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Kultur: Gerupft wie gesprungen

Übermütig: „We live here“, William Forsythes vorerst letzte Produktion mit dem Ballett Frankfurt

Der große Abschiedsschmerz sollte nicht ausbrechen an diesem Abend. „We are here“ verkündet trotzig das letzte Stück unter dem Label Ballett Frankfurt. Dana Caspersen, eine der tänzerischen Stützen von William Forsythe, sagte es etwas genauer bei ihrem Bühnenabgang als „schwarze Fee“: „...und wenn man sie nicht vertreiben würde, so lebten sie noch heute hier.“ Ein feiner Märchentrauerrand für eine Lokalposse, in deren Verlauf die Bankenstadt sich ihrer weltberühmten Ballett-Truppe entledigte.

In Zukunft wird sich Frankfurt den Ruhm der Forsythe-Heimstatt mit Dresden teilen – und da alles noch schlimmer hätte kommen können, müssen die Frankfurter Ballettfans noch dankbar sein. Für sie vor allem hat Forsythe das gut einstündige Stück choreografiert, keine Geste kam darin so häufig vor wie die unters Kinn gestützte Hand: Kopf hoch!

En Abend der rasanten Stimmungswechsel. Er beginnt, zu weh verwehten Klängen von Forsythes Hauskomponist Thom Willems, eher depressiv. Eine testosterongesättigte Rotte von Hiphoppern entfaltet eine doppelt lesbare Bewegungssprache: Auf der sozialen Ebene schwankt sie zwischen zwischen Autismus und Aggression, auf der tänzerischen geben Ellenbogen und Hüften heftige Impulse. Der erste Umschlag erfolgt, als der, dem sie eine Wollmütze übers Gesicht gezogen haben, mit verfremdeter Zwergenstimme ins Mikrofon zu quäken beginnt.

Die Bühne wird, unter wummernd metallischen Klängen, zu einem psychedelischen Schulhof, auf dem Märchen von Zauberern, Feen und Prinzessinnen kursieren. Verzückt, verrückt, wie von einem Zauberstab berührt, wirken die Körper, die Köpfe wie ein einziges groteskes, grimassierendes Gesichtstheater. So verspielt und frivol war Forsythe schon lange nicht mehr – und so zum Albern aufgelegt noch nie.

Da möchte einer der Zwerge die Jungfrau besteigen, und eine gute Fee verspricht Hilfe im Rahmen ihrer Kompetenzen. Und wieder schlägt die Atmosphäre um, das Alberne weicht einer ungreifbaren Bedrohung, Dramatik baut sich auf und ist schon wieder verwschunden. „Relax!“ lautet die Parole. Und: „Frustration is our business.“

In den blitzschnellen Wechseln zeigt sich eine neue Virtuosität Forsythes; eine Qualität, die jenseits der hellwach verrätselten Vernunft liegt, die seine Arbeit auszeichnet. „Reason is content“ heißt der Satz, den die Tänzer am Schluss an die Rückwand gekritzelt haben – aber Kunst ist etwas anderes. Mehr als die Summe der vielen Geschichten, die „We live here“ ausmachen – und wenn sie noch so glänzend ironisch erzählt sind. Auch mehr als die Forsythe-Enzyklopädie, als die diese Produktion wegen der vielen Selbstzitate auch funktioniert.

Die reichen von der ersten Tanz-Untersuchung „Gänge“ vor 20 Jahren über Forsythes Bewegungsalphabet bis zu seiner letzten großen Produktion „Decreation“, in der eine beinah metaphysische Fragestellung in den Vordergrund trat. Mit „We live here“ schließt sich ein Kreis. Etwas Neues wird beginnen. Das ist mehr, als sich (nach der Wiederwahl des Dezernenten Hans-Bernhard Nordhoff, der die Forsythe-Vertreibung mit verantwortet) für Frankfurts Kulturpolitik hoffen lässt.

Ruth Fühner

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