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Gidon Kremer

© Staatskapelle

Gidon Kremer und die Stataskapelle: Herzensbildung

Gidon Kremer ist ein Einsamkeitskünstler, von dem man keinerlei Pauschalaussagen erwartet. Jetzt ist er mit der Berliner Staatskapelle und Sibelius' Violinkonzert in der Philharmonie aufgetreten.

Der Traum vom Virtuosentum schwebt über Sibelius’ Violinkonzert. Ein Traum, von dem sich der Komponist selbst schmerzhaft lösen musste und der ihn doch zeit seines Lebens begleiten sollte. In der Philharmonie betritt Gidon Kremer diesen Sehnsuchtsraum mit seiner berühmten gesenkten Stimme, die ihm unbedingte Aufmerksamkeit sichert. Ein Einsamkeitskünstler, von dem man keinerlei Pauschalaussagen erwartet, dem man auch weitaus mehr Widerständigkeit verzeiht als seinen blankpolierten Kollegen. Kremer darf den Pfad der Schönheit verlassen, weil man ihm traut, dass es sein muss, um etwas zu verstehen von der Kunst und vom Leben. Doch auch Autoritäten sind vor Leerlauf nicht gefeit, zumal, wenn sie nicht hervorgelockt, gereizt werden, bis sie leuchten. Doch Daniel Barenboim und die Staatskapelle, die 1905 die revidierte Fassung des Violinkonzerts uraufführte, entdeckt in Sibelius eher Plattentektonik als strömenden Gesang. Ein organisches Ganzes will den Künstlerfreunden in der Philharmonie diesmal nicht gelingen. In seiner Zugabe zeigt sich Kremer mit dem „Requiem for Ukraine“ von Igor Loboda erwartungsgemäß engagiert. Allein durch die fahle Ausführung bleibt’s eine Geste.

Barenboim und seine Staatskapelle stürzen sich nach der Pause in Bruckners 6. Symphonie, die, umgeben von gigantischen Schwesterwerken, stets Mühe hatte, vollends aus dem Schatten zu treten. Weniger auf hymnische Dreifaltigkeit gegründet, braucht die Sechste ein Großmaß an Liebe zu ihren Eigenarten, um sich ganz entfalten zu können. Barenboim geht sie bedeutend zugewandter an als noch im Festtagszyklus 2010, dessen Bruckner-Bild deutliche Spuren von Härte und Aggression trug. Obwohl es immer noch sehr laut wird, hat sich das wilde Überbauen der Dynamik-Traufhöhe zurückgebildet. Bruckners Schönheit erscheint nicht mehr ganz so flüchtig, seine Logik nicht mehr ganz so brüchig. Das ist ein Fortschritt, vor allem, weil die Staatskapelle in der Lage ist, eine eigene Logik der Schönheit zu prägen. Jetzt muss ihr Chef nur noch mit ganzem Herzen mitspielen.

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