zum Hauptinhalt
Demonstranten protestieren am 6. September in Finsterwalde (Brandenburg) gegen einen Wahlkampfauftritt von Angela Merkel.

© dpa

Gescheiterte Kommunikation im Wahlkampf: Wir müssen reden

Der Wahlkampf war langweilig. Wahrscheinlich wird die AfD davon profitieren. Aber Empörung über Rechtspopulisten reicht nicht. Zwei Bücher fordern, den Streit zu versachlichen.

Wahrscheinlich wird der Wahlkampf, der am Sonntag endet, als der bislang langweiligste in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen. Angela Merkel hat mit dem fröhlichen Slogan „Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben“ die Republik erfolgreich sediert. Ihrem Herausforderer Martin Schulz fiel es schwer, sie hart zu attackieren, schon deshalb, weil die SPD seit 1998 – mit einer kurzen Unterbrechung – in der Regierungsverantwortung steht.
Deutschland geht es gut, die Wirtschaftsdaten sind hervorragend, die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr. Doch unter diesen Zahlen brodelt es, da haben sich Angst, Ohnmacht und Wut zu einem Gefühl vermengt, dass sich gegen das Establishment in Politik und Medien richtet. Wie hasserfüllt die Stimmung ist, das erfuhr Merkel vor allem bei ihren Auftritten in Ostdeutschland, wo sie mit „Hau-ab“- und „Merkel-muss-weg“-Rufen, mit Trillerpfeifen und Gebrüll empfangen wurde. Für Argumente ist diese Aggression nicht mehr erreichbar. Es geht um Sabotage, darum, der verachteten Kanzlerin buchstäblich das Wort zu entziehen. Diskussion ausgeschlossen.

Das Schema "Wir gegen euch"

So wurde der Wahlkampf über weite Strecken zum Ort gescheiterter Kommunikation. Der AfD, in der sich die Wut der „Merkel muss weg“-Rufer sammelt, gelang es, dem Diskurs das Schema „Wir gegen euch“ aufzuzwingen. Je härter ihre Vertreter kritisiert wurden, desto erfolgreicher konnten sie darauf verweisen, von den „Altparteien“ und der „Lügenpresse“ ausgegrenzt und diskriminiert zu werden. Dass es oft die AfD-Politiker waren, die sich einer Debatte verweigerten, schadete der Verschwörungstheorie nicht, im Gegenteil. Als die Spitzenkandidatin Alice Weidel eine ZDF-Talkshow vorzeitig verließ, nachdem CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer ihren Kollegen Alexander Gauland als „Rechtsradikalen“ bezeichnet hatte, beherrschte sie damit tagelang die Schlagzeilen. Rechtsradikalen und Rechtspopulisten gefällt die Opferrolle. Ihre Ideologie kreist um Verfallsszenarien und Bedrohungslagen. Bei der AfD stehen für die Bedrohung vor allem Zuwanderer und der Islam. „Wir wollen unseren Nachkommen ein Land hinterlassen, das noch als unser Deutschland erkennbar ist“, heißt es im Parteiprogramm. Ganz so, als ob die Republik unmittelbar vor ihrer Auslöschung stünde. Zwischen den anderen Parteien ist es in den letzten Monaten kaum zu harten Auseinandersetzungen gekommen, aber der AfD gelang es immer wieder, für Provokationen zu sorgen. „Der langweilige Wahlkampf hat den Rechten einen Sieg verschafft“, analysiert die „New York Times“.

Irrationalität ist attraktiv

Wahrscheinlich ist es gerade ihre Irrationalität, die die AfD so attraktiv macht. Den Sprung in den Bundestag wird die AfD höchstwahrscheinlich schaffen, möglicherweise sogar als größte der kleineren Parteien. Die Meinungsforscher sehen sie derzeit zwischen elf und zwölf Prozent. Damit wird fast sechzig Jahre nach der Sozialistischen Reichspartei und der Deutschen Partei, die es sogar zu einigen Ministern in den Kabinetten von Konrad Adenauer brachte, wieder eine rechtsradikale, teilweise völkisch orientierte Partei im deutschen Parlament sitzen. Wir werden uns mindestens vier Jahre lang mit der AfD und ihren Abgeordneten auseinandersetzen müssen. Die Frage ist nur: wie? Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn, die Autoren des Buchs „Mit Rechten reden“, empfehlen: sachlich, streitbar, nicht moralisierend. Denn Moralismus, warnen sie, ist noch kein Argument. Sondern bloß der „Anspruch, das Gewissen für alle zu sein“, die „Verwandlung einer inneren Stimme zu einer Instanz der öffentlichen Anklage“. Die Politik einer Skandalisierung, die sofort Alarm schlägt, wenn sie irgendwo „rechtes Gedankengut“ wittert, ist zum Scheitern verurteilt. Als der damalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel die Dresdner Pegida-Demonstranten erst als „Pack“ beschimpfte, um sich dann doch mit ihnen zu treffen, sei er, so die Autoren, wie ein „Erziehungsberechtigter“ aufgetreten. Und dass Götz Kubitschek, ein Vordenker der Neuen Rechten und Freund des AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, immer wieder bei Podiumsdiskussionen ausgeladen wird, sei „ein Ausweis von Schwäche, der genau das Gegenteil dessen bewirkt, was er beabsichtigt“. Denn der Ausschluss verschaffe den Rechten „gratis eine Stärke, die sie sonst unter Beweis stellen müssten“.

