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Kultur: Gesang der Vampire

Die Tragödie, ein Pausengespräch.Auf der Bühne des Niedersächsischen Staatstheaters Hannover hat Hermann Feuchter das Foyer des Opernhauses nachgebaut: Mit klassizistischen Säulen, weißem Marmorboden, Kübelpflanzen und Lampen im Geschmack der frühen Sechziger Jahre, als das Gebäude äußerlich neoklassizistisch rekonstruiert und innerlich kühl-modern ausgestaltet wurde.

Die Tragödie, ein Pausengespräch.Auf der Bühne des Niedersächsischen Staatstheaters Hannover hat Hermann Feuchter das Foyer des Opernhauses nachgebaut: Mit klassizistischen Säulen, weißem Marmorboden, Kübelpflanzen und Lampen im Geschmack der frühen Sechziger Jahre, als das Gebäude äußerlich neoklassizistisch rekonstruiert und innerlich kühl-modern ausgestaltet wurde.Eine hehre Halle, die für den Passanten Musentempel spielt und den Opernbesucher mit dem Charme einer Cocktailbar umfängt.

Das ideale Ambiente also für Othmar Schoecks "Penthesilea"-Oper: 1927 stellte der 1886 geborene Schweizer, den selbst Klassik-Aficionados heute zumeist nur noch als Lieder-Komponisten kennen, seine Version des Kleist-Dramas in Dresden vor.Um zwei Drittel der dichten, antikisierenden Verse eingedampft, als achtzigminütiger Showdown zwischen dem Griechen Achill und der Amazonenkönigin Penthesilea - mit einer dissonanzsatten, anti-emotionalen Musik, die bewußt keine Gefühle abbilden, keine Identifikation der Zuschauer mit den Protagonisten zulassen will.

Spröde gibt sich der Orchesterklang mit zehn Klarinetten, zwei Klavieren, stark besetzten tiefen Streichern aber nur vier Soloviolinen.Gestopfte Trompeten und allerlei Schlagwerk samt Ratsche geben häufig den Ton an.Anders als Richard Strauss, den Schoeck um seine Bühnenerfolge beneidete, vermag er selbst es nicht, den Gefühlsgehalt des gesungenen Textes durch Atmosphärisches aus dem Orchestergraben zu potenzieren.Seine Personen bleiben konstruierte, künstliche Figuren.Sänger, die antike Helden darstellen.

Und genauso läßt die Regisseurin Barbara Beyer sie auch agieren im coolen Ambiente des Bühnen-Foyers: In Smoking und Abendkleid treten sich der griechische Feldherr Achill und die weibliche Kampfmaschine Penthesilea gegenüber, spulen ihre fünfhebigen Jamben ab wie Smalltalk-Floskeln auf einer Stehparty, bewegen sich lässig und professionell wie Yuppies.Allein im nachkomponierten, unerwartet ins Melodisch-Süßliche umschwenkenden Liebesduett zeigt das Paar plötzlich menschliche Züge.Während beide - jeder in eine andere Richtung - von Minne singen, hängen sie einen Augenblick zu lange den privaten Gedanken nach - so daß die wilde Kriegerin erst einmal nach dem Klavierauszug auf dem Flügel fingern muß, um wieder in ihre Rolle zurückzufinden.

Kleist-Kenner wissen es, die Liebesszene ist nur ein vorgetäuschter Höhepunkt, die wahre Ekstase folgt im blutigen Finale, wenn Penthesilea in blinder Haßliebe den waffenlosen Achill zusammen mit ihrer Hundemeute geradewegs zerfleischt, bevor sie zu sich kommt und - vom Dolch der Erkenntnis durchbohrt - dem Geliebten nachstirbt.Ein hübsches Rollenspielchen wird daraus bei Barbara Beyer, wenn das Liebespaar sich in Dracula-Capes hüllt, Glatzenmasken überstreift und die Vampirzähne aus Plastik fletscht, während sie sich im zuckenden Scheinwerferlicht umtänzeln.Da wird Achill dann bald der Hals zur Ferse: tief schlägt die Amazone ihre Zähne in sein Nackenfleisch, entsetzt beobachtet von der übrigen Bühnen-Gesellschaft, die vom Bartresen aus das Geschehen verfolgt.

Der Krieg der Geschlechter als Foyer-Intermezzo, die zwei Schwester-Kräfte Erotik und Gewalt entdämonisiert hinter Horrorfilm-Masken, ein Gesang der Vampire zwischen Pathos und Parodie - das war dann doch zuviel fürs Hannoveraner Premierenpublikum.Nein, so zugerichtet, vom Kopf auf die Beine gestellt wollte man seinen Kleist nicht sehen.Was aber wäre die Alternative gewesen? Naturalismus und Langeweile, untermalt von einer Musik, die selbst in einer so intensiv vorbereiteten, hochkonzentriert gespielten Aufführung wie hier vom Niedersächsischen Staatsorchester unter seinem Chef Andreas Delfs nicht unbedingt Lust aufs Wiederhören macht.

Klammert man diese Frage einmal aus, ob man dieses Stück überhaupt spielen sollte, ist Barbara Beyers Griff zur Metaebene zweifellos ein Glücksgriff.Zumal, wenn die Hauptpartien mit zwei echten Sängerschauspielern aus dem beachtenswerten, hauseigenen Ensemble besetzt werden können: Isolde Elchlepp, die Diva des Hauses, die in Hannover von der "Don Carlos"-Eboli bis zur "Götterdämmerungs"-Brünnhilde schon alles gesungen hat, ist eine wirklich große Bühnenerscheinung.In bodenlanger, grünglitzernder Robe lehnt sie als (Sänger-)Königin am Flügel, kerzengerade und ganz Selbstbeherrschung.Dann wieder durchpflügt sie als Miss Dracula mit den Schößen ihres rotgefütterten Mantels die Luft, effektsicher, ohne ins Chargieren zu fallen.Auch stimmlich modelliert sie die Rolle mit kluger Kräftedisposition, läßt die gesangstechnischen Schwierigkeiten vergessen.

Ihr Gegenspieler ist Peter Weber, ein stattlicher Achill mit edlem, durchtrainiertem Bariton.Ein graumelierter Macho im Smoking, der kurz vor dem Duell mit Penthesilea durchaus noch zu einem Quickie mit deren "Schwesterherz" Prothoe bereit ist.Die wird ihrerseits von Beatrice Niehoff mit Ganzkörpereinsatz gegeben - so wie überhaupt die schauspielerische Qualität dieses unterhaltsamen Abends bis in die Nebenrollen hinein mit dem beachtlichen musikalischen Niveau problemlos mithalten kann.

Mutige neun Mal steht Schoecks "Penthesilea" noch bis Ende März auf dem Hannoveraner Opernspielplan.Nach dem Buh- und Bravo-Duell, das sich die Premierenbesucher lieferten, wird man wohl kaum Probleme mit der Platzauslastung bekommen: Wer mitreden will, sollte dieses durchaus Expo-taugliche, mytho-trashige Spektakel einfach gesehen haben.

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