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Kultur: Gewalt und andere große Gesten

Die 18. Rohkunstbau-Ausstellung im Potsdamer Schloss Marquardt arbeitet sich an der „Macht“ ab

Wie viele Pferdestärken dieses silberne Ding im Saal hat, möchte man gar nicht wissen. Es schaut aus wie das Herz des Hauses – ein wummerndes Organ, das die bulgarische Künstlerin Mariana Vassileva von der Straße in den Wohnraum verpflanzt hat. Denn eigentlich gehört der Maschinenblock im Foyer von Schloss Marquardt in einen Bugatti und wird seinen Weg dorthin nach dem Ende der Ausstellung „Rohkunstbau XVIII“ wohl auch finden. Zurück bleibt die zeichenhafte Dornenkrone, die Vassileva im Neonschein über dem mächtigen Motor schweben lässt. Dass sein Sound in der Schau digitaler Natur ist, stört nicht weiter, im Gegenteil: Wer Schloss Marquardt in Potsdam betritt, der wird von allen Seiten erst einmal akustisch umfangen und irritiert.

Ein starkes Bild über Macht und Potenz. Es mag ihm an Subtilität mangeln, doch der Ort der jährlichen Ausstellung ist dafür auch nicht gemacht. Wie sehr sich Künstler in den morbiden Räumen des ehemaligen Herrenhauses verirren können und seinem erzählerischen Charme erliegen, haben Arbeiten vorangegangener „Rohkunstbau“-Ausstellungen gezeigt. Kurator Mark Gisbourne stellt sie seit Jahren unter ein wechselndes Motto. Diesmal ist es das facettenreiche Thema der „Macht“, das die zehn eingeladenen Künstler bearbeiten. Jeder auf seine Weise, aber immer in der Gewissheit, dass man mit kleinen, verspielten Beigaben gegen die hölzernen Täfelungen und blätternde Wandfarbe nicht ankommt.

Entsprechend groß sind die Gesten. Judy Millar hat sie buchstäblich ins Monströse überführt. Ihre Papierbahnen sehen aus, als hätte man einen Künstler des Informel mit einem übergroßen Besen malen lassen. Die Arbeit schlängelt sich meterbreit durch ein Zimmer, verdreht sich und verdeckt Teile der roten und schwarzen Schlieren. Die von Millar evozierte Naturgewalt einer Welle mag einem dabei nicht sofort einfallen. Doch gewinnt das skulpturale Objekt eine Eigendynamik, die die abstrakte Malerei bedrohlich körperhaft werden lässt.

Solche Arbeiten lohnen den Ausflug zum Schloss mit seinem idyllischen Garten am Wasser. Hier positioniert sich die Kunst, nimmt den Ort in Besitz und beginnt ein Spiel mit ihm. Judy Millar klammert in ihrem improvisierten White Cube keineswegs aus, dass es den Blick nach draußen und damit eine visuelle Störung gibt. „The Problem of Hierarchy“ führt einen Dialog auf Augenhöhe, wie er auch dem in London lebenden Kolumbianer Oswaldo Maciá gelingt – obwohl oder vielleicht gerade weil er mit dem leichten Gruseleffekt seines Raumes spielt.

Dieser hat ein Kachelmuster auf dem Boden und eine dunkle Tür, die man mit Kraft aufdrücken muss. Dahinter steht eine alte Badewanne mit Löwenfüßen. Schwarzes Wasser tropft von allen Seiten auf ein Podest, auf dem sich die Flüssigkeit sammelt und an Teer erinnert. Dunkel und undurchdringlich. Durchdringend ist der Geruch des Wassers, über dem ein eigenartiges Bouquet schwebt. Der Titel der Arbeit, „Under the Horizon“, bezieht sich klar auf den aktuellen Titel der Schau. Diese läutet eine vierjährige Reihe ein, die Kurator Gisbourne an Richard Wagners „Ring der Nibelungen“ orientiert und in vier Kapitel unterteilt. Die „Macht"-Ausstellung korrespondiert dabei mit „Rheingold“.

Ob sich der Schatz der Nibelungen im schwarzen Wasser der Wanne verbirgt, wird man nicht erfahren. Wohl aber ist erkennbar, dass sich die Künstler von der dunklen Seite des Themas faszinieren lassen. Obwohl vor der Arbeit von Mariele Neudecker alles erst einmal glasklar wirkt. Ihr kugelförmiges Aquarium beherbergt eine kleine Landschaft, die auf dem Kopf steht. Ein milchiger Spiegel an der Wand wirft das Bild zurück und verdoppelt Glas und Betrachter – glaubt man. Bis sich herausstellt, dass hinter der (transparenten) Scheibe ein zweiter Raum mit einer Kugel ist, die eben von einem anderen Besucher bestaunt wird.

Neu sind solche Versuche der verschobenen Wahrnehmung mit einfachsten Mitteln nicht. Künstler wie Dan Graham haben damit schon in den siebziger Jahren experimentiert. Doch es bereichert den konzeptuellen Ansatz um eine romantische Variante, die das Ruinöse und Melancholische nicht länger ausklammert, sondern es auf Schloss Marquardt geradezu sucht. Simon Faithfull begibt sich dafür in seinem Video „Going nowhere 2“ sogar unter Wasser und spielt den Alberich auf der Suche nach dem Rheingold, nachdem er vor Wut über seine verschmähte Liebe innerlich gebrannt hat.Bloß Karin Sander und Marc Brandenburg bewahren einen kühlen Kopf. Während die Künstlerin im Gartensaal die Zeichnung des Raumes in einen für Laien unleserlichen Quellcode übersetzt und an die Wand schreiben lässt, illuminiert Brandenburg hinter einem schwarzen Vorhang ein Porträt. Es zeigt Michael Jackson in Siegerpose vor seinen ungezählten Gängen zum Chirurgen. Für seine Fans war es die beste Phase, für Jackson wahrscheinlich die Zeit der größten Leiden.

Rohkunstbau XVIII, Schloss Marquardt in Potsdam. Bis 11.9., Fr 14-19 Uhr, Sa & So 12-19 Uhr.

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