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Melancholie mit Lamellen. Haegue Yang inmitten ihrer Skulptur im Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst.

© Mike Wolff

Gespräch mit der Künstlerin Haegue Yang: Geistertanz im Kesselhaus

Die in Berlin lebende Künstlerin Haegue Yang aus Südkorea belebt die alte Industriegeschichte im Kindl. Ein Gespräch über Jalousien, Licht und das Jetset-Leben.

Sagenhafte 20 Meter ist das Kesselhaus in Berlin-Neukölln hoch, fast quadratisch im Grundriss, mit viel Patina an den Wänden. Wo früher Bier gebraut wurde, entsteht jetzt Kunst. Jedes Jahr ist ein Künstler eingeladen, den schwierigen Raum zu bespielen. 2015 ließ der Schweizer Künstler Roman Signer ein gelbes Propellerflugzeug von der Decke hängen und nahm damit die alte Industriearchitektur für die Kunst ein. Ein Jahr später raubte David Claerbout dem Raum jede Zeitlichkeit, indem er in einer Videoinstallation den 1000-jährigen Zerfall des Olympiastadions simulierte. In diesem Jahr lud Kurator Andreas Fiedler die in Seoul aufgewachsene und in Berlin lebende Installationskünstlerin Haegue Yang ein. Ihre Skulpturen aus Jalousien, Kleiderständern und Ventilatoren bleiben im Gegensatz zu den Werken der Vorgänger oft abstrakt. Yangs Kunst war bei der Venedig Biennale und in zahlreichen Museen ausgestellt, zuletzt in Seoul, in Mexiko und im Centre Pompidou in Paris.

Frau Yang, Sie leben seit elf Jahren in Berlin. Kannten Sie das Kesselhaus als Ausstellungsort schon?

Nein, ich habe es erst durch die Anfrage kennengelernt, obwohl ich nicht weit weg davon wohne. Aber ich flaniere zu wenig, um solche Orte selbst zu entdecken. Ich war überrascht, dass es ein so imposanter Ort ist. Da ich mich zu oft von Räumlichkeiten verführen lasse und eigentlich denke, dass man einige Entscheidungen unabhängig vom Raum treffen sollte, hatten wir eine lange Vorlaufzeit mit Diskussionen, bevor ich den Raum überhaupt besichtigt habe. Im Gegensatz zu früher prüfe ich heute genau, was für mich noch zu tun nötig ist. Oder ob ich eine Ausstellung überhaupt machen will. Ich habe mit den Jahren gelernt, dass es schon fast eine Zusage bedeutet, wenn man eine Ortsbesichtigung macht.

Haben Sie die Installation also unabhängig vom Raum geplant?

Der Ausgangspunkt für die Ausstellung im Kindl ist, dass eine neue Arbeit für diesen immensen Raum entsteht. Andreas Fiedler kontaktierte mich und meinte: Ich kenne Ihre Arbeit, jetzt habe ich diesen Raum und bin neugierig, wie Sie darauf reagieren. Das fand ich zwar simpel, aber recht ehrlich und berechtigt.

Ihre Skulptur besteht aus industriell gefertigten Jalousien. Alltagsmaterial, mit dem Sie schon oft gearbeitet haben. Außen schwarz, innen ein blauer Kegel. Durch die Licht- und Sonneneinstrahlung entstehen Schatten, die Arbeit ist sehr theatralisch. Worum geht es?

Als ich ins Kesselhaus kam, hatte ich sofort eine Vorstellung von einer zylindrischen Struktur, die dort vielleicht einmal beherbergt war. Dann habe ich mir zusätzlich eine Bewegung vorgestellt, als würden Maschinen oder ein Mechanismus wieder eingesetzt werden, wie ein Geistertanz. Die Skulptur belebt die Geschichte der Industrialisierung; sie aktiviert deren Vergangenheit, die jeder Einzelne anders erinnert, und weckt ein Bewusstsein für die Folgen heute.

Als Besucher nimmt man die Bewegung der Skulptur zunächst kaum wahr, sie ist sehr langsam und ruhig.

Sie ist nicht unbedingt langsam, aber man erkennt die Bewegung oft erst zeitversetzt, weil sie fließend, regelmäßig und still kreist, also eher hypnotisierend als dynamisch ist. Das postindustrielle Ambiente des Raumes hat jedoch eher etwas Schweres, trotz der leichten Bewegung. Es ist insgesamt ein melancholisches Werk.

Industrialisierung ist ein wiederkehrendes Thema bei Ihnen. Wie kommt das?

