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Kultur: Geschenke für die Gattin

Die Kunstverkäufe der Sowjetunion in den zwanziger und dreißiger Jahren sind mittlerweile kein Geheimnis mehr. Die forcierte Industrialisierung benötigte Devisen, und Stalin, 1929 zum allmächtigen Generalsekretär der KPdSU aufgestiegen, ließ die bereits in den Jahren zuvor betriebenen Veräußerungen an das kapitalistische Ausland systematisch verstärken.

Die Kunstverkäufe der Sowjetunion in den zwanziger und dreißiger Jahren sind mittlerweile kein Geheimnis mehr. Die forcierte Industrialisierung benötigte Devisen, und Stalin, 1929 zum allmächtigen Generalsekretär der KPdSU aufgestiegen, ließ die bereits in den Jahren zuvor betriebenen Veräußerungen an das kapitalistische Ausland systematisch verstärken. Nicht nur Gold und Silber aus den enteigneten Adelspalästen, nicht allein Ikonen aus den geschlossenen Kirchen kamen auf den Markt - schließlich musste sogar das Heiligtum russischen Kunstbesitzes, die Eremitage in St. Petersburg / Leningrad, höchstrangige Kunstwerke zur Geldbeschaffung freigeben.

In der Sowjetunion war dieses Thema Tabu; mit der schrittweisen Öffnung der Archive kamen aber auch diese Vorgänge ans Licht. Ende 2000 erschien eine materialreiche und umfassend bebilderte Studie von Nikolas Iljin und Natalja Semjonowa im Moskauer Verlag Trilistnik (siehe Tagesspiegel vom 5. September 2001), die die Geschichte der bolschewistischen Kunstveräußerungen von ihren Anfängen in den Revolutionswirren bis zum stillschweigenden Ende gegen 1938 nachzeichnet. Parallel zur Entstehung dieses Buches fand eine international besetzte Tagung in Wien statt, deren Vorträge nunmehr gesammelt vorliegen.

Die Grazer Historikerin Waltraud Bayer hatte das Tagungsprogramm sowohl chronologisch als auch geografisch - nach den Handelspartnern der Sowjets - aufgefächert. Das erlaubt eine genauere Einbettung der teils öffentlich, teils aber auch konspirativ ablaufenden Verkaufsaktionen in die Beziehungen der jungen Sowjetunion zu den jeweiligen Staaten. Deutschland war die erste und blieb die wichtigste Anlaufstation; die USA erwiesen sich, zumal seit der Weltwirtschaftskrise, als finanziell potentestes Empfängerland. Waltraud Bayer - 1996 mit einer Studie über die russischen bürgerlichen Mäzene der ausgehenden Zarenzeit hervorgetreten - leistete selbst den Hauptanteil an Tagung und Buch, indem sie nicht allein die Chronologie seit 1918, sondern auch die Beziehungen zu Deutschland nachzeichnete. In Berlin, damals noch führend im Weltkunstmarkt, wurden die "Russenauktionen" zu gesellschaftlichen Ereignissen, sorgten allerdings wegen Rückgabeforderungen von Emigranten auch für juristische Verwicklungen.

Wenig bekannt dürfte sein, wie zielstrebig sich auch andere Länder und Museen der unerwarteten Gelegenheiten zu bedienen wussten. So reservierte sich das Amsterdamer Rijksmuseum drei Gemälde von Rembrandt, von denen es zwei erwerben konnte und das dritte wegen Geldmangel an einen französischen Sammler weiterreichen musste. Auch der bedeutende Sammler Goudstikker erwarb Werke aus russischen Museen. Seine Sammlung wurde von den Nazis konfisziert und nach dem Krieg großenteils in die Niederlande zurückgebracht. Einzelne Objekte allerdings tauchten später als von der Roten Armee beschlagnahmte "Trophäenkunst" wieder in der Sowjetunion auf - ein Zirkel, der die weitreichenden Eigentumsverschiebungen an Kulturgütern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beleuchtet.

Die herausragenden Einzelstücke der sowjetischen Verkäufe - sie stammten aus der Eremitage - befinden sich heute in der Nationalgalerie von Washington. Ulrike Hartung legt in ihrem Beitrag über den "Zentralen Exportmarkt USA" dar, welcher Widerstand sich innerhalb der Museen und bis hinauf zu Volksbildungs-Kommissar Lunatscharskij gegen diesen Ausverkauf formierte. Anastas Mikojan, dem als Volkskommissar für Außenhandel die eigens gegründete Handelsorganisation "Antikvariat" unterstand, behielt indessen die Oberhand. Die Aktivitäten erreichten ihren Höhepunkt mit dem Verkauf von 21 Gemälden der Eremitage an den amerikanischen Magnaten und langjährigen US-Finanzminister Andrew Mellon für die damals enorme Summe von 6,6 Millionen Dollar. Mellons Meisterwerke bildeten 1937 den Grundstock der neugegründeten National Gallery. Neben diesem spektakulären Vorgang kaum bekannt ist hingegen der Sammeleifer von Marjorie Post, die die außerhalb Russlands umfangreichste Kollektion an Kunstgewerbe und Ikonen überhaupt zusammentrug. Posts Ehemann Joseph Davies war Botschafter in der von den USA erst 1933 anerkannten Sowjetunion und wusste seine Position zu nutzen. Noch zu seinem Abschied 1938 erhielt Marjorie Post von der Gattin des Außenministers Wjatscheslaw Molotow ein Paar Porzellanvasen zum Geschenk.

Die schwer wiegenden Verluste, die die russischen Museen durch die - gemessen am tatsächlichen Devisenbedarf wenig ertragreichen - Zwangsverkäufe erlitten, werden heute nicht mehr bestritten. Die genauen Umstände dieser Aktionen - bis hin zur Wertbemessung der Objekte nach Gewicht oder Größe! - lösen sich allerdings erst allmählich aus dem Dunkel des jahrzehntelangen Verschweigens. Immer detailgenauer tritt das 20. Jahrhundert als das der staatlich verordneten Barbarei vor Augen.

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