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Wie im Bilderbuch? "Vater fährt Auto, Mutti kauft ein." So stand es in den Fibeln der sechziger Jahre.

© Super Stock / Mauritius

Geschlechterstereotypen: Der, die oder das Handwerker?

Alle reden von der Quote. Wie kommt es eigentlich, dass sich in der Arbeitswelt für Frauen so wenig ändert? Beginnt es schon im Kinderzimmer? Teil zwei unser Serie zum Thema Frauen, Quote, Arbeitswelt.

Von Caroline Fetscher

Zeichnet Mutter und Vater, sagt die Lehrerin. Naserümpfend schaut ein Schüler auf das Blatt seiner Nachbarin. So eine Frau sei doch keine Mama, moniert er. Warum nicht, will die Lehrerin wissen. Weil sie, erläutert der Junge, keine Plastiktüte in der Hand trägt. Man erkennt eine Mama doch an der Einkaufstüte vom Supermarkt!

Diese Anekdote berichtet die kroatische Schriftstellerin und Feministin Dubravka Ugrešic in „Die Kultur der Lüge“ (Suhrkamp, 1996), ihrem Pamphlet gegen die nationalen Stereotypen und Geschlechterklischees ihrer Herkunftsregion. Da kommen einem die beiden ersten Sätze in den Sinn, die das Lesebuch in Hessen 1963 für ABC-Schützen parat hielt: „Vater fährt Auto. Mutter kauft ein.“ Genau so waren die Rollen verteilt, war die Welt sortiert. Später, als die Mädchen in der Schule Handarbeiten hatten, während die Jungen beim Werken waren, erwachte schon etwas Widerstand. Das war um 1970.

Zeitgenössisches Lehrmaterial in Westeuropa würde kaum mehr mit solchen Behauptungen und Erklärungsmustern aufwarten; traditionelle Rollenkonzepte scheinen sich seit Jahrzehnten mehr und mehr aufzulösen. Heute schieben mittelständische Väter Kinderwagen, schleppen Babys in Tragetüchern herum, sind bei Geburten zugegen und wissen, wie man Säuglinge wickelt. Hunderttausende von Frauen, Müttern arbeiten in Büros, Kanzleien und Praxen, haben studiert und Berufsausbildungen absolviert. Mädchen und Frauen können und sollen, theoretisch, nach Gesetzeslage, alles erreichen können, was lange den Männern vorbehalten war.

„Doof geborn ist keiner! Doof wird man gemacht! Und wer behauptet: ,Doof bleibt doof!‘, der hat nicht nachgedacht.“ Der frühe Grips-Theater-Song brachte den Ansatz, Historie und Milieu als Ursachen von Ungleichheit zu erkennen, auf den Punkt. Auf derselben Platte fand sich das Lied „Wer sagt, dass Mädchen dümmer sind?“ Bei den Begriffen „Mädchen“ und „Jungen“ – das zu betonen, war Pionierarbeit vor 40 Jahren – handelt es sich um symbolische Codierungen, erfunden von unaufgeklärten Vorfahren. Aber nahezu jedes Menschenkind kam und kommt mit eindeutigen primären Geschlechtsmerkmalen zur Welt. Die Männer zeugen die Kinder, die Frauen gebären sie.

An dieser biologischen Determiniertheit wird sich kaum etwas ändern; Gesellschaften werden diese Merkmale wohl weiter als Gegebenes hinnehmen. Auch verschwinden diese Merkmale nicht, wenn ihre Träger anders benannt oder die Unterschiede sprachlich getilgt werden. Eher werden sie mystifiziert und neuen Tabus unterworfen.

Es geht bei der Chancengleichheit der Geschlechter um etwas anderes. Wie eine Gesellschaft, eine Gruppe, eine Familie das Männliche und das Weibliche jeweils konnotiert, besetzt, repräsentiert, das ist entscheidend. Welche Aufgaben, Pflichten und Rechte werden den Geschlechtern zugewiesen? In welchen Räumen und Kontexten dürfen, sollen sich Menschenkinder bewegen, die mit dem einen oder dem anderen Merkmal geboren wurden?

Insofern sind die Geschlechterrollen nicht nur etwas sehr Persönliches, sondern auch hochgradig politische Kategorien. Kein Wunder also, dass ihre Diskussion – ob nun im Zusammenhang mit Frauenquoten oder der Männerbewegung – bis heute, das Potenzial hat, starke Emotionen auszulösen. Denn einige tausend Jahre patriarchaler Hierarchien stecken noch in allen Fugen und Ritzen der Gesellschaft. Es lässt sich leicht erkennen, in Märchen und in Actionfilmen, der Bekleidung für Jungen und Mädchen, den Krawattengruppen auf Wirtschaftsgipfeln.

Gerade zeigte die Arte-Dokumentation „Die Herrschaft der Männer“, wie unterschiedlich in aktuellen Kinderbuch-Illustrationen Jungen und Mädchen dargestellt sind, die aus dem Fenster gucken: Mädchen träumen dabei, Jungen drängt es nach draußen.