Wir haben in Südkorea eine aggressive Industrialisierung erlebt. Aber es ist umstritten, ob es eine Moderne in Asien überhaupt gegeben hat. Ich würde sagen, wir haben eine kompakte Moderne erlebt. In 30 Jahren wurde geschafft, was in Japan etwa 100 Jahre und in Europa über 200 Jahre gedauert hat. Derart komprimiert ergibt sich daraus eine andere, sehr brutale Erfahrung, man könnte sogar sagen eine heftige Attacke.

Sie reflektieren mit dieser Arbeit also den Wandel? Geht es deshalb in Ihren Werken oft um Bewegung?

Bewegung als Thema interessiert mich, allerdings arbeite ich mit einer eigenen Definition davon, was das bedeutet. Bewegung à la Haegue Yang beinhaltet auch Stillstand oder Gefrorenheit. Es gibt physische, gesellschaftliche, emotionale Bewegung und Stillstand als potenzielle Bewegung. Das Stichwort Bewegung trifft auf viele meiner Arbeiten zu, im Grunde habe ich aber nur wenige Male bewegte Jalousienarbeiten umgesetzt.

Warum haben Sie immer wieder mit Jalousien gearbeitet?

Ich wollte eigentlich nie auf einen Werkstoff festgenagelt werden. So eine Verbindung ist ja für eine Künstlerin nicht befreiend. Zum ersten Mal habe ich Jalousien 2006 eingesetzt, seitdem ist viel passiert und trotzdem hatte ich immer wieder das Gefühl, noch nicht alles ausgeschöpft zu haben. Man fühlt sich dem Material gegenüber verantwortlich, weil man will, dass es sich vollständig entfaltet. Das resultierte in einer Krise, als ich merkte, dass ich zu gut mit dem Material umgehen konnte. Das war 2014. Ich dachte, es sei das Ende der Jalousienarbeiten.

Es war aber nicht das Ende. Es folgte Ihre Werkserie „Sol LeWitt Upside Down“, die sehr weiß und hell, kühl ist. Ihre zeitgenössische Interpretation der Moderne?

Ich habe die minimalistischen „Modular Structures“ des amerikanischen Künstlers Sol LeWitt (1928–2007) mit der Jalousie uminterpretiert. Das war eine Art Appropriation, ich musste nicht selbst komponieren. So konnte ich mich von dem routinierten Umgang mit dem Material befreien.

Sie haben gesagt, Sie machen Ausstellungen nur noch, wenn Sie noch Fragen haben. Was war es, was Sie im Kesselhaus wissen wollten?

Anders als man oft annimmt, gibt es nur wenige ortsspezifisch konzipierte Arbeiten von mir. In einem ehemaligen Güterbahnhof habe ich bei der Documenta 2012 in Kassel die Jalousien horizontal in einem 45 Meter langen Gleisbett arrangiert. Die Jalousien bewegten sich hoch- und runter, wurden auf- und zugeklappt, was in einer zweistündigen Choreografie resultierte. Die Bewegung war teilweise unangenehm und störend laut, hat der bloßen Jalousie aber eine neue Ebene gegeben. Im Kesselhaus ist die Bewegung eine horizontal fließende und fast unerhört stille. Aber beide Räume haben etwas Schwermütiges.

Sie sind als Künstlerin viel auf Reisen, haben Ausstellungen in der ganzen Welt. Diese Lebensweise, an vielen verschiedenen Orten zu leben, zu migrieren, mit Fremdheit umzugehen, kann das Vorbild sein für die Gesellschaft, in der wir leben?

Ich akzeptiere diese Analyse über mich als Jetsetterin, eine Künstlerin in der globalisierten Kunstwelt. Es entspricht zumindest der Realität. Als ich nach Deutschland kam und anfing zu studieren, änderten sich die Zeiten. Neue Metropolen wie Peking, Kairo, Dakar und Seoul fingen an, eine wichtige Rolle zu spielen. Diese Entwicklung der Dezentralisierung hat mich und viele andere geprägt, ich bin dabei, diese Erfahrung zu durchleben und zu verdauen. Ob diese Lebens- und Arbeitsweise beispielhaft sein kann? Wenn nicht ein positives, dann wohl ein typisches Beispiel dafür, wie irrsinnig das Leben sein kann. Ich reise eigentlich nicht gern, gleichzeitig lerne ich aber so vieles. Für die erlebten Begegnungen, Geschichten und Aktivitäten empfinde ich viel Demut. Sie prägen meine Arbeit sehr, auch wenn ich das nicht eins zu eins übersetze.

Das Gespräch führte Birgit Rieger. Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Kesselhaus, Am Sudhaus 3, Neukölln, bis 13. Mai, Mi–So 12–18 Uhr

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