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Kultur: Giacomo Meyerbeers erste "Grand Opéra" an der Berliner Staatsoper

Anschauen sollte man sich "Robert, den Teufel" unbedingt. Allein weil die Oper eine der wichtigsten der ganzen Operngeschichte ist.

Anschauen sollte man sich "Robert, den Teufel" unbedingt. Allein weil die Oper eine der wichtigsten der ganzen Operngeschichte ist. Außerdem, weil man sie sonst nirgendwo auf der Welt halbwegs vollständig sehen kann und schließlich, weil das ganze editorische Drumherum dieser Staatsopern-Ausgrabung (erste Aufführung nach der druckfrischen, historisch-kritischen Werkausgabe) so mustergültig ausgefallen ist, wie man es sich nur wünschen kann. Eine überfällige Wiedergeburt also von Giacomo Meyerbeers erster "Grand Opéra", die bei ihrer Uraufführung anno 1831 sowohl wegen der Neuartigkeit ihrer Orchestersprache als auch wegen ihrer revolutionären Theatereffekte Sensation machte.

Dennoch tut sich die Staatsoper an diesem Abend schwer, die Überlebensfähigkeit des fünfstündigen Bühnendinosauriers im 21. Jahrhunderts zu beweisen und zu zeigen, dass sich die berüchtigt krude Handlung von "Robert le Diable" mit den Mitteln des Regietheaters zu einer überzeugenden Geschichte umdeuten lässt. Denn im Gegensatz zu Meyerbeers späteren Historiendramen wie den "Hugenotten" und dem "Propheten" ist der "Robert" ein Stück, dass von einem erfahrenen Regiepsychologen erst einmal auf die Couch gelegt werden muss, damit seine Figuren über das Dekorative ihrer Mittelalter-Märchenwelt hinaus Gestalt gewinnen: Da ist der Titelheld, ein leiblicher Sohn des Teufels, und hin- und hergerissen zwischen den Verlockungen seines Vaters und dem tugendhaften Lebenswandel, zu dem ihn seine Geliebte Isabella, seine Milchschwester Alice und (via Testament) seine verstorbene Mutter bekehren wollen. Ein faustischer Jammerlappen, dem zwischen den Kraftfeldern des Bösen und des Ewigweiblichen im Grunde keine Chance zu einer eigenen Entwicklung bleibt.

Staatsopern-Intendant Georg Quander, der nach der Absage Nikolaus Lehnhoffs im letzten Jahr kurzerhand selbst die Regie für diese Opern-Herausforderung übernahm, ist sich über den Dechiffrierungsbedarf des "Robert" im Klaren. Zunächst scheint es auch, als habe er einen Weg gefunden, den Robert-Konflikt offenzulegen, ohne die historische Kostümierung preiszugeben. Einen monumentalen Kinosaal im Fünfziger-Jahre-Stil hat ihm seine Ausstatterin Ruth Schaefer als Spielort für die Ritterwelt der Kreuzzugszeit gebaut, vor halbleeren Besucherreihen legt der frustrierte Vorführer Robert die Filmrollen ein und lebt sich singend-soufflierend in ein Ivanhoe-C-Movie hinein, das sich im Inneren dieses Bühnenkastens abspielt. Längst ist ihm die Zelluloid-Welt zur eigentlichen Existenz geworden. Bis er den Schritt in den Film hinein wagt und seine Traumprinzessin Isabelle erobert, scheint nur eine Frage der Zeit.

Eine zweifellos reizvolle Grundidee, mit der sich vor allem die Massenszenen dieser Breitwandoper einleuchtend lösen lassen: Da nur Klischee ausgestellt werden soll, braucht die Regie nicht mehr zu liefern, als Chor und Solisten auf erzkonventionelle Opernweise aufmarschieren und herumstehen zu lassen. Für den doppelten Boden, so Quanders mutmaßliche Rechnung, mag schon das Bühnenbild sorgen - inklusive der Nahaufnahmen, mit der eine Live-Kamera immer wieder die Spielszenen hinter der Leinwand überblendet.

Doch trägt die Idee kaum über die ersten anderthalb Akte, vor allem, weil es Quander, der als Regisseur am eigenen Haus bisher lediglich mit der artig nacherzählten Barockoper "Solimano" in Erscheinung trat, nicht gelingt, aus seinem Ansatz eine Geschichte zu entwickeln. Zusehens verwischen die Grenzen zwischen realer und Film-Welt, wird unklar, in welcher Sphäre die einzelnen Figuren überhaupt existieren. Das gilt vor allem für Roberts Vater Raimbault, den eigentlichen Schurken des Stücks, der zwar die größte Rolle, doch darüber hinaus keine Funktion mehr hat: In dem Moment, wo nur noch eine Geschichte über den Realitätsverlust eines kleinen Mannes erzählt wird, hat das Böse als Lebensalternative keinen Platz mehr.

Gerade der zentrale dritte Akt - einst wegen des fast halbstündigen "Nonnenballetts" der berühmteste des Stücks - hängt in Quanders Inszenierung völlig in der Luft: Der sündige Beschwörungszauber, den der Teufel Raimbault entfaltet, damit sein Sohn der Hölle verfällt, wird zur zwecklosen Revue, bei der das Staatsopern-Ballett nach

Friedrichstadtpalast-Manier die Beinchen schwingt. Roberts schließlicher Sündenfall, das Brechen eines heiligen Zweiges, ist ein lediglich formal-banaler Schlusspunkt.

Das alles wäre wohl noch hinzunehmen gewesen, hätte der drehbare Kinosaal, in dem sich die Darsteller immer hilfloser bewegen, nicht auch noch schwere musikalische Nebenwirkungen: Durch die Distanz dieses zusätzlichen Bühnenkastens kippt über weite Strecken das Gleichgewicht zwischen Bühne und Orchestergraben. Chor und Solisten verlieren entscheidend an akustischer Durchschlagskraft und können nur noch in den wenigen Momenten musikalische Charktere formen, in denen sie tatsächlich einmal in Rampennähe stehen.

Was sich dann als Ergebnis der ausgiebigen musikalischen Proben hören lässt, ist freilich uneinheitlich: Marc Minkowski, vom Premierenpublikum einhellig umjubelt, sorgt zwar für Drive und in den Balletteinlagen für die richtige anmutige Leichtigkeit, kann die ausgedehnten lyrischen Passagen aber kaum mit Emphase füllen. Sein "Robert" klingt nach einem auf fünf Stunden aufgeblasenen "Postillon von Longjumeau"- hübsch, kurzweilig, doch nicht nach großen Leidenschaften.

Innerhalb dieses Stückwerks wirkt auch die Besetzung eher zusammengewürfelt: Zwar wird durchweg unanfechtbar gesungen, doch mehr nebeneinander her als wirklich zusammen: Staatsopern-Bass Kwangchul Youn, der sich um französische Gesangskultur bemüht und ein subtiles, mit leisen Tönen dämonisches Raimbault-Porträt versucht, wird entweder vom Orchester oder von seinen Ensemblepartnern zugedeckt. Belcanto-Spezialistin Nelly Miricioiu bleibt als Isabelle auf kunstvoll gedrechseltem Diven-Sockel, während der Chinese Jianyi Zhang den Titelhelden immerhin plausibel als korrekten Mann ohne Eigenschaften porträtiert und sich Marina Mescheriakowa mit üppig-farbkräftigem Sopran am stärksten in den Vordergrund singt.

Doch, wie gesagt, anschauen sollte man sich diesen "Robert" unbedingt - trotzdem.Wieder am 14., 19., 26. und 30. März

Jörg Königsdorf

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