In der Sprache selbst sind durchgängig Maskulinum und Femininum codiert. Der, die das: Wann immer wir sprechen, reden die Geschlechter-Konstruktionen und Hierarchievorstellungen vergangener Epochen mit. Subjekt und Objekt, Dativ, Akkusativ, Genitiv, Hierarchien spiegeln sich bis in die Grammatik hinein, Satz für Satz, wohin das Auge fällt.

In Schweden, dem Avantgardeterrain des Gender-Mainstreaming, gibt es Versuche, die von geschlechtsspezifischen Vorstellungen durchtränkte Symbolwelt schon im frühen Kindesalter zu unterlaufen. Die Belegschaft des Stockholmer Kindergartens namens Egalia hat sich zum Ziel gesetzt, Kinder möglichst nicht mehr mit klassischen Klischees zu konfrontieren. Anstatt Jungen und Mädchen sagt man dort „Freunde“, Bilderbücher zeigen gleichgeschlechtliche Paare oder andere, offene Familienkonstellationen, Puppen sind geschlechtsneutral, alle Kinder spielen Kochen und Backen, alle bauen mit Legosteinen. Es heißt dort nicht: „Nachher kommt der Handwerker“ sondern: „Nachher kommt das Handwerker“, um keine Rollenerwartung zu wecken.

Immer mehr Mädchen machen Abitur. Immer mehr Jungen sind lernschwach.

Überall sonst jedoch, in der Familie, der Nachbarschaft, auf der Straße, wird den Kindern entweder „der Handwerker“ oder – inzwischen durchaus möglich – „die Handwerkerin“ begegnen. Egalia wirkt daher ein bisschen wie eine rührende ideologische Blase, die mit der historisch befrachteten Realität kollidiert. Statt aufzuklären über die Gesellschaft, wie sie entstand und wie sie werden sollte, wird ein rollenneutraler, ahistorischer Raum behauptet, dem jedes Kind die verkrampfte Mühe anmerkt, die dessen Konstruktion kostet.

Indes bahnen sich die Mädchen auch so ihren Weg, mit jeder sozial intelligenten Schul- und Gesetzesreform kommen sie voran. Immer mehr Mädchen machen Abitur, immer mehr studieren. Immer mehr Jungen hingegen sind verhaltensauffällig und lernschwach, zutiefst verunsichert vom rasanten Umbruch der Gesellschaft, wie der analytische Sozialpsychologe Frank Dammasch in „Jungen in der Krise“ darlegt (Verlag Brandes und Apsel, 2008).

Sehen Sie in der Bildergalerie: Songtexte im Gendertest

Für die heutige Technologie- und Dienstleistungsgesellschaft, eine unübersichtliche Risikogesellschaft, in der „soft skills“ und Flexibilität mehr zählen als Körperkraft und Kampfesgeist, seien Mädchen besser geeignet. Schneller und anpassungsfähiger, haben sie im Bildungssystem die Jungen faktisch überholt. Auch in der immer weniger vom patriarchalen Prinzip geprägten Familie, so Dammasch, verlieren tradierte Männlichkeitsmodelle ihren Status. Nur noch in virtuellen Sphären, in Ego-Shooter-Spielen oder medialen Sportevents, können Männer die narzisstische Grandiosität simulieren, die ihnen eine massive Endmoräne symbolisch noch präsenter Männermodelle in der Unterhaltungsindustrie – Ritter, Helden, Pioniere, Entdecker, Astronauten, Soldaten – weiterhin suggeriert. Jungen, meinen Forscher wie Dammasch, seien die Verlierer der Postmoderne, auf deren Abfallhalden die „hard skills“ von gestern liegen.

Wie aber passt das mit dem ernüchternden Befund zusammen, dass Frauen in Deutschland im Schnitt immer noch 20 Prozent weniger verdienen als Männer und lächerlich selten in Spitzenpositionen anzutreffen sind? Wehren sich die männlich dominierten Elite-Etagen in ihrer letzten Phase gegen einen Epochenwandel, der sich unweigerlich abzeichnet?

Profitieren sie davon, dass Frauen, trotz Bildungsoffensiven und Bildungserfolgen heute wieder rollenkonservativer zu agieren scheinen und die Verdienste der Generation Grips-Theater nur begrenzt weitergereicht werden? Oder meiden Frauen, wie Dammasch annimmt, schlicht die „zeitraubenden, psychosozial eingeschränkten und nur auf virtuelle Gewinnmaximierung ausgerichteten Arbeitsfelder der oberen Geschäftsetagen“?

Vor allem verrät die Statistik etwas über das Beharrungsvermögen der männlichen Seilschaften, die offenbar nur mit Quoten zum Kurswechsel gebracht werden können. Klar scheint ebenfalls: Assoziationsfelder von Wörtern wie „der“ oder „die“ verändern sich, auch ohne dass die Wörter abgeschafft werden. Und es kommt darauf an, im Bildungssystem und in den Familien für Kinder und Jugendliche kooperative, sozial musikalische Räume zu schaffen, in denen alle, unabhängig vom Geschlecht, im Konzert der Gesellschaft mitspielen, ohne dabei ihre Geschlechtlichkeit leugnen zu müssen.

Bisher erschien in der Serie: „Nur mit Druck“, Antje Sirleschtov über die Notwendigkeit einer Frauenquote

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