Versuch der Abrüstung

Das so meinungsfreudige wie sprachgewitzte Buch will kein Ratgeber sein, versteht sich aber als Leitfaden für Situationen kommunikativer Zuspitzung in den Sozialen Medien oder beim Smalltalk. Es ist ein Versuch der Abrüstung, dem „25 goldene Regeln“ vorangestellt sind, darunter „Unterscheide Person und Rede“, „Rechthaben ist keine Tugend“ oder „Wenn du willst, dass deine Meinung gilt: Finde Gründe“. Allein über Inhalte, glauben die Autoren, kann man die Rechten nicht besiegen. Denn die Rechten bestehen mehrheitlich keineswegs aus Holocaustleugnern, Hitlerfans und Spinnern, ideologisch sind sie durchaus beweglich. Ihre Kapitalismus- und Globalisierungskritik ist anschlussfähig an Positionen der Linken, bei der Begeisterung für den deutschen Wald und Bioäpfel treffen sie sich mit den Grünen.
Wichtiger als Inhalte ist der Stil, die Auseinandersetzung mit der Sprache der Fanatiker. Der rechte Diskurs, schreiben der Historiker und Schriftsteller Leo, der Jurist Steinbeis und der Philosoph Zorn, sei immer reaktiv und polemisch, er beharre darauf, für die Wirklichkeit zu stehen, während „die Linken“ – auch die CDU – die Wirklichkeit durch Moral ersetzt hätten. Die Autoren sprechen von einem „rechten Sprachspiel“, das jeder mitspielen müsse, der ernsthaft diskutieren will. Das Sprachspiel funktioniert nach festen Regeln, zum Beispiel der, dass die Rechten stets das Nein der anderen brauchen. „Aber weil sie es ohne Anlass nicht bekommen“, sagen die Autoren, „müssen sie es sich holen“. Durch Provokation, etwa einem Satz in der Behauptungsform „X, Y ist ...“ auf Facebook: Der Islam ist kein Religion, die Bundesrepublik eine Meinungsdiktatur, Pegida Widerstand. Worauf zuverlässig die Empörungswellen hochschlagen, lauter Das-ist-Sätze: Das ist menschenverachtend, geschichtsvergessen, rassistisch.

Aufwallung hilft nicht

Das mag stimmen, aber die Aufwallung hilft nicht. Denn die Rechten beherrschen das Spiel mit der Vieldeutigkeit. Als Björn Höcke das Holocaustdenkmal ein „Denkmal der Schande“ nannte, ließ er im Unklaren, ob er das Denkmal selbst oder die Verbrechen, an die es erinnert, meinte. Sich missverstanden zu fühlen, das ist ein Hauptcharakterzug der Fanatiker. „Die Rechten sind die Minderheit, die sich selbst Deutschland nennt“, schreiben Leo, Steinbeis und Zorn. „Und daran wollen sie um jeden Preis leiden.“ Man kann mit Rechten reden. Thomas Wagner hat es getan. Der Soziologe und Journalist, ein erklärter Linker, hat für sein Buch „Die Angstmacher“ eine Art Deutschland-Reise unternommen und sich mit rechtsradikalen Führungsfiguren unterhalten. Seine Beobachtungen, Analysen und Interviews sind deshalb so erhellend, weil er sich für das Weltbild seiner Gesprächspartner – auch wenn er es ablehnt – tatsächlich interessiert. Mit Götz Kubitschek und dessen Frau Ellen Kosietza unterhält er sich über das neurechte Konzept des „Ethnopluralismus“, die Idee einer Abschottung, die sich gegen Multikulturalismus und „Hyperidentität“ richtet und teilweise an die linke Kritik an „Cultural Appropriation“, der Aneignung von Elementen fremder Kulturen, anschließt.

Krieg gegen die Achtundsechziger

Mit dem Lektor Benedikt Kaiser spricht Thomas Wagner über Marx, mit Martin Sellner, dem Sprecher der Identitäten Bewegung, über seinen „Krieg“ gegen die Generation der Achtundsechziger. Die Ideologie der Rechten besteht aus Versatzstücken. Noch immer feiern sie die Helden der Konservative Revolution wie Armin Mohler und Ernst Jünger. Aber sie benutzen auch linke Ideen, bedienen sich bei Gramsci, Slavoj Žižek oder Axel Honneth. Die jungen intellektuellen Rechtsradikalen – Wagner nennt sie „Pop-Rechte“ – haben viele Aktionsformen der Neuen Linken übernommen, die „suversiven Aktionen“ etwa, die von den Identitären gekapert wurden. Sie sind, überspitzt formuliert, Enkel der Achtundsechziger. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer hat vor einem Bürgertum gewarnt, das aus Angst vor dem sozialen Abstieg verroht. Wenn nicht noch ein Wunder passiert, wird dieses Angst- und Wutbürgertum am Sonntag in den Bundestag einziehen.

Per Leo, Maximilian Steinbeis, Daniel-Pascal Zorn: Mit Rechten reden. Ein Leitfaden, Klett-Cotta, Stuttgart 2017, 183 S., 14 € (erscheint am 14. Oktober).
Thomas Wagner: Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten. Aufbau, Berlin 2017, 352 S., 18,95 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false