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Kultur: Gerold Miller: Quadratur des Bildes

Vor einigen Jahren hatte Gerold Miller vier Zigarettenstummel auf dem Boden ausgetreten und zu einem Rechteck zusammengeschoben: jede Ecke eine Kippe. Später pfiff er einen Hund herbei, erklärte ihm die Kunst und ließ ihn in die Ecken der Halle pinkeln.

Vor einigen Jahren hatte Gerold Miller vier Zigarettenstummel auf dem Boden ausgetreten und zu einem Rechteck zusammengeschoben: jede Ecke eine Kippe. Später pfiff er einen Hund herbei, erklärte ihm die Kunst und ließ ihn in die Ecken der Halle pinkeln. Ein Bild hat vier Ecken und vier Ecken hat die Kunsthalle. Der Rest ist Vorstellung. Anschließend ließ er sich mit dem Hund fotografieren. Die Schau wurde zum Dauerbrenner. Dazu ist es gut zu wissen, dass "ein Hund" im Süddeutschen, woher Miller kommt, einer ist, der Dinge tut, die hart an der Grenze sind und daraus respektablen Vorteil schlägt. Miller war an der Grenze - zum Beispiel der des guten Geschmacks. Aber als Jungkünstler lag er damit gerade richtig und profilierte sich durch die zynische Eleganz seiner Arbeit.

In Esslingen nahm Miller an der Ausstellung "Widerstand - heute!?" zum 50. Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler 1944 teil. Widerstand, sagte er, bedeute "Widerstand gegenüber vorschnellen Lösungen und einfachen Sinnangeboten". Sein visuelles Statement bestand unter dem Titel "Präzisieren" darin, eine Garagenwand mit einer horizontalen Leiste in Bodennähe und einer weiteren unter dem Dach zu markieren. Dazwischen wurde für fantasiebegabte Spaziergänger ein imaginärer Kubus sichtbar. Ein Interpret feierte die Begrenzung als "Höchstmaß an Offenheit, raumgreifender Bildhaftigkeit und flacher Plastik". "Präzisieren" machte eine gerichtete Vorstellung möglich und war ebenso unsichtbar wie offensichtlich - kein schlechter Beitrag zum Thema Widerstand.

In der Galerie Anselm Dreher zeigt er nun zwei raumdominante hartkantige Werke und einen Tisch mit Multiples und Plakaten (zwischen 30 000 und 60 000 Mark). Der 1961 im schwäbischen Altshausen geborene Miller, der jetzt in Berlin lebt, arbeitet seit 1991 an der Werkgruppe "Anlage", ein jeweils leeres durch einen Stahlrahmen markiertes scharfkantiges Feld. Seit 1997 fügte er die Werkgruppe "ready-mix" hinzu, die mit abgerundeten Ecken ebenso wandbezogen wie ambivalent das Innen und Außen thematisiert. Und seit 1999 setzt er die Rahmen bisweilen auf Wände, die Maler nach seinen Vorgaben präparierten. In Kunsthäusern animieren diese Arbeiten die Reflexion über institutionelle Rahmenbedingungen und imaginäre Grenzen. Dazu dient der Katalog als notwendiges Medium - weshalb Miller die Kataloge den Multiples und Plakaten gleichrangig zuordnet.

Prunkstück der Schau ist "hard:edged 10", ein rotlackierter Doppelrahmen, der so an die weiße Längswand gepasst wurde, dass er als verschattetes Wandmöbel erscheint. Schwer zu sagen, ob es sich noch um eine Skulptur oder schon um eine Designer-Idee handelt. Offensichtlich aber ist, dass nun die faktisch leeren Innenflächen der Begrenzungen beiläufig werden. Der Rahmen selbst ist alles. Miller hat sich von der Ambivalenz verabschiedet. Das Prunkstück ist perfekt; aber es prunkt ein wenig zu sehr. Der Künstler setzt auf seinen eingeführten Namen und bietet solide Miller-Werke jenseits der Risikozone. Seine ironische Unbekümmertheit bei gleichzeitiger konzeptueller Schärfe, der Wille, einem Hund die Kunst als magisches Territorium zu erklären, ist dahin. Das mag sich aber auch schnell wieder ändern.

Peter Herbstreuth

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