zum Hauptinhalt
Gen Italien. Peter Wawerzinek.

© picture alliance / dpa

Geschlossene Tore, leeres Rom: So erlebte ein Stipendiat der Villa Massimo die Quarantäne

Die Villa Massimo ist der Hotspot deutscher Kultur in Italien. Hier berichtet ein Berliner Schriftsteller, wie er die Coronakrise in der Ewigen Stadt erlebte.

Der Berliner Schriftsteller Peter Wawerzinek, geboren 1954, („Nix“, „Rabenliebe“, „Schluckspecht“ ) war vom 2. September 2019 bis 3. Juli 2020 Rompreisträger und Stipendiat der Villa Massimo. 2010 gewann er in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis.

Zur Abschlusspräsentation der Villa Massimo strömen die Leute sonst in Scharen. Alle Studios sind für die Besucher offen. Die verschiedenen Projekte werden von den Künstlern und Schriftstellern in ihren großen Ateliers vorgestellt.

Die Interessierten bekommen wichtige Hinweise von den Stipendiaten persönlich vermittelt. Es kommt zu wunderbaren Begegnungen und Gesprächen, Sinnpartner werden gefunden, Freundschaften geknüpft.

Der rege Austausch mündet sonst nach den Stippvisiten in eine Riesenparty auf dem Gelände. An den Rundtischen wird stehend getrunken, an Tafeln lebhaft schnabuliert und durcheinander geschnattert. Bis in die Morgenstunden mitunter erstreckt sich das Feuerwerke an Gedanken, Vorhaben, Resümees.

Das alles ist dieses Jahr nicht möglich gewesen. Die Umstände widersetzten sich dem schönen Ansinnen. Die Tore der Villa blieben in der Pandemie geschlossen.

Präsentation auf alternative Weise

Also wurde sich dadurch beholfen, dass sich die Rompreisträger nach draußen präsentierten, die das Grundstück umzingelnde Mauer zur Projektions- und Spielfläche ihrer Schaustellung wandelten. Was es zu erleben gab, war auf Postern angezeigt. Man konnte sich über Codefenster weitere Informationen dazu einholen.

Stefan Keller zum Beispiel führte im weit geöffneten großen Haupttor im Schneidersitz thronend eine unnachahmlich spannungsvolle Tabla-Kompositionen auf. Rechts davon flimmerte zu Klavierklängen die Animation von Birgit Brenner über den Riesenbildschirm.

Von Hand gezeichnete laufende, fliegende, fliehende, surrende, brausende Objekte, Tiere und Personen, die mitten im Run befindlich plötzlich platt wie Zielscheiben werden und seitlich wegkippen. Von einem ausgesuchten Standpunkt aus war für besonders Aufmerksame Gucker über den Mauerrand hinweg eine kleine rote Leuchtschrift auf schlicht gelber Innenfassade zu entdecken.

Als ein weiterer Leuchtstoffröhrenschriftzug von der Gruppe Famed prunkte zur Hauptstraße hin das Wort Love im weißen Licht. Von Buchstabe o zu Buchstabe v gemahnte ein extrem in die Länge gezogener Gedankenstrich, Abstand zu halten.

Düsenjet aus Wolken

Sabine Scho hatte die große Mauereinbuchtung mit einer Bauchbinde aus Plakaten versehen, die verschiedene Momente einer päpstlichen Tiersegnung zeigten. Unweit davon bat ein Leitergestell darum, mutig bestiegen zu werden. Oben angekommen, konnte man durch ein Fernglas über die Villamauer hinweg auf eine Sichttafel blicken, was in vollster Absicht an the Wall in Berlin erinnern sollte.

Esra Ersen hat mit ihrem Partner Boris Steintafeln mit Texten in Großschrift bedruckt, sie unterhalb der Villabrüstung an einer Bushaltestelle in Augenhöhe aufgereiht und damit vielen Wartenden die Zeit vertrieben. Tatjana Doll ließ Punkt Mitternacht auf der riesigen Freiluftleinwand einen Düsenjet aus Wolken auf die Betrachter zu fliegen.

Dazu ertönten seltsame Klänge, in Korea aufgenommen, wo sie als tägliche Weckrufe an die Bevölkerung dienen. Im seitlichen Nebeneingang zur Villa konnte man sich über Kopfhörer ganz den Kompositionen von Thorsten Rasch hingeben und zeitgleich auf dem Monitor die Notenblätter betrachten.

Großes Spektakel vor dem Haupttor

Ich schrieb, um die unter der lang anhaltenden Quarantäne Leidenden etwas zu erheitern, eine Ballade, die Nähe, Lust und Liebe auf Abstand thematisiert. Zusammen mit Julia Trolp und Andrea Freiberg führten wir sie als großes Spektakel vorm Haupttor der Villa auf dem Bürgersteig auf.

Mitspieler wurden dabei auch die zwei von der Künstlerin Freiberg geschaffenen blauen Stelen. Die letzten ans Publikum gerichteten Zeilen lauteten: „Wo holde Liebeskräfte walten / soll niemand Abstand halten! / Um einander sich zu beglücken, / muss man sich auf die Pelle rücken“.

