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Bei Berlinale ist die 33-Jährige in zwei Hauptrollen zu sehen: In Laura Schroeders „Barrage“ und in „Drôles d’Oiseaux“ von Elise Girard.

© Clemens Niehaus/Geisler-Fotopress

Gespräch mit Berlinale-Star Lolita Chammah: Eine suchende Frau

Lolita Chammah ist gleich zweimal bei der Berlinale zu sehen. Sie spielt gern rätselhafte Charaktere - und ist es leid, immer nach ihrer Mutter Isabelle Huppert gefragt zu werden.

Ihre Agentin hatte gewarnt: bloß keine Fragen zur Mutter. Um die Mutter herum, okay. An der Mutter vorbei, auch gut. Die Mutter streifend, akzeptiert. Aber bloß nicht so etwas wie: „Seit wann haben Sie das Gefühl, nicht mehr als Tochter von Isabelle Huppert wahrgenommen zu werden, sondern als Schauspielerin mit eigenen Projekten und Filmen?“

Lolita Chammah legt den Löffel weg, sie isst gerade Miso-Suppe, ihr Blick, dessen seltsam leere Intensität viele ihrer Rollen prägt, trifft den Fragenden unvorbereitet. „Meine Mutter gehört in mein Privatleben, ich bin hier, um über meine Arbeit zu sprechen.“ Selbstverständlich. Nur was, wenn Arbeit und Privates sich so unausweichlich überschneiden?

Chammah spielt in dem belgisch-luxemburgischen Drama „Barrage“ zum wiederholten Mal an der Seite ihrer Mutter Isabelle Huppert. Erstmals als Hauptdarstellerin. 2010 trat sie in „Copacabana“ noch als Nebenfigur auf, mit Huppert als Protagonistin; in beiden Filmen spielen Mutter und Tochter Mutter und Tochter. So viel zur Überschneidung von Privat und Beruf.

Der Schatten der Mütter

Aber es stimmt ja: Längst spielt die 33-Jährige andere Rollen, sie ist die Protagonistin in Sophie Letourneurs „Gaby Baby Doll“ und in Lorenz Merz’ „Cherry Pie“ (2013), spielte in René Férets „Anton Tchekhov“ die Schwester des russischen Dramatikers und auf der Bühne in Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“. Und im Forum der Berlinale ist sie außer in „Barrage“ auch in „Drôles d’Oiseaux“ (Schräge Vögel) zu sehen, einer charmanten romantischen Komödie von Elise Girard über eine junge Frau vom Land, die nach Paris kommt und dort einem Buchhändler mit fragwürdiger Vergangenheit begegnet.

Noch 2015 sagte sie dem Magazin des „Figaro“: „Wenn man über meine Mutter spricht, destabilisiert mich das. Noch immer.“ In einem anderen Interview wünschte sie sich mehr Souveränität, etwa so, wie Chiara Mastroianni, Tochter von Catherine Deneuve und Marcello Mastroianni, oder Laura Smet als Tochter von Johnny Hallyday mit der Berühmtheit ihrer Eltern umgehen. Es ist das Dilemma vieler Kinder von Stars, sich an vermeintlich schwer Erreichbarem messen lassen zu müssen.

Bezwingende Frauen, aggressiv feminine, das sind Chammahs Figuren

Lolita Chammah wächst in Paris auf, ihr Vater, Ronald Chammah, ist ein frankreichweit bekannter Regisseur. Die Mutter nimmt sie schon als Säugling auf Drehs mit, auch die Freunde der Eltern haben bekannte Namen. Im Alter von vier Jahren spielt sie ihre erste Rolle, wenn man das so nennen kann, in Claude Chabrols „Eine Frauensache“. Huppert verkörpert die Hauptfigur in dem Drama aus der Besatzungszeit, die illegal abtreibt und unter der Vichy-Regierung hingerichtet wird. Sie gewinnt drei Césars, dazu Preise in Venedig, Los Angeles, New York und eine Golden- Globe-Nominierung.

Zwölf Jahre später steht Lolita Chammah das nächste Mal vor der Kamera, in „Malina“ von Werner Schroeter. Sie nimmt Theaterunterricht, tritt auf kleinen Bühnen auf, beginnt nach der Schule ein Schauspielstudium in Straßburg und wirft nach drei Monaten wieder hin. Die viele Theorie dabei sei nichts für sie gewesen, sagt sie. Zehn Jahre lang spielt Chammah in Komödien, hin und wieder ist ein Drama dabei, aber nie eine dieser starken Figuren, für die Huppert so berühmt ist. Bezwingende, manchmal kühle Frauen, fragile und doch einschüchternde Erscheinungen, aggressiv feminin, immer kontrolliert.

Mit vier vor der Kamera. Lolita Chammah wächst in Paris auf – und mit dem Kino.
Mit vier vor der Kamera. Lolita Chammah wächst in Paris auf – und mit dem Kino.

© Geisler-Fotopress

Die Rolle in "Barrage" war endlich eine Gelegenheit

„Auf eine Rolle wie in ,Barrage‘ habe ich lange gewartet“, sagt Chammah. Sie verkörpert Catherine, eine mysteriöse, vielleicht gebrochene Frau, die nach zehn Jahren aus der Schweiz nach Luxemburg zurückkehrt. Dort lebt ihre vorpubertäre Tochter Alba (fantastisch: Thémis Pauwels) mit ihrer Großmutter (Isabelle Huppert). Laura Schroeders Film deutet nur an, warum Catherine weg war, die Geschichte ist in eine Atmosphäre des Zweifels und des Misstrauens getaucht. Bald weiß auch der Zuschauer nicht mehr, ob er einem Familienausflug zusieht oder einer Kindsentführung.

Chammah spielt die tablettensüchtige, unzuverlässige Catherine mit der Leichtigkeit und Beiläufigkeit einer Komödienfigur. Mit hängenden Schultern beim Tennisspielen, unauffälligen Gesten, wenn sie im Vorbeigehen kurz an der Tochter schnuppert oder im Streit mit der Mutter kindlich-bockig reagiert. Ihre lockere Art tut dem Film gut, weil sie auch ihn auflockert.

Die äußerliche Ähnlichkeit mit der Mutter rückt in den Hintergrund

Regisseurin Laura Schroeder setzt denn auch ganz auf ihre Protagonistin, zeigt ihr Gesicht in Nahaufnahme, den leeren Blick, die hängenden Mundwinkel. Auch der Schweizer Regisseur Lorenz Merz hat sich in „Cherry Pie“ ganz auf die Präsenz der Schauspielerin konzentriert: eineinhalb Stunden lang nichts als Landschaftsaufnahmen und die Mimik von Chammah. Auch im Forums-Beitrag „Drôles d’Oiseaux“ dominieren solche Einstellungen. Und wieder spielt Chammah eine unergründliche, suchende Frau, auf eigenwillige, eigene Art. Man vergisst sie dann schnell, die verblüffende äußerliche Ähnlichkeit mit ihrer Mutter.

Lolita Chammah hat einen Sohn, sie nimmt ihn auf Drehs mit und zu ihren berühmten Freunden. Er ist vier, genauso alt wie die Mutter, als sie zum ersten Mal vor der Kamera stand. Kürzlich zeigte der Junge auf den Fernsehbildschirm und sagte: „Ich will auch im Film mitmachen.“

„Barrage“: 17.2. 11 Uhr (Cinestar 8),

„Drôles d’Oiseaux“: 17.2. 19 Uhr (Cinestar 8)

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