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Kultur: Gewitter aus einem Guss

Starkstrom für alle: Metallica rocken in der Berliner Waldbühne

Zwei alternde Metal-Fans schauen einem Jung-Fan hinterher, dessen Jeansjacke mit Bandaufnähern übersäht ist. „Hast du eigentlich auch noch so eine Kutte?“, fragt der eine. „Ja, ist aber lange her, dass ich die anhatte“, sagt der andere. „Und, passt du da noch rein?“ – „Ich glaub’ schon, ich hab’ sie an der Seite abgeschnitten“, sagt er lachend. Heute Abend tragen die beiden schlichte schwarze Kleidung. Dresscodes und Frisurvorschriften sind bei den Konzerten von Mettallica schon lange abgeschafft. Denn die vier Amerikaner sind 25 Jahre nach ihrer Gründung so etwas wie die Konsensband für alle Freunde – und einige Freundinnen – harter Gitarrenmusik. So sind in der ausverkauften Berliner Waldbühne bunte Regencapes neben schwarzen Lederjacken zu sehen, Glatzen neben Matten, Teenager neben Altrockern.

Kaum haben Metallica die Bühne betreten, fliegen der Band unzählige Hände entgegen – Zeigefinger und kleiner Finger zum Metal-Gruß abgespreizt. Die Antwort kommt schnell und hart. Sänger James Hetfield brüllt „Living and dying, laughing and crying“ gegen die über ihm zusammenstürzenden Riffkaskaden an. Derweil steht Lead-Gitarrist Kirk Hammett lässig am linken Bühnenrand und setzt zum ersten Solo an. Dass diese Kunstform mittlerweile ein wenig aus der Mode gekommen ist, schert den Mann mit den halblangen braunen Locken kein bisschen. Er zelebriert seine Fingerfertigkeit auf ständig wechselnden Instrumenten – stoisch und mit dem Wissen, das Vorbild ganzer Generationen von Metalbands zu sein.

Schon nach einer knappen Viertelstunde prescht die Band auf den ersten Höhepunkt zu. Sie spielt „Wherever I may roam“ von ihrem erfolgreichsten Album „Metallica“. Beim infernalischen Finale des Songs reißt plötzlich der Himmel auf und schickt eine paar späte Sonnenstrahlen über die Baumkronen hinter der Bühne. Eigentlich wäre das ein perfektes Setting, um auf dem Greatest-Hits- Highway langsam das Gaspedal durchzudrücken. Doch so leicht will es sich die Band nicht machen: James Hetfield zieht seine schwarze Mütze vom Kopf und kündigt einen neuen, noch namenlosen Song an – frisch aus ihrem kalifornischen Studio, in dem sie gerade mit Starproduzent Rick Rubin an ihrem neunten Album feilen.

Die Arbeitsprobe beginnt mit einem knackigen kurzen Riff, das schnell von einem Double-Bassdrum-Gewitter verschluckt wird. Anschließend mäandert das Stück zwar druckvoll, aber ohne rechte Prägnanz umher. Das Publikum reagiert verhalten. Jetzt muss doch ein Hit her. Einer, den man schon nach wenigen Takten auf der Akustikgitarre erkennt, einer, bei dem auch ganz hinten alle den Refrain mitsingen können. Und tatsächlich zaubert das tausend Mal gehörte „The Unforgiven“ auch dieses Mal einen wohligen Schauer auf die Haut. Wäre der Himmel schon dunkel genug, würden jetzt die Feuerzeuge geschwenkt.

Die Band harmoniert mit nahezu traumwandlerischer Perfektion, jeder Break sitzt, jeder Tempowechsel gelingt. Offensichtlich haben alle vier Bandmitglieder großen Spaß miteinander und mit ihrer Musik. James Hetfield – mit Kinnbart und Kapuzenpulli – wirkt fit wie ein erfahrener Surfer und nutzt die ganze Bühnenfläche aus. Einmal setzt er sich sogar neben Schlagzeuger Lars Ulrich – als hätte es zwischen den beiden Metallica-Köpfen nie Streitereien gegeben.

Vor fünf Jahren steckte die Band in einer Existenz bedrohenden Krise: Erst verkündete Bassist Jason Newsted seinen Ausstieg. Dann mussten die Aufnahmen für das letzte Album unterbrochen werden, weil Hetfield einen Alkoholentzug machte. Mit Hilfe eines Gruppentherapeuten rauften sich die Musiker wieder zusammen und lieferten mit „St. Anger“ den krachenden Beweis, dass sie noch immer die größte Metalband der Welt sind. Das Album kam in 30 Ländern auf Platz eins der Charts und verkaufte sich insgesamt fünf Millionen Mal.

Überraschenderweise ist von diesem Auferstehungsalbum beim Konzert in der Waldbühne kein einziger Song zu hören. Stattdessen zelebriert die Band eine Geburtstagsparty für ein anderes Meisterwerk: Sie spielt das zwanzig Jahre alte „Masters of Puppets“-Album komplett durch. In einer seiner vielen freundlichen Moderationen fragt Hetfield im Publikum nach, wer das Album besitzt – alle Arme schießen in die Höhe. Und auch auf die Frage, welcher Song nach „Welcome Home (Sanatorium)“ an der Reihe ist, schallen ihm tausende von richtigen Antworten entgegen: „Disposable Heroes!!!" – und wieder tobt der Innenraum.

Im Zugabenblock spielen Metallica dann doch noch jüngere Hits. Und natürlich haben sie auch an ein Feuerwerk vor ihrem fulminanten Kriegsversehrten- Opus „One“ gedacht. Mit Rauchschwaden, Lichtblitzen und Gitarrendonner verabschieden sich Metallica aus Berlin und versprechen mit ihrem neuen Album im nächsten Jahr zurückzukommen. Ihre Anhängerschaft wird warten – und weiter wachsen.

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