Das jedenfalls waren die Abschiedsvorstellungen von uns. Was aus der Not entstand, wird eventuell als Außenaktion fortgesetzt und als Publikumsknüller für die Zukunft beibehalten. Wir kamen alle noch einmal zu Umtrunk und großen Abschiedsessen bei der Direktorin Julia Draganovic auf der Terrasse zusammen.

Pasolini und sein Coming out

Das leidlich letzte Fest zog sich bis in die frühen Morgenstunden hin. Zwei Tage später reiste ich dann als Erster ab. Am längsten und fast zwei Wochen drüber blieb der Tablaspieler Keller in der Villa. Der reist in Kürze wieder an, um in Rom ein Solo-Konzert zu geben.

Ich werde ab Oktober für erst einmal ein weiteres Jahr in Rom leben, um nachzuholen, was durch die Bedingungen der strengen Quarantäne nicht möglich war. Ich will dann Pier Paolo Pasolini nachreisen, will sehen, was aus den italienischen Orten, die er vor sechzig Jahren besucht und beschrieben hat, geworden ist

Es wird bei meiner Recherche um den Filmemacher, Denker, Schriftsteller, Kommunisten Pasolini und sein Coming out gehen.

Die Leere der Quarantänenära

Es ist von Interesse für mich, was die Menschen damals zum aufkommenden Tourismus und den Touristen dachten und wie sie heute denken, da die Besucher massiv ausbleiben. Ich werde mich in Rom vor allem nachts umhören und umschauen.

Denn die Nacht war zu den eingesperrten Villazeiten während der Quarantäne für mich so äußerst verlockend. Ich konnte mich die wenigen Male von drei Uhr an bis zum Sonnenaufgang so herrlich frei und ungehindert in Rom umtun und bewegen. Das will ich jetzt ein Jahr lang, so oft es nur geht, tun und darüber ein Buch schreiben.

[Behalten Sie den Überblick über die Corona-Entwicklung in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]

Die nächtlichen Ausritte zu den verschiedensten Plätzen und Orten in der Stadt kommen der Quarantäneära am nächsten. Es wird diese Leere zu beschreiben sein. Es werden unterschiedlichste Nachtwandler auftauchen, über die ich nachdenken und rätseln kann, warum es sie und was sie durch die Nacht treibt.

Es werden Geschichten zu berichten sein, wenn ich sie nur beobachte. Es wird von Glück geredet werden müssen, sollte ich mit ihnen ins Gespräch kommen. Und ich werde ganz bestimmt einzelnen Schwärmern nachgehen und sehen, wohin es sie treibt oder sie sich verlieren.

Wir begeben uns auf große Rundreise

Ich bin von dieser Idee und Möglichkeit, sie auch angehen zu können, so sehr begeistert, dass ich die Rückkehr nach Rom kaum erwarten kann. Zur Zeit lösen meine Partnerin und ich unsere beiden Wohnungen und ihren geliebten Garten in Thüringen komplett auf. Wir begeben uns für die nächsten zwei Wochen auf große Rundreise. Die führt uns über die Uckermark bis nach Rügen und dann die ganze Ostseeküste entlang und bis nach Schwerin und Magdeburg.

Wir werden bei lieben Freunden reinschauen, von den guten Zeiten in der Villa Massimo berichten. Wir werden erfahren, wie es ihnen in der Zwischenzeit ergangen ist. Es werden einige unglaubliche bis simple Geschichten zusammenkommen, ehe wir uns dann herzlich umarmen und auf Wiedersehen sagen.

Denn niemand weiß zu sagen, ob wir so gesund noch einmal so rasch zusammenfinden oder Rom mir so sehr gefällt, dass ich da bleibe, einfach so. Auch weil wir bereits ein paar gute Leute in der ewigen Stadt kennengelernt haben, es allerlei vielversprechende Kontakte gibt, und es so viel mehr als nur Pasolinis lange Reise um den Stiefel herum nachzuholen geben wird.

Alles ist im Fluss

Da ist noch der Botschafter und die begonnene Konversation mit ihm. Da ist die wunderbare Bindung an die Villa Massimo und ihre Mitarbeiter über unsere gemeinsame Probezeit hinaus, Und von Jan Koneffke weiß ich, dass er in Rom auch nur ein paar Wochen verlängern wollte, und dann sind es bei ihm gleich einmal sieben Jahre geworden, ehe er weiterzog. Ich habe ihn gebeten, mein römischer Berater zu werden, falls auch uns dieses ehrwürdige Rom und Italiens Landschaften so sehr zum Bleiben verführen sollten.

Seit einigen Tagen singe ich „Wandersmann“ von der Renft-Combo: „Alles ist im Fliessen, alles ist im Gehen. Sterne rasen, auch wenn wir sie stehen sehn. Zeit für mich, weine nicht, ich behalt dein Gesicht, und in der Erinnerung bleibt es lieb und schön. Abschied heisst doch auch weitergehen, Tränen hat die Trauer, aber auch das Glück. Komm gut an, nicht zurück, Wandersmann, komm gut an, geh.“ Und genau das tun wir jetzt auch.

Peter Wawerzinek

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false