Institution begleiten, nur mehr als Dokumente einer fernen Vergangenheit lesen. Die Germanistische Fakultät an der renommierten Harvard-Universität in Cambridge bei Boston war es, die ein solches Museum forderte. Kuno Francke, einer ihrer Professoren und später jahrzehntelang Kurator des Germanischen Museums, kündigte dessen Gründung mit den Worten an, der deutsche Kaiser Wilhelm II. werde „eine großartige Schenkung“ vornehmen, „eine Sammlung von Gipsabgüssen, die die Marksteine der Entwicklung deutscher Sculptur von den Hildesheimer Broncethüren bis zu Schadow’s ,Friedrich dem Großen’ umfaßt“. Und, als conclusio: „Der deutsche Kaiser wird also der eigentliche Gründer eines Universitätsinstituts werden, welches in hervorragender Weise dazu angethan ist, deutsche und amerikanische Cultur zu verschmelzen.“

Es versteht sich, dass ein derart bedeutungsträchtiges Institut zum Spiegelbild der deutsch-amerikanischen Beziehungen im 20. Jahrhundert werden musste, mit allen Höhen und Tiefen. Dieser Tage fand in Harvard – um einige Tage vorgezogen – die Zentenarfeier des Museums statt, das längst das „Germanische“ aus seinem Namen getilgt hat, um sich stattdessen 1950 nach seinen beiden wichtigsten Mäzenen Busch-Reisinger Museum zu nennen, eine Weile lang mit dem erläuternden Zusatz „für mittel- und nordeuropäische Kunst“, seit 1990 ohne ihn: ein Museum, so das Signal, wie jedes andere.

Es ist das einzige Kunstmuseum in den Vereinigten Staaten, das geografisch auf den deutschsprachigen Raum bezogen ist; oder genauer, war es bis vor zwei Jahren, als der Milliardär Ronald Lauder in New York seine „Neue Galerie“ als „Museum für deutsche und österreichische Kunst“ eröffnete.

Das Busch-Reisinger Museum, im Umgang meist „the Busch“ gekürzelt, hat sich in seiner Geschichte grundlegend gewandelt. In seinem brillanten, geistesgeschichtlichen Festvortrag wies der lange in Harvard und jetzt in London lehrende Kunsthistoriker Joseph L. Koerner darauf hin, dass einhundert Jahre nach der Gründung weder der Name noch das Gebäude noch die Sammlung zu feiern sind. Der Name wechselte mehrfach; das ursprüngliche Domizil, 1910 von dem in Dresden lehrenden Baumeister German Bestelmeyer als mixtum compositum historischer deutscher Baustile, als pseudo-sakrale Feierstätte für die gewaltigen Gipsabgüsse der kaiserlichen Schenkung entworfen, doch erst 1921 vollendet, wurde 1991 aufgegeben, als die nach ihrem Stifter benannte Werner-Otto-Hall angrenzend an das Fogg Art Museum, das „eigentliche“ Kunstmuseum der Harvard University, eingeweiht wurde.

Die Sammlung schließlich war seit 1930, als mit Charles L. Kuhn ein junger amerikanischer Kunsthistoriker zum Kurator berufen wurde, auf originale Kunstwerke aus dem mittel- und nordeuropäischen Kulturraum umorientiert worden. Vor allem aber hielt mit Kuhn die Gegenwartskunst ins „Busch“ Einzug, am großartigsten verkörpert in Max Beckmanns „Selbstportrait im Smoking“ von 1927. Es hing ursprünglich in der Berliner Nationalgalerie, wurde von den Nazis als „entartet“ beschlagnahmt und fand 1941 für lächerliche 600 Dollar in Harvard Aufnahme. Beckmanns Selbstportrait, eine Ikone der klassischen Moderne, ist seither das Markenzeichen des Museums. Es steht für seine Sammlung der Kunst des 20. Jahrhunderts wie für deren entschiedene Verpflichtung allein auf Kunst jenseits politischer Indienstnahme.

Dem Busch-Reisinger Museum ging es nicht immer gut; zu Zeiten des Ersten Weltkriegs nicht und zur Nazi-Zeit erst recht nicht. In den achtziger Jahren geriet es in finanzielle Schwierigkeiten, als der Unterhalt der Gipsabgüsse im klimatechnisch ungenügenden Altbau allzu teuer wurde – und zu welchem Zweck auch, war doch die ursprüngliche Aufgabe vollständig obsolet geworden. Mit Hilfe des vor zwanzig Jahren anlässlich einer Ausstellungstournee in Deutschland gegründeten Kreises der „Freunde des Busch-Reisinger Museums“ wird die Sammlung seither spürbar verstärkt.

Zum Jubiläum wurden die von den „Freunden“ dargebotenen „Geburtstagsgeschenke“ vorgestellt und in einem Katalog gleichen Titels publiziert; darunter Werke von Baumeister, Schlemmer und Nay wie auch von Lüpertz oder Polke. Zugleich zeigt das Museum aus seiner mittlerweile rund 17000 Werke aller künstlerischen Gattungen umfassenden Sammlung die Ausstellung „Kunst in Deutschland circa 1903“. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Arthur Kampfs „Bildnis Kaiser Wilhelms II.“ von 1908 das erste originale Kunstwerk darstellt, das ins Museum kam.

Jetzt stehen ihm Franz von Stucks „Verwundete Amazone“ von 1905 oder Paula Modersohn-Beckers „Zweistämmige Birke vor Landschaft“ von 1899 – beides Geburtstagsgeschenke – gegenüber, ebenso Kandinskys „Festumzug“ von 1909. Es ist dies die gärende Umbruchszeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diesem, dem Säkulum der Moderne, fühlt sich das Museum verpflichtet, nicht aber den Gipsabgüssen des Kaisers, die ein rückwärts gewandtes Bild „deutscher Cultur“ in die Neue Welt projizieren sollten.

Gleichwohl – die Zukunft des Busch-Reisinger Museums bleibt unter den Spannungen, denen die deutsch-amerikanischen Beziehungen unterworfen sind, auch nach der Jahrhundertfeier eine Herausforderung. Seit langem findet in Harvard der Gedanke Befürworter, das „Busch“ mit dem auf die ganze abendländische Kunst ausgerichteten Fogg Art Museum der Universität zu verschmelzen. Es liegt nicht zuletzt am Engagement seiner deutschen Freunde, diese einzigartige Institution des Busch-Reisinger Museums auch in ihrem zweiten Jahrhundert zu bewahren.

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