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Mit dem Renner übern Brenner. Die Pfisters starten durch.

© Bresadola/drama-berlin.de

Geschwister Pfister: La deutsche Vita

Bar jeder Vernunft: Die Geschwister Pfister wollen nach Italien – und landen in der ZDF-Hitparade. Sie verquicklebendigen Mottenkisten-Hits und wecken Tanzsschulerinnerungen

Wer in den Hügeln des Chianti unterwegs ist, kann schon mal die Orientierung verlieren: Immer schmaler und schmaler werden die Straßen, es geht bergauf, bergab, rechtsrum, linksrum – und plötzlich ist man irgendwo angekommen, wo man eigentlich gar nicht hinwollte. Unter dem verlockenden Titel „Die Geschwister Pfister in der Toskana“ war die neue Show des singenden Dreigestirns der Berliner Kleinkunstszene angekündigt worden. Was dann am Donnerstag bei der Premiere aber über die Minibühne in der Bar jeder Vernunft ging, war ein Gaga-Liederabend, eine wild durch alle südländischen Schlagerklischees schlingernde Revue, in der die Toskana nur noch als dramaturgisches Bruschetta- Schnittchen vorkommt.

Die ganze Chose erinnert viel mehr an eine Sondersendung der ZDF-Hitparade, die live aus Luigis Trattoria übertragen wird. Es treten nämlich auf: Nana Mouskouri, Katja Ebstein, Cindy und Bert, Vicky Leandros, Karel Gott und die Kessler Zwillinge. Samt und sonders dargestellt von Fräulein Schneider, Tobias Bonn und Christoph Marti.

Vorher aber spielen die Pfisters noch Vater, Mutter, Kind. Ohne dabei aus ihren Kunstfiguren herauszutreten. Ursli hat also seinen amerikanischen Akzent und spricht Andreja Schneider mit „Fräulein“ an. Toni wiederum ist schweizerisch wie immer, auch wenn er sich als Wirtschaftswunderfamilienoberhaupt hinters Steuer klemmt, um mit dem VW Käfer den Brenner zu bezwingen. „Komm ein bisschen mit nach Italien“, singen sie, „weil sich das lohnt: denn am Tag scheint dort die Sonne und am Abend scheint der Mond.“ Wenn am Gardasee die Klappstühle aufgebaut werden, wenn es heißt „Romeo liebte einst seine Julia, und der Hans liebt heute seine Monika“, wenn es den Teenie zum Tanztee zieht zwecks Anbändelung mit dunkelhaarigen Schönen, dann wird klar, dass camp selbstredend von Camping kommt.

Bei den Pfisters wird die jüngere Popkulturgeschichte so liebevoll zelebriert und gleichzeitig auf so vielen Ebenen ironisiert, dass einem schwindlig werden könnte. Christoph ist Ursli ist Vicky ist Schwulenikone ist Vollprofientertainer ist Schnulzenverehrer. „Und es zieht mich, weil ich ledig bin, immer wieder nach Venedig hin.“ Im Cha-Cha-Schritt natürlich. Mottenkisten-Hits, verquicklebendigt vom famosen Jo Roloff Trio.

Natürlich ist das ein Abend nur für Erwachsene, eine Ü-40-Party. Wer das alles nicht selber miterlebt hat, vor dem TV- Bildschirm, bei den Dia-Abenden, den Super-8-Filmvorführungen im Wohnzimmer, schlägt sich bei dieser aus dem kollektiven Gedächtnissperrmüll zusammengezimmerten Show vor die Stirn. Wer dabei war, schlägt sich auf die Schenkel. Auch weil alle Details stimmen, die Mimik der Stars ganz genau abgeschaut ist, die Kostüme authentisch wirken, von der weißen Socke im Kreppsohlenschuh bis hinauf zum Pepita-Hütchen. Danny Costellos putzige Choreografien wecken ambivalente Tanzschulerinnerungen, und wenn die Pfisters ihre pas de trois durchweg mit dem Mikrofon in der Hand bewältigen, statt die viel bequemeren Headphones zu wählen, dann zeigt sich, mit welchem Gespür für historische Aufführungspraxis diese Originalklangbewegung ihre Mission erfüllt.

Nach all den schmissigen Italien-, Spanien- und Griechenland-Medleys, am Ende dieser Gedankenkreuzfahrt durch der Deutschen liebste Sehnsuchtsländer, wenn „Arrivederci Roma“ verklungen ist und „tschau, tschau“ die Bambina verabschiedet, setzten die Pfisters im tosenden Applaus noch eins drauf. Schenken den Fans eine Zugabe, die garantiert jeden Urlaubsheimkehrer-Blues vertreibt. Weil dieses Lied die reine Wahrheit verkündet: „Nichts ist so schön wie der Mond von Wanne-Eickel!“

Bar jeder Vernunft, bis 27. Oktober.

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