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Repräsentativ. Die Villa Wurmbach in der Pücklerstraße in Dahlem.

© Britta Pedersen/ dpa

Geschichte der Präsidentenvilla: Ein Haus in Dahlem

Zwei Bundespräsidenten ließen die Geschichte ihrer Berliner Dienstvilla vor und im Nationalsozialismus aufklären. Nun ist neues Material aufgetaucht.

Die Geschichte der repräsentativen Villa in Berlin-Dahlem, die den Bundespräsidenten seit Jahren als Dienstwohnung dient, hat bereits zwei Amtsinhaber beschäftigt, Frank-Walter Steinmeier und seinen Vorgänger Joachim Gauck. Und Fachleute der Humboldt-Universität, die Historikerin Julia Hörath und der Professor für Geschichte des 20. Jahrhunderts und NS-Spezialist Michael Wildt, hatten dafür alle erreichbaren Quellen ausgeschöpft. Doch nun gibt es ein paar neue. Im Februar 1933, unmittelbar nach dem Machtantritt Hitlers, sahen die früheren Besitzer der Villa, Hugo und Maria Heymann, sich zum Verkauf des Hauses gezwungen, das Hugo Heymann seit 1926 gehörte. Der aus einer jüdischen Familie stammende Kunstperlenfabrikant Heymann starb 1938, kurz vor der geplanten Emigration nach Norwegen. Die Gestapo hatte ihn zuvor tagelang gequält.

Das Gesicht des jüdischen Hausherrn

„Die Villa in der Pücklerstraße“ heißt die 97 Seiten starke Geschichte der - nach dem ursprünglichen Bauherrn benannte – Villa Wurmbach, die die Autorin Claudia Kramatschek verfasst hat und die die Bundeszentrale für politische Bildung und das Bundespräsidialamt im vergangenen Jahr herausbrachten. Ergänzt um Beiträge von Wildt und des im Haus der Wannseekonferenz arbeitenden Historikers Christoph Kreutzmüller erzählt sie entlang der Geschichte der Heymanns auch, so der Untertitel, über „die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz von Juden im Nationalsozialismus“.

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Doch nun sind unerwartet neue Quellen aufgetaucht. Im Nachlass des kürzlich verstorbenen Sohns von Maria Heymann aus zweiter Ehe fand dessen Witwe Fotos von Heymann. Die Forschung hatte zwar seine Geschichte rekonstruiert, aber sein Gesicht kannte bisher niemand. Eines der Fotos zeigt Hugo Heymann in Soldatenuniform. Ebenfalls unter den Funden: Ansichten der Villa Wurmbach aus der Zeit zwischen 1927 und 1933, als das Ehepaar dort wohnte – Hugo und Maria hatten 1927 geheiratet – und dort die Creme des damaligen Berlin aus Politik, Wirtschaft und Kultur zu Gast hatte.
Selbst eine der nicht seltenen Urkunden des NS-Regimes zu Ehren von Männern, die sie wie Heymann verfolgten und zu Tode folterten, fand sich im Nachlass. Darin wurde Hugo Heymann noch 1936 „im Namen des Führers und Reichskanzlers“ die Verleihung des Ehrenkreuzes für Teilnehmer des Ersten Weltkriegs bescheinigt.
Bundespräsident Steinmeier hat sich jetzt über die überraschende Fortsetzung der Geschichte seines Domizils hocherfreut gezeigt: „Das ist ein großartiger Fund, der die Aufarbeitung der Geschichte der Dienstvilla enorm bereichert.“ Die Bilder gäben dem Vorbesitzer Heymann endlich ein Gesicht. „Dafür bin ich sehr dankbar.“ Die Gedenktafel, die seit 2018 vor dem Haus in der Dahlemer Pücklerstraße zur Erinnerung an ihren früheren Besitzer steht, könnte nun ebenfalls mit einem Porträt ergänzt werden. Es gebe dazu Überlegungen, sagte eine Sprecherin Steinmeiers. Auf jeden Fall sollten die Bilder in die nächste Auflage der Broschüre eingearbeitet werden.

Auch nach 1945 keine Anerkennung

Eine öffentliche Debatte um die Stolpersteine zur Erinnerung an Hugo und Maria Heymann hatte 2017 einen letzten Anstoß zu einer sichtbaren Dokumentation der Geschichte des Hauses und seiner Bewohner bis 1933 gegeben. Sie waren, wie üblich, nicht in Dahlem verlegt worden, sondern vor der letzten Wohnung von Hugo und Maria Heymann in Berlin-Schmargendorf. Der Stifter, der Historiker Julien Reitzenstein, hatte sie sich in der Pücklerstraße gewünscht. Schließlich entstand die Idee, stattdessen dort die Stele mit der Gedenktafel aufzustellen.

Der Perlenfabrikant. Hugo Heymann als Soldat im Ersten Weltkrieg.
Der Perlenfabrikant. Hugo Heymann als Soldat im Ersten Weltkrieg.

© Familie Kaps

Mit dem Regierungsumzug und 2004 dem Wechsel auch der Bundespräsidentenwohnung in das frühere Haus eines jüdischen Berliners übernahm das Amt eine historische Hypothek – eine "Pflicht zu Aufklärung und Erinnerung" nannte sie Steinmeier vor zwei Jahren bei der Enthüllung der Stele, deren Erfüllung „lange auf sich hat warten lassen“. Hugo Heymann hatte sein Haus nämlich nur eine Woche nach dem 30. Januar 1933 an einen Nazi-Gefolgsmann verkauft und weit unter dem Preis, den er sieben Jahre zuvor selbst gezahlt hatte. Die bundesrepublikanischen Gerichte, vor denen Heymanns Witwe Maria Kaps nach 1945 um Entschädigung stritt, hatten dennoch Verfolgung verneint, unter anderem mit der abenteuerlichen Begründung, Heymann, der zunächst in Deutschland blieb, hätte ja warten und später einen besseren Preis erzielen können als 1933, als die Immobilienpreise im freien Fall waren.

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Andererseits war im ersten Jahr der NS-Herrschaft noch nicht die „Arisierung" angelaufen, die massenhafte Plünderung jüdischen Eigentums, und der ebenfalls jüdische Rechtsanwalt, der den Verkauf abwickelte und später selbst zur Flucht gezwungen war, sagte im Entschädigungsprozess aus, er hätte nie daran teilgenommen, wenn Druck auf Heymann im Spiel gewesen wäre.

Nazi mit Persilschein - vom ersten Bundespräsidenten

Das Berliner Forschungsteam hält nach seinen Recherchen die Frage allerdings für zweifelsfrei geklärt. Es lasse sich sagen, „dass der Verkauf verfolgungsbedingt war“, sagte Historiker Michael Wildt vor zwei Jahren dem Tagesspiegel. Die Heymanns sahen sich nach Warnungen von gut vernetzten Freunden vor 1933, die sie sehr ernst nahmen, in unmittelbarer Gefahr. Der Käufer der Villa, der Potsdamer Verleger Waldemar Gerber, sei dem NS-Regime „vielfältig verbunden“ gewesen und verlegte unter anderem bis zuletzt Durchhalteschriften für die Wehrmacht. „Bei alledem ist sehr wohl anzunehmen“, sagte Wildt, „dass Gerber Heymanns Notlage ausnutzte.“
Gerber seinerseits verkaufte das 1913 erbaute Haus nach dem Krieg an den Energiekonzern AEG, der es 1962 an die Bundesrepublik weiterverkaufte.
Eine weitere Ironie dieser deutschen Geschichte: Den berüchtigten Persilschein, also die Bescheinigung, kein Nazi gewesen zu sein, stellte ihm ausgerechnet der erste Bundespräsident Theodor Heuss aus. Gerber hatte Heuss, der Publikationsverbot hatte, als Autor beschäftigt – vermutlich als Rückversicherung.

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